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Bildungsplan in Niedersachsen
Kampf um sexuelle Vielfalt im Schulbuch

Dürfen Lesben, Schwule und transsexuelle Menschen als Referenten in den Unterricht gehen und mit jungen Menschen über sexuelle Vielfalt diskutieren? Sollen Kinder entsprechende Schulbücher bekommen? Der Streit, den auch schon andere Landesregierungen gegen Kritiker aus der Kirche und verschiedener Verbände ausfechten mussten, erreicht nun Niedersachsen.

Von Alexander Budde | 16.12.2014
    Ein homosexuelles Paar, das in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebt, mit seinen zwei Kindern bei einem Familienausflug am 11.04.2013 in Berlin.
    Ein homosexuelles Paar mit zwei Kindern: Sollen sich Schüler mit der sexuellen Vielfalt einer lieberalen Gesellschaft im Unterricht beschäftigen? Eine Streitfrage - nun auch in Niedersachsen. (picture alliance / ZB / Jens Kalaene)
    Mitunter lodert auch bei kühlen Norddeutschen so etwas wie Leidenschaft in der politischen Debatte auf.
    "Das heißt also Ehe und Familie, das von den meisten Menschen bevorzugte Lebensmodell, dass sogar vom Grundgesetz geschützt wird, wäre dann eben nur eines von vielen möglichen. Und da frage ich Sie: Wollen Sie das wirklich?"
    Der Antrag öffne Tür und Tor, weil er keine Grenzen setze, den Lehrern jegliche Kontrolle über den Auftritt externer Partner entziehe, wettert Karin Bertholdes-Sandrock im Landtag los. Ihre CDU-Fraktion wird am Ende als einzige dagegen stimmen. Und Bertholdes-Sandrock spricht von der Hetero-Normalität, die man ins Abseits dränge, damit Jugendliche die anders fühlen, in ihrer Entwicklung keinen Schaden nehmen. Die CDU-Frau wähnt ihren Finger am Puls, sie spricht von ihrem Unbehagen bei der Lektüre von Schulbüchern zum Thema, die bereits in anderen Bundesländern kursieren.
    "Das sind Illustrationen, die niedersächsische Eltern – und nicht drei oder fünf – sondern Zigtausende empört haben – und die sich große Sorgen machen."
    Da mag Kultusministerin Frauke Heiligenstadt von der SPD noch so oft betonen, dass der Antrag mitnichten darauf abziele, sich in die Aufklärung der jungen Leute durch deren Eltern einzumischen. Auch den Lehrer werde das Heft nicht aus der Hand genommen, versichert die Ministerin. Vielmehr sei die Schule der richtige Ort, um gegen Vorurteile anzugehen, um Jugendlichen Halt zu geben, auch in der Begegnung mit Schwulen und Lesben.
    Björn Fösterling ist Jahrgang 1982. Auch der bildungspolitische Sprecher der FDP-Fraktion sieht sich zum Dementi gezwungen. Fösterling stellt klar, dass weder die frühe Sexualisierung junger Menschen noch die Vermittlung von Sexualpraktiken beabsichtigt sei.
    Landesschülerrat für mehr "sexuelle Vielfalt"
    "Wir vertreten die Auffassung, dass die sexuelle Identität eines Menschen weder durch das Elternhaus noch durch die Schule anerzogen werden kann., aber jungen Menschen kann durch ein Umfeld von Akzeptanz und Toleranz dabei geholfen werden, ihre sexuelle Identität zu erkennen, sich nicht selbst zu verleugnen, sondern zu sich zu stehen."
    Unsere Gesellschaft ist bunt und vielfältig, bemerkt Julia Hamburg von den Grünen. Und sie fordert, "dass sich jedes Kind mit seiner Lebenssituation im Schulbuch wiederfindet. Und das die Arbeitsblätter nicht nur eine vierköpfige Familie mit Hund und Reihenhaus darstellt, sondern eben auch eine Patchworkfamilie, deren Oma im Libanon lebt, und dem schwulen Lehrer, der Nachbar, der mit seinem Freund regelmäßig mal auf dieses Kind aufpasst, weil die Oma halt im Libanon wohnt!"
    In einer Stellungnahme vorab hatte sich der Landesschülerrat für mehr "sexuelle Vielfalt" im Lehrplan ausgesprochen, verbunden mit der Aufforderung, Lehrer für das Thema besser zu qualifizieren, damit sie für Jugendliche ein besseres Verständnis entwickeln. Die Pädagogen selbst reagierten teils wohlwollend, teils besorgt, weil weitere Belastungen des Schulalltags fürchtend.
    Björn Fösterling gibt am Ende Persönliches preis. Er sagt, dass ihm ein tolerantes Umfeld sehr geholfen hätte. Doch dem FDP-Mann waren Initiativen wie "SchLAu" versagt geblieben. Das Aufklärungsnetzwerk von Schwulen und Lesben schickt seine Referenten zum Beispiel an Projekttagen zum Thema Liebe und Sexualität in die Schulen.
    "Mir war im Alter von 13 schon klar, dass ich homosexuell bin. Und ich habe bis zu meinem 28. Lebensjahr damit gewartet, an die Öffentlichkeit zu gehen. Und das hat unter anderem damit zu tun gehabt, dass es in der Schule bei mir so etwas gar nicht gab. Es gab keinen geouteten Lehrer, es gab keinen anderen geouteten Schüler. Es gab so etwas wie das Schulaufklärungsprojekt 'SchLAu' nicht. Also, von daher habe ich das alles für mich behalten."