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Bildung auf jamaikanisch

Die schwarz-gelb-grüne Landesregierung im Saarland hat angekündigt, dass die Grundschulzeit auf fünf Jahre verlängert werden soll. Die Grünen wollten sogar auf sechs Jahre aufstocken - CDU und FDP zeigten sich davon nur wenig begeistert.

Von Tonia Koch |
    Die fünfjährige Grundschulzeit ist ein politischer Kompromiss und ein ungeliebter dazu. Das weiß auch der grüne Bildungsminister Klaus Kessler. Doch für grüne Wunschträume, Grundschüler mindestens sechs Jahre lang gemeinsam zu unterrichten, fand sich in der saarländischen Jamaika-Koalition keine Mehrheit. Deshalb haben sich Christdemokraten, Liberale und Grüne im Koalitionsvertrag auf diesen kleinsten gemeinsamen Nenner verständigt: Auf einen saarländischen Sonderweg, der mit keinerlei bildungspolitischen Ansätzen in anderen Bundesländern kompatibel ist. Aber auch mit einer um ein Jahr auf fünf Jahre verlängerten Grundschulzeit ließen sich Lernerfolge der Kinder verbessern, glaubt der grüne Bildungsminister:

    "Enger Zusammenhalt zwischen sozialer Herkunft und dem Übergang wird gemindert. Zweitens wird die Prognosesicherheit am Ende des fünften Grundschuljahres beim Übergang auf weiterführende Schulen erhöht. Drittens bleibt der Klassenverband erhalten, aber im fünften Grundschuljahr kommen bereits Gymnasiallehrer zum Einsatz und viertens, die Klassen sind deutlich kleiner in einem fünften Grundschuljahr als in einem fünften Schuljahr in den weiterführenden Schulen. Das sind Vorteile, die die Eltern noch gar nicht kennen. Die Eltern argumentieren aus ihrer berechtigten subjektiven Sichtweise heraus mit Vorbehalten und Ängsten, die ich verstehe. Aber, ich setzte hier auf Aufklärung."

    Kessler hatte die Grundzüge seiner Reform in der ersten Ferienwoche vorgestellt, entschwand dann in den Urlaub und überließ die Diskussion zuhause anderen. Elternvertreter und Lehrerverbände, die in der Ferienzeit wenig Gelegenheit hatten sich zu koordinieren, äußerten zunächst eine tief sitzende Skepsis. Die Eltern hegen Zweifel am pädagogischen Effekt einer längeren Grundschulzeit. Bernhard Strube, Sprecher der Landeselterninitiative für Bildung im Saarland:

    "Wir haben Zweifel, ob dieses eine Schuljahr die notorische Bildungsungerechtigkeit ausgleicht. Wir wissen andererseits aber auch, welchen Aufwand es mit sich bringen wird, das umzusetzen und was das für Schüler, Lehrer, Eltern, Schulträger und Verwaltungen bedeutet, welche Kräfte und Mittel da aufgebracht werden müssen, die würde man besser in die Verbesserung der Qualität von Unterricht und Lernen direkt investieren."

    Trotzdem glaubt der Minister, die negativ verlaufende Diskussion mit Beginn des Schuljahrs am kommenden Montag umbiegen zu können:

    "Die Elternstimmung wird von Lehrerverbänden und Interessengruppierungen gesteuert, da wird mit Vorbehalten und mit Ängsten gearbeitet. Deshalb versuchen wir nun in einer breiten Informationsphase die Eltern von der Vorteilhaftigkeit eines längeren gemeinsamen Lernens in einem fünften Grundschuljahr zu überzeugen."

    Der Bildungsminister selbst hat einschlägige Erfahrung mit Interessenverbänden. Jahrelang hat er der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW, als Landesvorsitzender gedient. Und die Lehrergewerkschaft hat sich stets für längere gemeinsame Lernphasen ausgesprochen, die es den Kindern ermöglichen, neun oder zehn Jahre gemeinsam zu verbringen, bis sie einen ersten Abschluss in der Tasche haben. Pikanterweise geht nun ausgerechnet die GEW auf Distanz zu ihrem langjährigen Vorsitzenden. Kesslers Reform führe in die Sackgasse. Sie verharre im Klein-Klein eines untauglichen Koalitionskompromisses, sagt sein Nachfolger an der GEW-Spitze, Peter Balnis.:

    "Es ist kein erster Schritt in den Einstieg eines längeren Lernens, sondern der erste Schritt in den Ausstieg. Weil die Regierungskoalition ja auch vereinbart hat, dass es bei fünf Grundschuljahren bleibt, und es keinen Schritt darüber hinaus geben wird."

    Balnis hat eine Diskussion vor Augen, die momentan in den Reihen der Regierungskoalition geführt wird. Weder in der CDU noch in der FDP gibt es Begeisterung für das fünfte Grundschuljahr. Aber während Ministerpräsident Peter Müller in seiner Partei die Auseinandersetzung über die Bildungspolitik mit dem Hinweis auf den Koalitionsvertrag noch im Zaum halten kann, sah sich der FDP-Landesvorsitzende und saarländische Wissenschaftsminister Christoph Hartmann bereits mehrfach genötigt, öffentlich Stellung zu beziehen:

    "Es ist so, dass es ein Kompromiss war. Schweren Herzens sind wir den eingegangen, denn es ist nicht Parteiprogramm der FDP ein fünftes oder ein sechstes Grundschuljahr einzuführen. Insofern, Koalition bedeutet Kompromiss, den sind wir eingegangen, aber wir sind nicht bereit, auch nur einen Millimeter weiter zu gehen."

    Damit will Hartmann der vom grünen Koalitionspartner propagierten Lesart entgegen wirken, das fünfte Grundschuljahr sei erst der Anfang. Weitere gemeinsame Jahre würden folgen, wenn die Zeit reif dafür wäre. Das sei sie aber nicht, zumindest nicht heute, behauptet die Opposition. Was nötig wäre, sei keine Debatte über Schulstrukturen, sondern eine Debatte über die Qualität in den Schulen. Ulrich Commercon, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion:

    "Die Verlängerung um ein Jahr bringt da überhaupt gar nichts. Das ist nicht unser Projekt, sondern ein Projekt, das aus einem faulen Koalitionskompromiss heraus geboren worden ist, eigentlich will das keiner."

    So mancher Abgeordneter aus den Reihen der CDU und der FDP setzt seine Hoffnung denn auch in die SPD. Denn diese kann die geplante Reform noch zu Fall bringen. Vor der Einführung eines fünften Grundschuljahres muss die Landesverfassung geändert werden, da die einzelnen Schulformen und ihre jeweilige Dauer Verfassungsrang genießen. Um die Verfassung zu ändern, bedarf es aber einer Zweidrittelmehrheit und dafür benötigt die Regierung Stimmen der Opposition. SPD und Linke lassen ihr mögliches Abstimmungsverhalten im Moment offen und warten darauf, in den angekündigten breiten Dialog des Bildungsministers eingebunden zu werden. Darauf wartet auch die Bevölkerung, die einen Volksentscheid über den saarländischen Sonderweg begrüßen würde:

    "Das würde ich gut finden."

    "Ja, auf alle Fälle, ich bin sowieso der Meinung, dass viel mehr Leute abstimmen sollten und nicht die Politik von oben herab so viel bestimmen sollte."

    "Obwohl wir keine kleinen Kinder mehr haben, das Volk soll mitentscheiden."

    "Volksabstimmungen bin ich generell dafür, ich wäre dabei."

    Eine Volksabstimmung auf Landesebene – ähnlich wie in Hamburg - ist im Saarland jedoch praktisch unmöglich, da die Hürden für ein Plebiszit außergewöhnlich hoch sind. Die Jamaika-Regierung hat jedoch versprochen, diese restriktiven Bestimmungen zu beseitigen. Auch das steht im Koalitionsvertrag.