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Bildungsstandards zwischen Wunschdenken und Alltag

In Hamburg haben sich Lehrkräfte, Schulleiter und Vertreter von Behörden über die Auswirkungen von Bildungsstandards im Schulunterricht ausgetauscht. Die meisten begrüßen die Entwicklung, doch es gibt noch viel zu tun.

Von Verena Herb | 07.09.2012
    Die Aula des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung ist gut gefüllt. Über 150 Lehrerinnen und Lehrer, Schulleiter und Vertreter von Behörden aus den norddeutschen Bundesländern sind nach Hamburg gekommen, um sich auszutauschen. Das Thema: die Bildungsstandards, die bundesweit für die Primarstufe, also die Klassen 1 bis 4 und in der Sekundarstufe eins bis Klasse zehn, eingeführt wurden. Rund acht Jahre ist es her, dass die Kultusministerkonferenz einheitliche Bildungsstandards für fast alle Schulfächer, vor allem aber Mathe, Deutsch und Englisch sowie die Naturwissenschaften, entworfen hat - die es seither gilt, in Bildungsplänen festzuschreiben. Diese seien bereits in allen Bundesländern angepasst worden, erklärt Ties Rabe, Hamburgs Schulsenator und Präsident der Kultusministerkonferenz KMK. Nun gilt es, diese auch im Unterricht umzusetzen:

    "Diese Einbindung ist schon sehr weit. Natürlich muss so was, was von oben über Lehrpläne vorgegeben ist, auch erstmal wirken. Der Unterricht muss verändert werden, die Lehrerinnen und Lehrer müssen sich darauf einstellen. Das ist kein Prozess, der von heute auf morgen gelingen kann."

    Denn die Lehrpläne müssen schließlich von den Lehrerinnen und Lehrern umgesetzt werden. Und nach Meinung vieler Teilnehmer des heutigen Treffens gibt es da noch einigen Handlungsbedarf. Stefanie von Berg ist seit 16 Jahren Lehrerausbilderin und weiß:

    "Ganz viele Lehrerinnen und Lehrer haben ihren Unterricht noch nicht darauf umgestellt. Also die unterrichten nach wie vor, so wie sie es früher auch schon getan haben. Es erfordert wirklich eine neue Lernkultur. Und das ist von Schule zu Schule übrigens sehr unterschiedlich. Das ist gar nicht von Bundesland zu Bundesland, sondern es ist von Schule zu Schule, manchmal sogar von Klasse zu Klasse unterschiedlich."

    Ähnliche Erfahrungen macht auch die Gudrun Wolters-Vogeler. Sie ist Leiterin der Grundschule Lange Siepen in Hamburg-Hausbruch, zeigt sich aber etwas optimistischer als ihre Kollegin:

    "Es gibt natürlich Leute, die bewegen sich schneller. Die nehmen den Ball sofort auf und spielen weiter. Und andere, die halten ihn erstmal und sagen: Oh, ob sich das bewährt. Aber ich glaube, die Tendenz ist schon fast nicht mehr da. Zwischenzeitlich sind die wirklich angekommen."

    Ziel der einheitlichen Bildungsstandards ist eine Angleichung des Bildungsniveaus. Dass man die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler dadurch besser miteinander vergleichen kann - auch das ist ein Vorteil, der von dem Gros der Anwesenden begrüßt wird:

    "Man braucht schon eine Richtschnur, wo man sagt: Das soll eigentlich das sein, was Schüler können. Es kann nicht in der Hand des einzelnen Lehrers sein, zu sagen: Das müssen die Schüler können und das müssen sie nicht können. Denn dann würde es heißen, dass jede Schule komplett anders ist. Ich denke schon, dass es gut ist, dass man weiß: Das ist das, wohin alle Kinder kommen sollen."

    "Es kann nicht sein, dass Schülerinnen und Schüler in einem Bundesland ein Jahr weiter sind, obwohl sie in der gleichen Klasse sind, wie in dem Nachbarbundesland. Wir brauchen hier klare Verabredungen, was man lernen kann, was man lernen soll und auf welchem Niveau sich das abspielt."

    Im Verlauf der Diskussion hat sich in den vergangenen Jahren herausgestellt: Man braucht nicht nur klare Verabredungen über die geltenden Standards, sondern um die zu erreichen, muss sich auch eine neue Art des Unterrichts durchsetzen. Ties Rabe:

    "Ein Unterricht, der dazu führt, dass Schülerinnen und Schüler nicht Wissen pauken, sondern im Großen und Ganzen nachdenken können, anwenden können, Lösungswege entdecken. Das ist ein nicht einfacher Schritt und das Schulsystem muss sich daran erst langsam gewöhnen.""

    Unterstützung bekommt der Politiker von Gudrun Wolters-Vogeler. Der Fokus liegt deshalb auf dem individualisierten Lernen.

    "Dass nicht mehr alle Kinder genau das gleiche machen müssen. Sondern dass man tatsächlich an den Vorerfahrungen der Kinder anknüpft, passgenauere Angebote machen kann, um sie auf den nächsthöheren Level zu bekommen. Es reicht eben nicht, dass man sagt: Bis Ende Klasse 4 müssen die Kinder das und das können, sondern man kann anschließen, man weiß, wie es weitergeht. Und kann eben auch Kindern, die schnell lernen die Möglichkeit geben, an Bereichen aus Klasse 5 zu arbeiten, weil die Kompetenzen aufeinander aufbauen."

    Während die Implementierung der Bildungsstandards in der Primarstufe und den Klassen fünf bis zehn in vollem Gange ist, beginnt der Prozess für die Oberstufe ab Herbst dieses Jahres. Dann wollen die Kultusminister auch für die Sekundarstufe II einheitliche Standards entwerfen und verabschieden.