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Bildungsministerin Johanna Wanka
"Hochschulen haben Gesetz missbraucht"

Um prekäre Beschäftigung an deutschen Hochschulen einzudämmen, hat der Bundestag die Reform des Gesetzes über Zeitverträge verabschiedet. Vorgesehen seien zwar Ausnahmen und der Verzicht auf Sanktionen, sagte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka im DLF. Aber das Verhalten der Hochschulen werde auf jeden Fall evaluiert.

Johanna Wanka im Gespräch mit Manfred Götzke | 17.12.2015
    Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) bei einer Sitzung des Bundeskabinetts.
    Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU). (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Manfred Götzke: Karriere in der Wissenschaft und Sicherheit – das war bisher ein Widerspruch in sich, denn in kaum einer privaten Branche geht es so prekär zu wie im staatlichen Wissenschaftssektor. Jeder zweite Arbeitsvertrag an den deutschen Unis hat derzeit eine Laufzeit von nur einem Jahr. Und wer dann irgendwann das seltene Glück hat, es auf eine Professorenstelle zu schaffen, der ist bei der Erstberufung im Schnitt bereits reife 42 Jahre alt. Ein Unding eigentlich, über das Jungforscher und Gewerkschaften seit Jahren klagen. Jetzt hat die Politik darauf reagiert. Heute entscheidet der Bundestag über ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Erarbeitet hat das Ganze Bundesforschungsministerin Johanna Wanka. Frau Wanka, die Laufzeit von Verträgen an den Hochschulen soll sich künftig im Wesentlichen daran orientieren, wie lange eine Promotion oder ein Forschungsprojekt andauert. Besonders verbindlich klingt das jetzt aber nicht.
    Johanna Wanka: Doch. Das heißt juristisch, dass begründet werden muss, wenn man davon abweicht. Und dafür muss es Gründe geben, dann kann das realisiert werden, aber das ist doch schon eine ganz schöne Hürde, die gab es bisher nicht. Da wurden eben diese Kurzzeitverträge einfach so mal geschrieben zulasten der jungen Leute oder der Mitarbeiter, und deswegen ist das schon jetzt eine ganz klare Forderung. Aber man kann nie so genau abschätzen bei Promotionen, braucht es drei oder vier Jahre oder etwas anderes, und ich glaube, es ist wichtig, dass man dort auch noch Spielräume hat vonseiten der Betreffenden, aber auch der Hochschule.
    "Verhalten der Hochschulen nicht unwichtig"
    Götzke: Bis heute weigern sich ja viele Hochschulleitungen, bei Dreijahresprojekten zum Beispiel auch Dreijahresstellen zu vergeben. Wie wollen Sie das künftig verhindern, wenn Ausnahmen von den langfristigen Verträgen ja ausdrücklich erlaubt bleiben?
    Wanka: Ausnahmen müssen auch erlaubt bleiben, wenn zum Beispiel jemand ein Drittmittelprojekt hat und das muss verlängert werden, oder wenn jemand nach Abschluss des Studiums die Chance hat, in einem Jahr oder so etwas zu realisieren, was für ihn eine Qualifikation bedeutet, dann muss das weiterhin möglich sein. Bis jetzt war es so, dass es keine Forderung gab an die Hochschulen, und jetzt sind die eindeutig formuliert, und die Hochschulen wissen auch, dass wir das Gesetz jetzt novellieren, hat den Grund, dass es eben in gewissem Maß auch missbraucht wurde. Und deswegen werden wir sehr darauf achten, und ich glaube, auch die Hochschulleitungen, im Sinne von Personalentwicklungskonzepte-Gestalten und auch, wenn es darum geht, später Tenure-Track-Programme oder anderes. Dann ist für uns das Verhalten der Hochschulen in diesen Punkten nicht unwichtig.
    Sinnvolle Flexibilität
    Götzke: Wie wollen Sie das dann sanktionieren, wenn sie gegen diese Regeln verstoßen und die Ausnahmeregelungen ausnutzen für sich?
    Wanka: Sanktionieren können wir es nicht. Man kann es sozusagen zur Kenntnis nehmen, aber dass wir jetzt eine Strafaktion oder was anderes – aber wir werden es auf jeden Fall evaluieren, und wir werden schauen, ob dann in ein, zwei Jahren weiter Nachbesserungsbedarf besteht, oder ob es genau die Anforderungen, die wir erwarten, oder das, was wir erwarten, dass dieses Gesetz das erfüllt. Und ich unterstelle ja auch den Hochschulleitungen nicht, dass das geschah in böser Absicht, sondern es war einfach verführerisch. Und ich verstehe auch, weil ich lange Jahre selbst Rektorin war, dass die Chefs oder Chefinnen der Hochschulen auch Flexibilität wollen. Aber das ist so zulasten der Mitarbeiter gegangen, dass es nicht tragbar ist.
    Götzke: Ja, das "wissenschaftliche Prekariat" ist ja ein geflügeltes Wort geworden.
    Wanka: Ich verwende es nie, aber manche immer.
    Götzke: Der rot-grün dominierte Bundesrat, der wollte erreichen, dass Befristungen bei Erstverträgen nicht unter 24 Monaten liegen, also zwei Jahren. Was sprach aus Ihrer Sicht dagegen?
    Wanka: Ganz einfach meine Lebenserfahrung. Dass es völlig unsinnig wäre, sage ich mal so drastisch, unsinnig wäre zu sagen, es muss immer zwei Jahre gehen, eine Befristung. Es kann sehr sinnvoll sein, ein Jahresprojekt an einen Masterstudiengang anzuschließen. Es kann sehr sinnvoll sein, gleich ein kleineres Projekt zu haben, und es ist auch notwendig, dass an den Hochschulen flexibel reagiert werden kann – habe ich jetzt zum dritten Mal gesagt, ist mir aber wirklich wichtig, und deswegen bin ich da an dieser Stelle nicht der Meinung.
    Kooperationsverbot für Schulen
    Götzke: Frau Wanka, blicken wir noch auf ein zweites wichtiges Thema, das Kooperationsverbot. Geht es nach der SPD, soll es auch für die Schulen aufgehoben werden, sprich der Bund soll künftig auch in die Schulen stärker investieren können. Wären Sie bereit, da mitzumachen?
    Wanka: Also bis jetzt, Herr Götzke, habe ich noch nie – und ich bin viele Jahre im Geschäft – ein Angebot gehört vonseiten der Länder, egal ob die jetzt grüne Ministerpräsidenten oder rote oder schwarze hatten, dass der Bund Kompetenzen im Schulbereich bekommen soll. Sondern es ist immer das Gegenteil der Fall, es wird als Kernkompetenz der Länder, wo man streng darauf achtet, dass man nicht vonseiten des Bundes daran rüttelt. Was man aber gern möchte, das ist Geld vom Bund. Und wir wollen natürlich, wenn wir Finanzmittel zur Verfügung stellen, auch Einfluss haben. Und deswegen ist so ein Rüberreichen des Geldes in jeder Weise unattraktiv und erfüllt überhaupt nicht die Erwartungen, die vielleicht viele in der Bevölkerung mit so einer Vokabel verbinden.
    Götzke: Geht es denn bei dem Thema um Attraktivität für eine Bundesministerin?
    Wanka: Es geht darum, dass der Bund natürlich auch nur in begrenztem Maße über Gelder verfügt und dass er sie so einsetzen muss, dass es für den Standort Deutschland insgesamt ein Gewinn ist. Und wenn er nicht mit verfügen kann, entscheiden kann, wofür die Gelder eingesetzt werden – wir haben es jetzt ja gerade gesehen bei den BAföG-Mitteln. Die BAföG-Mittel, die wir praktisch dadurch, dass wir es übernommen haben, zur Verfügung stellen, würden reichen, um die Grundfinanzierung aller Hochschulen in der Bundesrepublik Deutschland dauerhaft etwas zu erhöhen, um drei Prozent oder fünf Prozent sogar. Und an vielen Stellen kommt das gar nicht im Hochschulbereich an. Und das sind Erfahrungen, die nicht nur mich betreffen, das hat jetzt nichts mit der Bundesministerin zu tun, die auch bei den Fraktionen nicht gerade angenehm aufgenommen wird. Und deswegen wollen wir weiterhin unterstützen, Geld geben, aber immer mit einer klaren Möglichkeit, überprüfen zu können und Vorschläge machen zu können, und nicht einfach Geld rüberreichen.
    "Wir sind leistungsstark"
    Götzke: Zwei Themen stehen da ja ganz konkret im Raum: Das eine ist der Sanierungsstau bei den Schulgebäuden. Die Städte und Gemeinden, die sagen, 32 Milliarden Euro fehlen, und es fallen ja nicht nur in Berlin die Schulen auseinander. Muss der Bund da was geben, muss der Bund bezahlen?
    Wanka: Nein. Das föderale System hat sich bewährt. Wir sind leistungsstark. Und an der Stelle kann doch nicht jemand jahrelang seine Verantwortung nicht in dem entsprechenden Maß wahrnehmen und dann erwarten, dass ein Dritter einfach in diese Finanzverantwortung eintritt. Und das ist nicht Aufgabe des Bundes, jetzt für die Schulgebäude bundesweit den Nachholbedarf zu finanzieren.
    Götzke: Die Schulen klagen ja schon seit Monaten über eine völlige Überforderung der Flüchtlingskinder. Da geht es ja nicht nur um höhere Schülerzahlen. Flüchtlingskinder sprechen ja zudem kaum Deutsch, sie sind manchmal auch traumatisiert. Wollen Sie Kommunen und Länder da allein lassen?
    Wanka: Nein. Ich denke, das wissen Sie auch aus den Verhandlungen der Bundeskanzlerin mit den Regierungschefs, dass wir im Milliardenbereich unterstützen, dass wir gerade auch Gelder zur Verfügung stellen pro entsprechendem Flüchtling, der ankommt, dass wir zum Beispiel das Bafög jetzt nach 15 Monaten zahlen. Dass wir bereit sind, wenn es um Unterkünfte geht, um anderes, Sachleistungen, über die Bundeswehr zu leisten, aber auch direkt in Finanzen, und dass wir da, wo wir Kompetenzen haben, zum Beispiel Sprachausbildung, Integrationskurse, verdreifacht und vermehrfacht haben die Angebote. Dass wir von meinem Haus aus zum Beispiel Sprachunterricht über die Volkshochschulen, Lernbegleiter finanzieren, oder, weil Sie die Kommunen ansprachen, wir werden finanzieren ab 2016, dass es möglich ist, in allen Landkreisen und in allen kreisfreien Städten, einen Koordinator zu finanzieren, der vor Ort die Bildungsangebote, die jetzt für Flüchtlinge da sind, zu koordinieren in diesem Landkreis, als ganz praktische Hilfe.
    Große Hürden
    Götzke: Sprechen wir aber ganz praktisch noch mal über die Schulen selbst. Der Bundeslehrerverband, der fordert zusätzlich 50.000 Lehrer, um die mehreren Hunderttausend Flüchtlingskinder, die in den nächsten Jahren in die Schulen kommen werden, um die zu unterrichten. Können das die Länder denn überhaupt alleine leisten? Also, wir sprechen jetzt nur über die Schulen.
    Wanka: Die Zahl der benötigten Lehrer, die können nur die Länderminister, das heißt, es kann nur in der Kultusministerkonferenz belastbar belegt werden. Das haben wir nicht, und ich kenne auch keine belastbare Zahl aus der KMK. Ich weiß aber, dass alle Länderminister Großartiges leisten und sich bemühen, die notwendigen Lehrer durch Rückrufaktionen aus dem Ruhestand, durch Verkürzung der unnötigen Wartezeit in der Referendariatszeit, um damit Lehrkräfte für die Schule zu gewinnen. Das machen alle Länder, und das ist eine große Leistung, die wir auch wirklich wahrnehmen und schätzen. Aber Zahlen, Forderungen, so viel Tausend, so viel Tausend, da können Sie nur bei der Kultusministerkonferenz belastbare Zahlen bekommen.
    Götzke: Dennoch, das sind ja kurzfristige Ansätze. Die Flüchtlinge werden ja nicht nach ein, zwei Monaten weggehen.
    Wanka: Nein, natürlich nicht. Wenn sie jetzt in der Schule sind, sind wir mit Geldern mit darin, um ihnen Perspektiven für eine berufliche Ausbildung zu eröffnen – Bildungsketten, Potenzialanalyse. Was in den Schulen für Hunderttausende zur Verfügung steht, steht voll zur Verfügung für die Flüchtlingskinder, und wir wissen, dass es Wirtschaftsunternehmen gibt, die bereit sind und signalisieren, wir möchten gern jemanden einstellen, wir wissen aber, dass es große Hürden gibt. Und deshalb gehen wir in Millionenhöhe im nächsten Jahr gerade in den handwerklichen Bereich von meinem Haus, um dort junge Flüchtlinge für Berufe zu werben, vorzubereiten, sodass sie dann einen Ausbildungsplatz bekommen, damit Ausbildungsvergütung, damit Bleibemöglichkeiten auch, temporär zumindest, in Deutschland.
    Götzke: Der Bund wird nicht in die Schulen investieren, jedenfalls so lange nicht, wie die Länder in dem Bereich alles selbst entscheiden wollen, sagt Johanna Wanka, die Bundesforschungsministerin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.