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Bildungsmesse didacta
Inklusion braucht Konzepte

Das Thema der Inklusion ist im Alltag vieler Lehrerinnen und Lehrer schon angekommen. Allerdings fehlt es immer noch an zusätzlichen Ausbildungs- und Unterrichtskonzepten, die praxisfähig sind. Schulen und Hochschulen wünschen sich deshalb mehr Unterstützung aus der Politik.

Von Andrea Lueg | 19.02.2016
    Schüler im Klassenzimmer einer Grundschule in Wiesbaden
    Viele Schulen wünschen sich mehr Unterstützung bei der Aus- und Weiterbildung ihrer Lehrer. (imago / MIchael Schick)
    Inklusion ist neben der Integration von Flüchtlingen das ganz große Thema auf der didacta, dabei: so richtig getrennt werden die Bereiche gar nicht unbedingt. Denn der Inklusionsbegriff, das macht die didacta ganz deutlich, wird inzwischen viel breiter gefasst als noch vor ein paar Jahren. Es geht nicht mehr nur um die Integration von Behinderten in die Regelschule, sondern vielmehr um die Teilhabe von allen Schülern. Ein möglichst breiter Inklusionsbegriff ist Prof. Christian Fischer von der Uni Münster wichtig:
    "Wir haben da eine sehr starke Fokussierung an der Mittelmaßnorm und alle Schüler die da rausfallen sind in besonderer Weise von Ausgrenzung bedroht, insofern ist die Idee der Teilhabe eine, die für alle Schüler zutrifft. Natürlich auch für Schüler, die mehrfach außergewöhnlich sind, das ist zum Beispiel eine Zielgruppe, die im internationalen Raum sehr stark thematisiert wird, also Kinder mit einer Kopplung von Begabung und Beeinträchtigung oder talentierte Kinder mit Zuwanderungsgeschichte."
    Viele Schnittmengen also für die Themen Integration und Inklusion. Fischer hat auf dem Hochschultag mit Vertretern aus Praxis und Politik diskutiert, wie der Weg zum gemeinsamen Lernen aussehen kann. Dabei wurde deutlich: alle sind noch auf der Suche nach Konzepten, zum Beispiel für die Aus- und Weiterbildung der Lehrer. Soll man überhaupt noch Sonderpädagogen ausbilden? Wie kann man die jetzigen Lehrer und auch die Sonderpädagogen weiterqualifizieren? Wie können Hochschulen und Schulen dabei besser zusammenarbeiten?
    "Ich würde sagen, wir befinden uns noch in der Sensibilisierungsphase und vielleicht am Anfang der Qualifizierungsphase."
    Einig ist man sich darin, dass punktuelle Fortbildung nichts bringen. Vielmehr müsse sich der Blick auf die Kinder insgesamt verändern. So dürfen, so Fischer, Kinder nicht von ihren Lehrern etikettiert und in Schubladen gesteckt werden – Legastheniker sind so und so. Autisten können das und das nicht. Ganz entscheidend dabei seien die Teacher-Beliefs, also die Grundhaltungen von Lehrkräften gegenüber ihren Schülern.
    "Hab ich eine potentialorientierte Haltung, die zunächst mal auf die Stärken fokussiert und die Stärke auch zur Bewältigung von Schwierigkeiten nutzt, wir wissen auch, wie wichtig die Lehrer-Schüler Beziehung gerade im Hinblick auf gelingendes Lernen ist."
    Schulen brauchen neue Lehrkräfte
    Was auch ganz deutlich wird: alle sind auf der Suche nach guten Beispielen. Wie machen andere das mit der Inklusion, wo kann ich mir etwas abkucken? Die Sessions mit Best-Practice Beispielen sind daher immer gut besucht.
    Alexander Broll zum Beispiel hat von seiner Arbeit an der Paul-Moor-Schule in Landau erzählt, früher eine Schule für geistig Behinderte, heute eine Schule für ganzheitliche Entwicklung. Er hofft, "dass die Hochschule auch in die Schule kommt, nicht nur für die Studenten, dass sie was lernen, sondern dass das gesamte Konzept sich verändert, also reflektiert wird."
    Und von der Politik wünscht er sich, "dass sie an die Basis geht, dass sie nicht nur redet, dass die ein Praktikum machen, dass sie mitarbeiten, dass sie einfach da sind und dann die Erfahrungen mitnehmen. Es muss gefühlsmäßig andocken, was da passiert an der Basis und dann können sie auch nochmal anders reden."
    Schule, Hochschule und Politik – da prallen schon recht unterschiedliche Kulturen aufeinander. Aber wenn sie sich nicht alle zusammenraufen, dann wird die Inklusions-Revolution an den Schulen wohl nicht gelingen, so der Eindruck auf der didacta. Denn die Schulen brauchen von den Hochschulen neue Lehrkräfte, neue Lehrerausbildungs- und Unterrichtskonzepte, die praxisfähig sind. Und alle brauchen zum Beispiel die nötigen Ressourcen von der Politik. Auch in Beruf und Ausbildung geht es mit der Inklusion schrittchenweise voran. Und auch da beginnt man mehr auf die Kompetenzen zu schauen und weniger auf die Defizite.
    Lara Damborn zum Beispiel arbeitet für einen Online-Dolmetscherdienst für Gehörlose und Menschen mit Hörbehinderungen und sucht nun auch gezielt nach Menschen mit Behinderungen als Mitarbeiter.
    "Erst Ende Januar wurde die erste Ausbildung von blinden Schriftdolmetschern beendet, die dann eben danach als Dolmetscher arbeiten können für Landtage, Parlamente und für Bildungskunden und dann genau wie die sehenden Dolmetscher einfach alles in Echtzeit mitschreiben, mit Spracherkennung dann und so dann auch wieder Menschen, die eine Hörbehinderung haben unterstützen."
    Inklusion also in alle Richtungen gedacht – auch das gibt es auf der didacta.