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Billig, süffig und giftig

Italien erlebt einen weiteren Lebensmittelskandal: In Billigweinen wurden Salzsäure und Düngemittel entdeckt, von denen ein erhebliches Gesundheitsrisiko ausgeht. Obwohl das Problem bekannt ist und die Staatsanwaltschaft schon seit Wochen ermittelt, sind wohl immer noch belastete Weine im Umlauf.

Von Thomas Migge |
    "Wir haben es hier mit einer kriminellen Komplizenschaft zu tun, die alles bisher Bekannte übersteigt. Den bislang vorliegenden Ermittlungen zufolge ist die Polizei dem größten und gefährlichsten Lebensmittelbetrug der italienischen Geschichte auf die Spur gekommen. Ein Betrug, der die Gesundheit von Tausenden von Menschen schädigen kann und bei dem Unsummen verdient werden."

    Der Enologe Walter Mainardi spricht von Wein, von billigem Wein, von Fusel, der zwischen 80 Cent und 2 Euro in italienischen Supermärkten verkauft wird. Immer mehr Italiener, das ergaben Verbraucheruntersuchungen, kaufen billige Weine, um zu sparen. Ein Besuch in einem x-beliebigen römischen Supermarkt spricht Bände. Diese billigen Produkte, so im Supermarkt GS am östlichen Stadtrand Roms ein Verkaufsleiter, der anonym bleiben will, gehen ungemein gut, weshalb sie tausende weiterer Flaschen bestellt hätten. Walter Mainardi:

    "Es gibt ein großes Bedürfnis nach billigem Wein, der von Produzenten auf den Markt gebracht wird, die sich nur auf diese Weine spezialisiert haben. Staatsanwälte zwischen Mailand und Palermo halten die Namen der Weinmacher, gegen die ermittelt wird, noch geheim. Bekannt ist aber, dass seit längerer Zeit im ganzen Land Flüssigkeiten verkauft werden, die gesundheitsschädigend sind und mit Wein nichts zu tun haben. Ein großes Problem!"

    Experten verschiedener agrartechnischer Institute und der Lebensmittelpolizei sind sich nach Laboruntersuchungen einig: Neben 20 bis 40 Prozent Traubenanteil mixen korrupte Weinunternehmer Wasser mit Düngemitteln, mit Zucker und Säuren. Die Säuren haben die Aufgabe, die vom Gesetz verbotene Beimischung von Zucker im Wein zu vertuschen. Zum einen benutzt man dafür die Chlorwasserstoffsäure, die im Handel den Namen Salzsäure trägt, und Schwefelsäure. Beide Säuren haben die Aufgabe, die im Wein verbotenen Zuckermoleküle aufzubrechen und in Glukose, also in Traubenzucker, zu verwandeln. Glukose ist nicht untersagt, ist sie doch Teil der Trauben. Mit Hilfe der Säuren können normale Lebensmittelkontrollen ausgetrickst werden. Denn nur Labortests können die Säurepräsenz und die aufgebrochenen Zuckermoleküle nachweisen. Der Gebrauch von Säuren dieser Art und die Präsenz anderer krebserregender Substanzen wie zum Beispiel chemische Düngemittel führen nicht sofort zu Krankheit und Tod, erklärt die römische Lebensmittelexpertin Maria Ada Vanucci:

    "Anders als beim letzten großen italienischen Weinpanscherskandal in den 80er Jahren, damals starben 19 Personen und 15 verloren aufgrund des hohen Giftanteils im Wein ihr Augenlicht, haben die Säuren eine Langzeitwirkung. Wer regelmäßig diese Flüssigkeiten zu sich nimmt kann an Tumoren erkranken. Und: Salzsäure führt zu Verbrennungen auf der Haut. Regelmäßig getrunken, auch in geringen Dosen, kann diese Säure mit der Zeit schwere Krankheiten verursachen. Das ist schon sehr traurig."

    Bis jetzt ist den Ermittlern zufolge die Rede von zirka 70 Millionen Litern Giftwein, das sind rund 40 Millionen Flaschen oder Tetrapack-Verpackungen, die seit Monaten im italienischen Handel sind. Abgefüllt auch von den bekanntesten Namen für billige Weine.

    Gegen 20 Unternehmen wird derzeit ermittelt. Sie befinden sich vor allem in Nord- und Süditalien. In Apulien vermuten die Behörden hinter der Weinpanscherei die Sacra Corona Unita, wie man in dieser Region die organisierte Kriminalität, die Mafia, nennt. Ausgehend von den im Labor untersuchten Giftweinen aus der Region Venetien entdeckten die Ermittler in Apulien Fabriken, die den krankheitserregenden Säure-Düngemittel-Mix produzieren. Süffig, billig und giftig - das sei ein schwerer Schlag für das Traubensaft-Image Italiens, meint Stefano Bonilli, Chef des gastroenologischen Buchverlags "Gambero Rosso" in Rom:

    "Wenn man sich das ganze Ausmaß dieser Realität vor Augen hält, wird deutlich, dass dieser Giftweinskandal den gesamten Wirtschaftssektor Wein in eine tiefe und lange Krise stürzen könnte. Noch gut in Erinnerung sind in Italien die ökonomischen Folgen des Weinskandals in den 80er Jahren. Es brauchte Jahre, bis europäische Verbraucher wieder Vertrauen in Rebensäfte aus Italien hatten. Wie lange die Krise dieses Mal dauern wird? Bestimmt lange, denn hier haben wir es mit sehr viel gepanschtem Wein zu tun."