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Billige Arbeit auf Abruf

Seit mehr als 30 Jahren gibt es in Deutschland Zeitarbeitsfirmen. Den Markt teilen sich heute weit mehr als 1500 Anbieter. Die kassieren von ihren Kunden in der Regel zwei- bis zweieinhalb Mal so viel, wie sie ihren Mitarbeitern zahlen. Und nachdem 2004 viele Beschränkungen der Leiharbeit weggefallen sind, herrscht regelrechte Goldgräberstimmung.

Von Doris Arp und Martin Steinhage |
    "Da ich ja auch Geld brauchte, ich musste ja leben, ich musste meine Miete bezahlen, sie wollten ja alle Geld haben. Und daraufhin stürzte ich dann natürlich mich auf die nächste Zeitfirma. Also, ich bin mit 7 Euro angefangen - von 7 Euro, auf 6,80, auf 6,50 bis 6,33 Euro. Es hat mich einfach erdrückt, es hat mich ganz einfach erdrückt."
    Vor sechs Jahren begann für Sigrid Temme ein Leben im
    Dreiecksverhältnis: Leiharbeitsfirma hier, Einsatzbetriebe dort und dazwischen sie, die flexible Arbeitskraft. Seither wandert die gelernte Kleidernäherin von einer Zeitarbeitsfirma zur nächsten. Jedes Mal verschlechterten sich für die 53-Jährige die Bedingungen.

    "Ich bin so weit abgerutscht, dass ich manchmal hier zwei, drei Tage gesessen habe und hatte nichts zu essen, dass ich mir nichts kaufen konnte. Ich hab dann hier gesessen und hab die bittersten Tränen geweint."
    Sigrid Temme ist eine von 750.000 Leiharbeitern in Deutschland. Die meisten von ihnen möchten gerne arbeiten, so wie die 53-Jährige. Doch oftmals sind die Arbeitsbedingungen unerträglich. Sigrid Temme erinnert sich an einen Job als Müllsortiererin:

    "Der Arbeitsplatz sah so aus, ich denke 43 Grad hatten wir da oben mindestens, und da hab ich Müll sortiert. Es war schon schwer, weil man da den ganzen Tag auf einem Fleck steht, die Hitze und dann die Fliegen um einen herum. Dann hab ich manchmal gedacht, es wäre besser, du bleibst zu Hause und beantragst dann Arbeitslosengeld II. Da stehe ich mich dann wirklich besser, weil wenn ich einen ganzen Monat zu Hause bleibe, bekomme ich auch nicht weniger Geld, als wenn ich arbeiten gehe."
    Sigrid Temme bekam für das Müllsortieren einen Stundenlohn von 6,33 Euro - ein Betrag, mit dem sie nicht auskommt, auch wenn sie noch so sparsam ist.
    Arm trotz Arbeit, Sigrid Temme ist kein Einzellfall. Mehr als 1,3 Millionen Menschen können von ihrem Arbeitslohn allein nicht leben, belegt eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung in Nürnberg. Etwa jeder Dritte unter ihnen arbeitet sogar Vollzeit. Doch auch sie müssen zusätzlich Hartz IV beziehen. Besonders häufig betroffen sind Leiharbeiter. Sigrid Temme hat im November 147 Stunden in einer Kunststofffirma bei Bielefeld gearbeitet. Zum Leben reicht der Vollzeitjob nicht.

    "750, 770 Euro kommen raus. Da man ja von dem Geld nicht unbedingt leben kann, muss ich zusätzlich noch einen Antrag bei Lippe-Pro-Arbeit stellen. Das heißt dann Antrag auf Lebensunterhalt, dass man irgendwie leben kann."
    Mit 80 bis 100 Euro aus Steuergeldern wird ihr Lohn in der Regel aufgestockt. Den Gewinn machen die Leiharbeitsfirma und so mancher Betrieb.

    Seit mehr als 30 Jahren gibt es in Deutschland Zeitarbeitsfirmen. Den Markt teilen sich heute weit mehr als 1.500 Anbieter. Die drei größten hierzulande sind die
    niederländische Randstad, die Schweizer Adecco und die US-amerikanische Manpower. Anders als in den meisten europäischen Ländern, sind deutsche Zeitarbeitnehmer Angestellte bei den Leihfirmen. Die kassieren von ihren Kunden in der Regel zwei- bis zweieinhalb Mal so viel, wie sie ihren Mitarbeitern zahlen. Und nachdem 2004 viele Beschränkungen der Leiharbeit weggefallen sind, herrscht regelrechte Goldgräberstimmung. Es gibt Zeitarbeitsfirmen mit Gewinnsteigerungen von mehr als 20 Prozent im vergangenen Jahr. Die Zeche zahlen die Leiharbeiter und der Steuerzahler, kritisiert Christian Iwanowski von der IG-Metall in Nordrhein-Westfalen.

    "Seit der Gesetzesreform 2004, die unter Rot-Grün stattgefunden hat, ist es hier zu einem großen Dammbruch gekommen. Sämtliche Gründe, warum eigentlich ein Betrieb einen Leiharbeiter fest einstellen sollte, sind eigentlich weggefallen. Und wir müssen in den Betrieben feststellen, dass die Arbeitgeber dieses massiv nutzen und es insgesamt zu einer Verdrängung von Stammpersonal kommt, also Dauerarbeitsplätze dauerhaft mit Leiharbeitnehmern besetzt werden und dies teilweise mit Gehältern, die ein Drittel bis 50 Prozent unter den sonst üblichen Einkommen in den Betrieben stattfindet."

    Gesetzlich gilt: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Doch unter der Federführung des ehemaligen Arbeitsministers Wolfgang Clement, der jetzt für das Zeitarbeitsunternehmen Adecco arbeitet, wurden Ausnahmen festgeschrieben, die heute die Regel sind:

    Vom Grundsatz gleicher Lohn für gleiche Arbeit kann abgewichen werden, wenn ein Tarifvertrag besteht.
    Darüber hinaus wurden 2004 alte Beschränkungen aufgehoben, erklärt Markus Promberger vom Institut für Zeitarbeit. Das
    Geschäftsrisiko trage jetzt oft der Leiharbeiter und nicht das Unternehmen.

    "Es sind vorherige Schranken für den Einsatz von Leiharbeit weggefallen, zum Beispiel die Beschäftigungshöchstdauer, das Synchronisationsverbot und das Befristungsverbot."

    Damit wurden Leiharbeiter endgültig zur freien Rangiermasse auf dem Arbeitsmarkt. Und zwar nicht mehr nur, um kurzfristige Produktionsspitzen abzufangen. Immer häufiger ersetzen sie Dauerarbeitsplätze. Und Zeitarbeitsunternehmen und Betriebe schneidern sich passgenaue Mitarbeit. Sigrid Temme zum Beispiel muss zur Zeit zwangsweise Urlaub machen und ihr Zeitkonto abbummeln.

    "Montags, als ich zur Arbeit kam, sagte mir der Betriebsleiter, also ich könnte doch die ganze Woche arbeiten. Und an dem anderen Tag, als wir dann zur Arbeit kamen, ich hatte Spätschicht, da stand dann gleich am schwarzen Brett "Schichtänderung" - alle Leute aus der Zeitfirma raus, so dass nur noch die betriebseigenen Leute Arbeit haben. Ich weiß nicht, ob das alles so richtig ist."

    Hat die Zeitarbeitsfirma auch im Januar keine Arbeit für sie, dann wird ihr gekündigt. Hinter dieser Deregulierung steht das arbeitsmarktpolitische Programm der Hartz-Kommission. Mit der Entgrenzung der Leiharbeit und durch Personal-Service-Agenturen der Arbeitsämter sollten bis zu 780.000 Arbeitslose in den Arbeitsmarkt eingegliedert werden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt, sagt Markus Promberger vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.

    "Die Arbeitsmarktwirkung von Leiharbeit muss man sehr
    ambivalent beurteilen. Leiharbeit schafft nur in ganz geringen Maß tasächlich neue Jobs. Leiharbeit organisiert die Verteilung gering qualifizierter Arbeiter einfach neu. Die gehen jetzt über die Leiharbeit und sind vorher über das berühmte Schildchen "Aushilfe gesucht" eingestellt worden."
    Vielleicht finden einige heute etwas schneller einen Job. Dafür sind aber die Arbeitsbedingungen schlechter geworden.

    "Der Lohnabstand zwischen Leiharbeit und vergleichbaren direkt bezahlten Tätigkeiten im Einsatzbetrieb liegt bei ungefähr 30 Prozent. Leiharbeiter sind also deutlich schlechter entlohnt. Das Risiko, vom Arbeitgeber bei Auftragsmangel gekündigt zu werden, ist wesentlich größer als in der Privatwirtschaft. Man kann zusammenfassen: Leiharbeit ist im Vergleich mit regulärer Beschäftigung deutlich prekärer."
    Ein Grund dafür ist, dass die gesetzliche Gleichbehandlung durch Tarifverträge unterlaufen werden kann. Das haben die Arbeitgebervertreter genutzt. Den ersten Tarifvertrag schloss der Christliche Gewerkschaftsbund mit einem nordbayerischen Zeitarbeitsverband ab.

    "Vor diesem Hintergrund hat der DGB damals das Spielchen mitgemacht und ebenfalls Flächentarifverträge abgeschlossen mit den beiden Verbänden, einmal mit dem BZA, Bundesvereinigung deutscher Zeitarbeitsunternehmen, und dem IGZ, der Interessensgemeinschaft deutscher Zeitarbeitsunternehmen, die auch nicht so berauschend sind. Es ist kurios, dass per Tarifvertrag Lohnsenkungen vereinbart werden, statt eigentlich Lohnerhöhungen, wofür ja eigentlich Tarifverträge da sind."
    Verschiedene Flächentarifverträge, die den Lohn nach unten drücken, sagt der Gewerkschafter, das ist einmalig in der Geschichte.

    "Wir sind jetzt formal auf dem Papier in der Mindestgrenze schon so bei 7 Euro. Aber der Teufel steckt wie immer im Kleingedruckten. Bei fast allen Tarifverträgen der Christlichen Gewerkschaften gibt es eine Öffnungsklausel, dass während der Probezeit die ersten sechs Monate die Tarifentgelte um neuneinhalb Prozent abgesenkt werden können, teilweise sogar noch mehr."
    Durchschnittlich bleiben die Mitarbeiter nicht länger als drei Monate in einem Zeitarbeitsunternehmen. Niedrige Eingangsstufen drücken also erheblich den Gesamtlohn. Zeitarbeitskonten, Zwangsurlaub und die falsche Eingruppierung in zu niedrige Lohnstufen drehen ebenfalls an der Lohnschraube. Und dann gibt es neben den beiden Flächentarifen des DGB und des Christlichen Gewerkschaftsbundes noch jede Menge Haustarife.

    "Wir haben hier in Nordrhein-Westfalen Haustarife mit einem Einstiegslohn von 4 Euro 80, 4 Euro 30 sogar einen in Münster. Bei dieser Wettbewerbssituation kommen wir in den Flächentarifen in der Leiharbeit nicht wirklich weiter."
    Deshalb hat die IG-Metall vor zwei Jahren mit der Kampagne "Gleiche Arbeit, gleiches Geld" begonnnen. Zunächst in ihren Kundenbetrieben in Nordrhein-Westfalen und Berlin-Brandenburg/Sachsen, ab Januar läuft die Kampagne bundesweit.

    "Wir haben schon heute über 40 Betriebe in NRW, wo der Grundsatz gleiche Arbeit, gleiches Geld gilt. Und selbst da, wo wir nicht unbedingt sofort im ersten Zug gleiche Arbeit, gleiches Geld hinbekommen, muss man immer sagen, jeder Euro den wir für die Leiharbeitnehmer mehr in der Stunde herausholen, ist für die Kollegen bares Geld und rettet sie vielleicht vor ergänzenden Hartz IV-Leistungen."
    Um den Unterbietungswettbewerb in der Zeitarbeit zu durchbrechen, hat sich die Gewerkschaft bereits vor einem Jahr mit den beiden großen Zeitarbeitsverbänden BZA und IGZ auf einen Mindestlohn der Branche geeinigt.

    "Wir brauchen eine unterste Grenze und die haben wir in den Tarifverträgen festgelegt. Die würde sich, wenn er denn in Kraft treten würde, bei 7,15 Euro sich bewegen, in der Hoffnung, dass der von der Regierung aufgenommen wird, einfach weil wir gesagt haben, diesen Unterbietungswettbewerb, wer bietet den günstigsten Tarifvertrag an, muss ein Ende haben."

    Bei den Sozialdemokraten rennt die IG-Metall offene Türen ein.

    Beflügelt von ihrem Erfolg beim Post-Mindestlohn will die SPD in weiteren Branchen feste Lohnuntergrenzen durchsetzen. Dabei haben die Sozialdemokraten primär die Zeitarbeit im Auge. So machte in dieser Woche SPD-Chef Kurt Beck deutlich,

    "dass wir Zeit- und Leiharbeit als Instrument wollen, und beibehalten wollen, aber dort auch durch eine entsprechende Lohnuntergrenze und durch eine Regelung, zu der wir uns auch europäisch verpflichtet haben, nämlich equal pay, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, dass wir uns darauf auch einlassen."
    Die Haltung der SPD löst beim Koalitionspartner CDU/CSU Ärger und Widerspruch aus: Mindestlöhne für die Zeitarbeit sowie die gleiche Entlohnung für das Stamm- und das Leiharbeitspersonal ohne jede Ausnahme - das wäre eine fatale Rolle rückwärts in der Arbeitsmarktpolitik, warnte am vergangenen Wochenende Bundeswirtschaftsminister Michael Glos in einem Brandbrief an die Unions-Fraktion.
    Die Sorge des Christsozialen wird in der Schwesterpartei geteilt: Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Meckelburg sieht in der Zeitarbeit eine gut funktionierende Jobmaschine, die keinesfalls durch gesetzgeberische Eingriffe abgewürgt werden dürfe:

    "Die Zeitarbeit ist Wachstumsmotor. Im vergangenen Jahr geht der gesamte Beschäftigungsaufbau zu einem Viertel auf die Zeitarbeit zurück. Für die Beschäftigten ist die Zeitarbeit eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt, zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer waren zuvor Arbeitslose, 15 Prozent gar Langzeitarbeitslose. Man geht davon aus, dass ungefähr ein Drittel aller Zeitarbeitnehmer über die Zeitarbeit eine Möglichkeit erhält, entweder im entleihenden Unternehmen oder in einem andern Unternehmen auch Beschäftigung zu finden. "

    Und mit Blick auf die von der SPD forcierte Mindestlohn-Debatte ergänzt CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla:

    "Ich sehe bis heute keine plausible Begründung dafür, warum die Zeitarbeit mit einem Branchenspezifischen Mindestlohn versehen werden sollte."
    Dem hält die SPD entgegen, dass es gerade in der Zeitarbeits-Branche zahlreiche Probleme mit Dumpinglöhnen gebe. Diesem Missstand müsse endlich ein Riegel vorgeschoben werden. Ebenso drängen die Sozialdemokraten darauf, das zuletzt in der rot-grünen Regierungszeit novellierte Arbeitnehmerüberlassungs-gesetz erneut nachzubessern. Begründung: Die Praxis zeige erhebliche Mängel an diesem Gesetz, das den Einsatz von Zeitarbeitskräften regelt. Allzu oft nutzten die Betriebe die Möglichkeit, vom Grundsatz "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" abzuweichen, beklagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Grotthaus:

    "Wenn zum Beispiel konzernintern ganze Abteilungen outgesourced werden, diese Abteilung dann außerhalb des Konzerns sich in Gänze ansiedeln, und die Menschen, die in diesen Abteilung beschäftigt waren, nun wieder ausgeliehen werden von dem Konzern, und die gleichen Menschen für die gleiche Arbeit dann auf einmal nach einem anderen Tarifvertrag mit einem niedrigeren Gehalt bezahlt werden, das war wahrlich nicht der Sinn des Arbeitnehmerüberlassungsgesetztes und hier haben wir zu reagieren."
    CDU und CSU bestreiten nicht, dass es eine Reihe schwarzer Schafe in der Zeitarbeit gibt. Solche Einzelfälle dürften aber nicht dazu führen, die gesamte Branche mit einer Gesetzesnovelle in ihrer Existenz zu gefährden. Denn eine Kombination aus Mindestlöhnen auf der einen und der Gleichstellung der Zeitarbeiter mit dem Stammpersonal bei Entlohnung und Arbeitsbedingungen auf der anderen Seite hätte nach Überzeugung der Union fatale Folgen: Vor allem für viele der rund fünftausend mittelständischen Betriebe könnte dies das Aus bedeuten, führen Unions-Politiker wie Paul Lehrieder an.

    "Von den Betrieben, die überwiegend Zeitarbeit betreiben, beschäftigen 63 Prozent unter 50 Mitarbeiter, das sind sogenannte Kleinunternehmen. Viele von ihnen würden durch gleichen Lohn vom ersten Tag an gefährdet. Außerdem würde equal pay die Verwaltungskosten in die Höhe schrauben. In jedem Fall der Überlassung, müsste ermittelt werden, in wieweit Leiharbeitnehmer und Stammbeschäftigte vergleichbar sind. Zudem müssen die vereinbarten Arbeitsbedingungen im Entleiherbetrieb und im Verleiherunternehmen verglichen werden. Damit würde an sich jeder einzelne Arbeitnehmerüberlassungvorgang überwachungspflichtig,"
    was zum Aufbau zusätzlicher bürokratischer Hürden führen könne, die langfristig Jobs in der Branche vernichten würden.
    Bei einer Bundestagsdebatte, die sich vor wenigen Tagen mit dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz befasste, wurde indes auch deutlich, dass die Koalitionsfraktionen trotz aller Differenzen nicht völlig auseinanderliegen: Zwar möchte die SPD Nachbesserungen noch in dieser Legislaturperiode durchsetzen, will aber auch nichts übers Knie brechen. Vielmehr sucht man nach Lösungen im Konsens, beteuerte Sozialdemokrat Grotthaus:

    "Wir werden dabei ganz klar die Tarifvertragsparteien mit ins Boot holen müssen. Wir werden die Betriebsräte aus den Betrieben, die Leiharbeitnehmer aufnehmen und mit ins Boot holen müssen. Aber wir werden auch die Arbeitgeber mit ins Boot holen müssen."

    Unversöhnlicher stehen sich die Koalitionspartner dagegen in der Mindestlohn-Frage gegenüber: Seitdem die SPD in diesem Thema einen Wahlkampf-Schlager entdeckt zu haben glaubt, lassen die Sozialdemokraten hier nicht mehr locker. Im Bemühen um die Durchsetzung von Lohnuntergrenzen für die Zeitarbeit könnte sich jedoch ein ganz spezielles Problem auftun. Denn in der Zeitarbeits-Branche gibt es gleich drei konkurrierende Arbeitgeberverbände, die unterschiedliche Tarifverträge abgeschlossen haben - teils mit dem DGB, teils mit den christlichen Gewerkschaften. Zwei Arbeitgeberverbände treten für eine Mindestlohn-Regelung ein.

    Der dritte im Bunde, der Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister, AMP, ist jedoch strikt dagegen. AMP- Hauptgeschäftsführer Thomas Hetz:

    "Das wäre ein Eingriff der Politik in die Tarifautonomie, das halten wir für verfassungswidrig. Das muss der Markt regeln. Ein gesetzlicher Mindestlohn, der die bestehenden Tarifverträge aushebelt, wäre das Ende der mittelständischen Zeitarbeit."
    Ein anderer Weg, die Situation für Leiharbeiter zu verbessern, wäre die Mitbestimmung. Doch Leiharbeiter können sich nur schwer organisieren. Sie sitzen zwischen allen Stühlen. Weder gehören sie zu den Betrieben, in denen sie leihweise arbeiten, noch gehören sie wirklich zur Zeitarbeitsfirma, die sie oft entlässt, sobald sie keine Arbeit mehr hat. Arbeitnehmervertreter gibt es deshalb in der Branche kaum. Dieter Vogt, einer der wenigen Betriebsräte in einer großen Zeitarbeitsfirma, macht dafür vor allem den Druck auf die Mitarbeiter verantwortlich:

    "Ich vermute mal eine gewisse Mutlosigkeit und zum zweiten immer wieder das Thema Angst. Es wurde mir immer wieder von Mitarbeitern erklärt, die sich zwar beklagen, aber dann sagen, nur meinen Namen bitte nicht."

    Seit Zeitarbeitsfirmen befristet einstellen können, sei unter den Mitarbeitern die Angst gewachsen, auch diese Arbeit noch zu verlieren.

    "Der Druck auf die Mitarbeiter ist erhöht worden. Es stimmt vielfach die Lohnabrechnung nicht, die Eingruppierungen auch nicht. Dann nehmen die das bewusst in Kauf, denn wenn die ihre Rechte durchsetzten, dann ist mit Ende der Befristung auch das Arbeitsverhältnis beendet."

    Diesen Druck kennt Christian Iwanowski von der IG-Metall auch von den Einsatzbetrieben, die teilweise mehr als 50 Prozent der Belegschaft über Leiharbeit abwickeln.

    "Immer dann, wenn Betriebsräte Schwierigkeiten bei der Leiharbeit machen, versuchen, Leiharbeit zu regeln, neigen viele Betriebe dazu, über Werkverträge auszuweichen, oder auch auf Minijobs. Also die Langzeitarbeitslosigkeit und Hartz IV machen es möglich, dass es durchaus Unternehmen gibt, die Beschäftigten Vollzeitarbeitsplätze anbieten, aber für 400 Euro Stundenlohn im Monat."

    Nach sechs Jahren in unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen und zig verschiedenen Einsatz-Betrieben, hat die 53-jährige Sigrid Temme jede Hoffnung auf eine Festanstellung verloren. Sie ist froh, wenn sie überhaupt Arbeit hat.

    "Für mich ist es ganz wichtig, dass ich Arbeit behalte. Es wäre nur besser, wenn der Lohn mehr wäre, dass man damit auch einigermaßen über die Runden kommt. Dann bin ich ein glücklicher Mensch."