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Bildung hinter Gittern

Viele jugendliche Straftäter haben Angst, nach der Haftstrafe wieder kriminell zu werden. Über die Hälfte haben nicht einmal den Hauptschulabschluss. Die Tagung "Prävention - Sanktion - Pädagogik" nimmt Schule im Strafvollzug in den Blick, um junge Häftlinge durch Bildung im Gefängnis wieder auf die grade Bahn zu bringen.

Von Thomas Wagner | 21.11.2012
    Ein junger Mann, Anfang 20. Halb lange Haare, heller Pullover, alles sauber und gepflegt. Niemand würde vermuten, dass er elf Monate im baden-württembergischen Jugendgefängnis Adelsheim verbracht hat, verurteilt wegen Raubes. Doch die Zeit dort hat der junge Mann sinnvoll genutzt.

    "Dann macht man erst mal so einen Aufbaukurs. Und wenn man die drei Monate rum hat, geht man in einen Hauptschulkurs rein. Man hat am Tag vier Stunden. Und der Rest wird auch auf Zelle gelernt. Man muss halt viel Hausaufgaben machen. In so einer Woche muss man schon einen guten Stapel wegschaffen."

    Im Gefängnis hat der junge Mann nicht nur Mathematik, Deutsch, Englisch und mancherlei mehr gepaukt. Zum ersten Mal in seinem Leben bekam er die Chance, das Lernen zu lernen.

    "In der JVA kann man sich wesentlich besser konzentrieren, nur auf die Arbeiten. Draußen ist mir das schwergefallen - zu viel Ablenkung drum herum."

    Für Professor Philipp Walkenhoerstvon ist das ein Paradebeispiel. Der Wissenschaftler beschäftigt sich an der Uni Köln mit der Art und Weise, wie Bildung hinter Gittern vermitteln wird - und was es da zu verbessern gilt. Dass viele straffällige Jugendliche im Gefängnis erst einmal das Lernen lernen, ist für ihn keine Überraschung.

    Um zu verhindern, dass solche jungen Menschen nach der Entlassung aufs Neue straffällig werden, müsse neben der berufsqualifizierenden Bildung auch die Vermittlung weiterer Fähigkeiten angeboten werden, die gerade jungen Straffälligen abgeht.

    "Frustration nicht aushalten können, Enttäuschungen nicht aushalten können, Blicke, Verhaltensweisen anderer Menschen als Angriff auf sich selbst deuten und sofort zurückschlagen, unmittelbaren Bedürfnissen sofort nachgeben, ich will jetzt alles ganz schnell, sich bedingungslos Gruppen anschließen, in denen auch das eigene Negativ-Verhalten positiv anerkannt wird. Das sind solche Defizite."

    Und die lassen sich nicht so leicht abbauen. Diese Form der Bildungsarbeit sei, meint Philipp Walkenhoerst, mindestens genauso wichtig wie die Weitergabe von Schulwissen. Dabei geht es um die Vermittlung von gesellschaftlichen Grundwerten, die gerade bei jugendlichen Straftätern nicht besonders hoch im Kurs stehen, deren Akzeptanz aber für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Der Kölner Forscher hat Modelle untersucht, wie diese Form der Bildungsarbeit trotzdem funktionieren kann. So schickte er kurzerhand seine eigenen Studierenden in den Knast.

    "Unsere Studenten machen da entweder Unterrichtsprojekte. Sie machen gleichzeitig viele freizeitpädagogische Projekte, zentriert um ein Thema: Candle-Light-Dinner, Kochkurs, Hundeleben - wie begegne ich Tieren? Um mit dieser Aktivität im Mittelpunkt drum herum viele Gespräche zu initiieren."

    Gespräche, die nicht Lehrer und Aufseher von oben herab mit den jungen Häftlingen führen, sondern Studierende auf Augenhöhe.

    "Die Gefangenen fragen die Studierenden dann: Was ist draußen los? Die sind ja gleich alt zum Teil. Die können sich da auf gleicher Ebene austauschen, und das bereichert ungemein."

    Ein anderes Modell zieht auf Demokratie-Erziehung ab. So gibt es in der Jugendvollzugsanstalt Adelsheim größere Wohngruppen, die über Freizeitaktivitäten, aber auch über die Akzeptanz von Bildungsangeboten demokratisch entscheiden. Wie wichtig solche flankierenden Maßnahmen sind, zeigt eine brisante Erhebung des Max-Planck-Institutes für ausländisches und internationales Strafrecht. Überraschendes Ergebnis: Schulbildung im Knast alleine schützt nicht vor dem Rückfall in neue Straffälligkeit. Gunda Wössner vom Freiburger Max-Planck-Institut:

    "Bildung im Vollzug schützt vor Rückfälligkeit, wenn auch noch andere Aspekte erfolgreich umgesetzt werden und berücksichtigt werden. Da gehört beispielsweise dazu, dass man mit den Leuten länger an den Veränderungen ihrer Einstellungen arbeitet."

    Doch selbst wenn es mit der Veränderung der Einstellung geklappt und der Häftling den Hauptschulabschluss geschafft hat, ist das noch kein Garant für eine erfolgreiche Resozialisierung. Nach elf Monaten Haft sucht der junge Mann mit dem halblangen Haarschnitt eine Leerstelle - vergebens.

    "Da steht zwar nicht drauf, wo ich den Schulabschluss gemacht habe. Also da steht nicht 'JVA' drauf. Aber: Die fragen halt schon nach: Warum ist das gerade von Adelsheim aus ausgestellt? Und dann bin ich meist ehrlich. Und dann findet man so gut wie nichts mehr."

    Ein Teufelskreis, in den Haftentlassene erst gar nicht erst hineingeraten dürfen, findet Thomas Rösch, Leiter der Justizvollzugsanstalt Freiburg. Die arbeitet mit einem freien Bildungsträger als Kooperationspartner zusammen.

    "Das ist in Freiburg die Abendrealschule des katholischen Bildungswerkes. Und aus den Zeugnissen geht überhaupt nicht hervor, dass die bei uns abgeschlossen wurden. Da steht dann: Abendrealschule des Katholischen Bildungswerkes, ein völlig neutrales Zeugnis."

    Überhaupt gilt das Freiburger Gefängnis als vorbildlich in Sachen Bildungsarbeit. In einem eigens eingerichteten Bildungszentrum können die Häftlinge nicht nur auf den Haupt- und Realschulabschluss büffeln, sondern auch Abitur machen oder gar studieren. Selbst aus anderen Bundesländern lassen sich studierwillige Häftlinge nach Freiburg verlegen; 30 von ihnen bekommen ihre Vorlesungen hinter Gittern. Anstaltsleiter Thomas Rösch:

    "Die sitzen bei uns und haben einen Bildschirm vor sich stehen, wo sie den Professor sehen, der fragen stellt. Und sie antworten. Das heißt, wir haben die moderne Form, dass bis zum Bachelor und Masterabschluss die Prüfungen bei uns abgelegt werden. Das ist ein ganz enormer Fortschritt."