Freitag, 29. März 2024

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Bildungspolitik unter Jamaika
Kooperation statt Kleinstaaterei

Der Bund müsse Steuerüberschüsse in mehr Bildung und Forschung zurückgeben, sagte Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Dlf. Ziel sei ein kooperativer Bildungsföderalismus unter den 16 Bundesländern und eine höhere Leistungsfähigkeit des Bildungssystems im internationalen Vergleich.

Kai Gehring im Gespräch mit Manfred Götzke | 29.09.2017
    Ein Parteimitarbeiterin arrangiert am 14.06.2017 in Kiel (Schleswig-Holstein), vor einer Pressekonferenz im Landeshaus den Aufsteller der FDP. Zu sehen sind die Aufsteller der Parteien CDU, Bündnis 90/Die Grünen und FDP .
    Unter einer Jamaika-Koalition wollen die Grünen das Kooperationsverbot kippen - es gehe um Bildung als gesamtstaatliche Aufgabe. (picture alliance / dpa / Carsten Rehder)
    Manfred Götzke: Wie offen die andere kleine Partei, die Grünen, in die Sondierungsgespräche mit Gelb und Schwarz gehen werden oder gehen würden – noch ganz klar ist es ja nicht – und welche Akzente sie unter einer Jamaika-Flagge setzen würden, das möchte ich mit Kai Gehring besprechen, hochschulpolitischer Sprecher bei den Grünen. Herr Gehring, die Grünen gehen mit einem 14-köpfigen Verhandlungsteam in die Sondierungsgespräche, da sitzen weder Sie noch irgendein anderer Bildungspolitiker drin. Ist Bildung bei den Verhandlungen Ihnen nicht so wichtig?
    Kai Gehring: Das Thema Bildung und Forschung war bei uns im Wahlprogramm und auch im Wahlkampf wichtig, weil es zum einen eine Modernisierungsbotschaft hat. Wir wollen die Bildungsinstitutionen, die Infrastrukturen des Wissens auf die Höhe der Zeit bringen. Wir sehen, wie sehr die Menschen die Bildungsungerechtigkeit im Land umtreibt, deshalb hat es auch eine Gerechtigkeitsbotschaft, die Bildungsspaltung zu überwinden, mehr Chancen für alle zu organisieren – Aufstieg durch Bildung, das sind grüne Themen. Und Cem Özdemir beispielsweise hat ja auch immer wieder zum Thema Bildung in den letzten Jahren sich geäußert und gearbeitet, und deswegen können Sie davon ausgehen, dass das Feld für uns auch eine Bedeutung, eine große Bedeutung in den Koalitionsgesprächen hat, wenn es dazu kommt.
    "Schule als partnerschaftliche und gesamtstaatliche Aufgabe"
    Götzke: Herr Gehring, Sie haben die Chancengerechtigkeit genannt, unter anderem wollen Sie ja sich für längeres gemeinsames Lernen einsetzen. Werden Sie das mit einer Union und einer FDP, die in der Regel für Dreigliedrigkeit im Schulsystem und Standardgrundschulen sind, realisieren können?
    Gehring: Der Bund macht ja keine Schulpolitik, aber ich würde mir sehr wünschen, dass wir gemeinschaftlich Fortschritte beim Kooperationsverbot hinkriegen. Als Grüne wollen wir das seit 2005 in Gänze kippen und eben auch eine Bildungsrepublik und ein Innovationsland bauen, deshalb muss auch Bildungspolitik, Schule partnerschaftliche und gesamtstaatliche Aufgabe werden zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Das heißt, der Bund, der jetzt ja gerade auch große Steuerüberschüsse hat, muss die Mittel in mehr Bildung und Forschung zurückgeben können. Es kann nicht darum gehen, dass wir einen Wettbewerb zwischen 16 Bundesländern haben, sondern eine höhere Leistungsfähigkeit im internationalen Vergleich unseres Bildungssystems hinkriegen. Die Menschen wollen einen kooperativen anstelle eines konfrontativen Bildungsföderalismus, also auch mehr gemeinsame Standardsätze und Vereinheitlichung, anstatt die bisherige Kleinstaaterei zu konservieren.
    "Irrsinn des Kooperationsverbotes"
    Götzke: Sie haben viele Punkte genannt, ich will mal einen rausgreifen: das Kooperationsverbot. Da sind Sie einig mit der FDP, die FDP will es ja auch abschaffen oder aufweichen, die Union will das nicht. Wie wollen Sie da zusammenkommen?
    Gehring: Na ja, die Union hat sich in der Vergangenheit ja doch auch immer wieder mal beweglich gezeigt mit einigen Jahren Verspätung. Wir wollen als Grüne seit 2005 diesen Irrsinn des Kooperationsverbotes in Gänze abschaffen, und die FDP hat das Thema im Wahlkampf auch stark gemacht. Hier wäre es gut, wenn die Union sich bewegt.
    Götzke: Wobei das ja nicht alle Grünen wollen. Sie haben ja da einen Ministerpräsidenten, der da anderer Überzeugung ist, der übrigens auch in dem Verhandlungsteam sitzt, Herrn Kretschmann.
    Gehring: Wir können bei jeder Partei Einzelne nennen, die davon noch nicht überzeugt sind. Nichtsdestotrotz brauchen wir eine Zweidrittelmehrheit …
    Götzke: Ist ja nicht ganz unwichtig.
    Gehring: … im Bundestag und im Bundesrat, und die SPD, die sich ja 2005 für das Kooperationsverbot im Grundgesetz ausgesprochen hat, hat hier dazugelernt und wäre jetzt hoffentlich da auch Partner im Bundestag oder im Bundesrat, um diese Zweidrittelmehrheit für eine gänzliche Ablösung des Kooperationsverbotes hinzubringen.
    "Stärkung des dualen Systems einlösen"
    Götzke: In Nordrhein-Westfalen, wo zurzeit eine FDP-Ministerin für Bildung zuständig ist, wird laut über Studiengebühren nachgedacht. Es soll eine Anwesenheitspflicht an den Hochschulen wieder eingeführt werden, Förderschulen sollen erhalten werden, statt auf Inklusion zu setzen, alles Dinge, die Ihren Ideen so ziemlich widersprechen. Wie wollen Sie es im Bund schaffen, Ihre Akzente gegenüber einer FDP und auch gegenüber einer Union durchzusetzen?
    Gehring: Also sowohl in den Sondierungen als auch in möglichen Koalitionsgesprächen gibt es keinen Bereich, der einfach wird, weil man an vielen Stellen auch konzeptionell diametral entgegensteht. Das ist beispielsweise bei Inklusion, das ist aber auch beim Thema Studiengebühren so, die wir weiter ablehnen. Was zum Beispiel eine Perspektive wäre für dieses Bündnis, dass wir neben der akademischen Ausbildung auch wirklich viel mehr tun für die berufliche Ausbildung. Da hat Frau Wanka in den letzten Jahren nämlich nichts hingebracht, und auch beim Berufsbildungsgesetz gab es einfach keinen Fortschritt. Deshalb wäre es wichtig, dass man wirklich eine Stärkung des dualen Systems mit einer Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung nicht nur betont, sondern auch einlöst. Und ansonsten müssen wir wirklich gucken, wie wir die genannten Konfliktbereiche auch lösen. Ich hoffe, dass das geht. Insgesamt ist es so: Wenn es nicht reicht, dann reicht es nicht, und dann gibt es auch keine Koalition mit den Grünen.
    "Erst mal im Ausbildungsbereich vorankommen"
    Götzke: Sie haben es ja gesagt, die Studiengebühren, die will die FDP ja auch auf Bundesebene den Hochschulen ermöglichen, nachgelagerte Studiengebühren denen das freistellen – ist das für Sie die rote Linie?
    Gehring: Wir haben als Grüne in den verschiedenen Koalitionen der letzten Jahre Studiengebühren abgeschafft, darauf sind wir auch stolz, und für uns gibt es überhaupt keinen Grund, jetzt da eine neue Debatte anzuzetteln oder über irgendwelche Studiengebührenmodelle im Bund zu diskutieren. Braucht man nicht, die Grundfinanzierung der Hochschulen ist anders zu stärken. Und wenn man jetzt Akademikerinnen und Akademiker, die erfolgreich sind, stärker am Gemeinwohl oder an der Grundfinanzierung der Hochschulen beteiligen will, dann kann man das zum Beispiel über einen höheren Spitzensteuersatz. Man sollte eher jetzt mal gemeinschaftlich drüber nachdenken, wie man im Ausbildungsbereich vorankommt. Da müssen viele junge Menschen ordentlich Geld erst mal mitbringen, bevor sie in eine berufliche Ausbildung machen können. Da liegt einiges im Argen, gerade auch wenn man sich Pflege- und Sozialausbildungen anguckt im Gesundheitsbereich, das kann so nicht bleiben. Deshalb müssten wir da eher gucken, dass wir da mit der Perspektive Beitragsfreiheit drangehen.
    Götzke: Also rote Linie?
    Gehring: Ich sehe keinen Grund, über Studiengebühren in dieser Republik noch mal neu zu diskutieren. Das braucht kein Mensch.
    Grüne: "Sehr klare Priorität auf Bildung und Forschung"
    Götzke: Die amtierende Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, die hat schon angekündigt, dass sie nicht mehr das Amt weiter übernehmen möchte. FDP und Ihre Partei haben beide die Bildung im Wahlkampf ziemlich nach oben gezogen. Läuft da jetzt schon der Kampf um das Bundesbildungsministerium?
    Gehring: Wir müssen jetzt ja erst mal warten, bis die Union sich sortiert. Dann wird es Sondierungen geben, wenn diese Sondierungen überhaupt erfolgreich laufen, kommt man in Koalitionsgespräche, und Sie wissen auch, dass dann eigentlich frühestens am Ende solcher Koalitionsgespräche über Ressortverteilungen gesprochen wird. Wer die Personen sind, die das dann maßgeblich machen, das steht am Ende, und so weit müssen wir überhaupt erst mal kommen, weil wir da Bewegung auf allen Seiten brauchen. Kein Partner kann hier sich verbiegen, und wir haben als Grüne einen sehr klaren Akzent und eine sehr klare Priorität auf Bildung und Forschung gelegt, weil das mehr für soziale Gerechtigkeit im Land bringt und für Leistungsfähigkeit.
    Götzke: Sagt Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen. Mit ihm sprach ich über Bildung unter einer möglichen Jamaika-Koalition.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.