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Bildungsreise im 18. Jahrhundert
Ein Jüngling im Zauber der Berge

In einer Zeit, in der das Reisen ein Privileg der wohlhabenden Schichten war, reiste der junge russische Aristokrat Graf Paul Stroganov zwischen 1786 und 1790 durch Europa. Besonders die alpine Bergwelt hatte es ihm angetan - eine Mischung aus Schreckhaftem und Schönem.

Von Valentina Smekalina | 29.03.2020
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Mit seinen Reisegefährten steigt Paul Stroganov auf den Gletscher Montanvert, der heute als Mer de Glace bekannt ist. (picture alliance / akg-images)
Ein Jugendlicher von 15 Jahren steht auf einem Gletscher hoch in den französischen Alpen. Fasziniert schaut er hinauf, auf den weißen Riesen Mont-Blanc. Vor ihm ragen die kristallklaren Eispyramiden des Mer de Glace ihre scharfkantigen Spitzen in die Höhe.
In einer gleichen Fülle und Pracht kann leider heutzutage keiner von uns mehr diesen Anblick genießen. Denn das Ganze geschieht im Jahr 1787, noch während der sogenannten "kleinen Eiszeit", als sich die Alpengletscher noch nicht zurückgezogen haben. Und der Jüngling im Zauber der Berge ist ein russischer Aristokrat – Graf Paul Stroganov, Jugendfreund vom russischen Kaiser Alexander I. und später Held des Napoleon-Krieges.
Paul Stroganov auf den Gletscher
Im Tagebuch, das er während seiner Bildungsreise nach Europa 1786-1790 fleißig führt, hält der junge Graf seine Begeisterung für die unberührte Bergwelt fest. So beschreibt er einen anderen Mont-Blanc Gletscher, den Taconnaz:
"Dieser prachtvolle Gletscher besteht aus Eispyramiden aller Arten und Formen, zumindest im Teil, den wir gesehen haben. Davon gibt es auch solche, die mit einer majestätischen Eiskappe gekrönt sind."
Mit seinen Reisegefährten steigt Paul Stroganov auf den Gletscher Montanvert, der heute als Mer de Glace bekannt ist und an den Nordhängen des Mont-Blanc-Massivs liegt. Um ein Haar von einem Steinschlag erwischt, endlich oben angelangt und atemlos, bewundert er die schlanke pfeilartige Aiguille du Dru:
"Die Majestät dieser Bergspitze ist unbeschreiblich. Sie erinnert mich so sehr an die alten gotischen Bauwerke, dass ich vermute, dass die Schöpfer der Gotik ihre Inspiration in den Alpen gefunden haben müssen."
So vereinigt die Imagination des jungen Russen die Spitzen der gotischen Kathedralen mit den alpinen Gipfeln.
Schreckhaft und schön zugleich
In einer Zeit wo Reisen immer noch eine Seltenheit und eher ein Privileg der gebildeten und wohlhabenden Schichten war, wurden auch die Reiseerlebnisse mit einer besonderen Intensität und Schärfe empfunden. Graf Paul Stroganov nimmt die alpine Bergwelt als eine Mischung aus Schreckhaftem und Schönem wahr. Als eine Kraft, die über dem Menschen steht:
"…der Pfad steigt hinauf. Von einer Seite öffnet sich uns eine sehr tiefe Schlucht, im deren Grunde man die Wässer der Arve schäumen sieht. Die Berge sind geschmückt von herrlichen Tannen. Es ist erstaunlich, auf welch´ steilen Hängen diese riesigen Bäume wachsen und wie wenig Boden sie für sich haben, um ihre Wurzeln auszustrecken. Fast alle Felsen in dieser Gegend sind reinster Granit. Die Natur ist hier so wild, dass man glaubt, alleine auf dieser Welt zu sein."
Altes Brot und Bergkäse
Überwältigt und erschöpft, findet der vornehme Reisende und seine Gefährten Zuflucht in der einfachen Hütte eines Alpsenns. Und dort wird dem jungen Grafen ein Mahl angeboten, wie er es vermutlich nie in seinem Leben gekostet hat. Bergkäse und versteinertes Brot – Stroganov schreibt, dass dieses Brot wohl vor einem Jahr gebacken wurde!
Aber so groß ist sein Hunger und so anspruchslos ist er während seiner Alpenreise geworden, dass auch dieses Essen ihm vortrefflich und ausreichend scheint. "So habe ich die Freuden des einfachen Lebens von diesem guten Hirtenvolk gelernt", notiert er.