Hellgrau ist der geschlossene Lieferwagen, an der Tür das grüne Logo der Stadt Paris. Er kommt vom Quai de la Rapée, vom tristen Backsteinbau der Morgue, des Gerichtsmedizinischen Instituts, und er fährt nach Süden, aus der Stadt hinaus, Richtung Orly, zum großen Friedhof von Thiais. Auf den Vordersitzen Marie-Paule Barrat, eine rundliche Frau in ihren Fünfzigern, aktives Mitglied einer Kirchengemeinde des 15. Arrondissements, , und André Barnola, grauhaarig, hager, dezente Krawatte, Ingenieur im Ruhestand. Außerdem: vier Särge mit unbekannten Leichen. - Marie-Paule und André sind Mitglieder von "Les Morts de la Rue", einem Verein, der die Toten von der Straße auf ihrem letzten Weg begleitet.
"Worum es mir dabei geht? Ich will den verlassenen, aufgegebenen Menschen zeigen, dass jemand an sie denkt. Dass sie trotz allem unsere Brüder sind, und dass sie das Recht auf eine Beerdigung haben, bei der diese Brüderlichkeit zum Ausdruck kommt. Jeder hat darauf ein Recht.
Bei mir hat das auf jeden Fall etwas mit meinem Glauben zu tun. Ich bin in dieser Sache sehr engagiert. Als ich in unserer Gemeinde davon hörte, sagte ich mir: Ja! So etwas wird meinen Zeitplan durcheinander bringen, aber das will ich machen. Ich will wirklich den Armen etwas geben. Ich habe damit angefangen und werde es auch weitermachen!"
Im Blumenladen vorm großen Friedhofsportal von Thiais hat André rasch vier kleine Blumentöpfe gekauft, nun geht es über einen holprigen Weg in die entfernteste Ecke dieses riesigen Areals.
Kalt ist es an diesem Montagmorgen. Einige Vögel zwitschern, ansonsten hört man die Flugzeuge von Orly. Hier am äußersten Ende, abseits der übrigen Gräber, erstreckt sich ein ödes baum- und strauchloses Feld mit Hunderten von schmucklosen weißen Beton-Platten, von denen jede bloß eine Nummer trägt: "Le carré des indigents" - das Carré der Armen.
Hier wird beigesetzt, wer auf der Straße stirbt, und keine Angehörige hat, die seine Leiche reklamieren. Und zwar in den "caveaux à décomposition accélerée", Schnellverwesungsgräbern, die nach fünf Jahren wieder benutzbar sind. Sang- und klanglos wurden die verstorbenen Obdachlosen hier entsorgt, bis 1998 dieser Verein "Les Morts de la Rue" auf den Plan trat und im Pariser Rathaus durchsetzte, dass seine Mitglieder die Toten der Straße auf ihrem letzten Weg nach Thiais begleiten konnten, einige Worte am offenen Grab sprechen und einen Blumentopf auf den kahlen Betondeckel stellen durften.
"Lieber Robert, sagt André, ein langes Leben ist nun beendet. Wir begleiten Sie mit einem Gedicht von Primo Levi in das Reich von Ruhe und Frieden…"
Ungeduldig warten die Friedhofsmänner, bis André mit dem Vortrag fertig ist. Es ist kalt, sie haben noch mehr zu tun, müssen sofort das nächste Grab aufhebeln, das Schnellverwesungs-Pulver reinkippen, den Sarg hineinhieven. Diesmal ist es ein Obdachloser deutscher Herkunft namens Wolfgang Merkel.
"Monsieur Merkel! Sie haben uns verlassen nach einem langen Leben das sie fern von hier begonnen hatten. Hier ist ein Lied aus dem alten Ägypten, in dem sehr gut vermittelt wird, dass unser Tod eine Art von Erfüllung ist, begleitet von universellen Empfindungen…
Der Tod erwartet mich heute
Wie ein Lichtschein im Wolkenhimmel.
Wie das Begehren nach etwas Unbekanntem.
Der Tod erwartet mich heute
Wie das Verlangen, in mein Haus zurückzukehren."
Die Totengräber beeilen sich. Per Walkie-Talkie wird ein neuer Konvoi von Armensärgen angekündigt. Marie-Paule stellt auch auf Monsieur Merkels Betongrab noch einen winzigen Blumentopf. Ein paar Sekunden steht sie stumm neben André im kalten Wind. Dann gehen beide fröstelnd zum Auto zurück.
"Worum es mir dabei geht? Ich will den verlassenen, aufgegebenen Menschen zeigen, dass jemand an sie denkt. Dass sie trotz allem unsere Brüder sind, und dass sie das Recht auf eine Beerdigung haben, bei der diese Brüderlichkeit zum Ausdruck kommt. Jeder hat darauf ein Recht.
Bei mir hat das auf jeden Fall etwas mit meinem Glauben zu tun. Ich bin in dieser Sache sehr engagiert. Als ich in unserer Gemeinde davon hörte, sagte ich mir: Ja! So etwas wird meinen Zeitplan durcheinander bringen, aber das will ich machen. Ich will wirklich den Armen etwas geben. Ich habe damit angefangen und werde es auch weitermachen!"
Im Blumenladen vorm großen Friedhofsportal von Thiais hat André rasch vier kleine Blumentöpfe gekauft, nun geht es über einen holprigen Weg in die entfernteste Ecke dieses riesigen Areals.
Kalt ist es an diesem Montagmorgen. Einige Vögel zwitschern, ansonsten hört man die Flugzeuge von Orly. Hier am äußersten Ende, abseits der übrigen Gräber, erstreckt sich ein ödes baum- und strauchloses Feld mit Hunderten von schmucklosen weißen Beton-Platten, von denen jede bloß eine Nummer trägt: "Le carré des indigents" - das Carré der Armen.
Hier wird beigesetzt, wer auf der Straße stirbt, und keine Angehörige hat, die seine Leiche reklamieren. Und zwar in den "caveaux à décomposition accélerée", Schnellverwesungsgräbern, die nach fünf Jahren wieder benutzbar sind. Sang- und klanglos wurden die verstorbenen Obdachlosen hier entsorgt, bis 1998 dieser Verein "Les Morts de la Rue" auf den Plan trat und im Pariser Rathaus durchsetzte, dass seine Mitglieder die Toten der Straße auf ihrem letzten Weg nach Thiais begleiten konnten, einige Worte am offenen Grab sprechen und einen Blumentopf auf den kahlen Betondeckel stellen durften.
"Lieber Robert, sagt André, ein langes Leben ist nun beendet. Wir begleiten Sie mit einem Gedicht von Primo Levi in das Reich von Ruhe und Frieden…"
Ungeduldig warten die Friedhofsmänner, bis André mit dem Vortrag fertig ist. Es ist kalt, sie haben noch mehr zu tun, müssen sofort das nächste Grab aufhebeln, das Schnellverwesungs-Pulver reinkippen, den Sarg hineinhieven. Diesmal ist es ein Obdachloser deutscher Herkunft namens Wolfgang Merkel.
"Monsieur Merkel! Sie haben uns verlassen nach einem langen Leben das sie fern von hier begonnen hatten. Hier ist ein Lied aus dem alten Ägypten, in dem sehr gut vermittelt wird, dass unser Tod eine Art von Erfüllung ist, begleitet von universellen Empfindungen…
Der Tod erwartet mich heute
Wie ein Lichtschein im Wolkenhimmel.
Wie das Begehren nach etwas Unbekanntem.
Der Tod erwartet mich heute
Wie das Verlangen, in mein Haus zurückzukehren."
Die Totengräber beeilen sich. Per Walkie-Talkie wird ein neuer Konvoi von Armensärgen angekündigt. Marie-Paule stellt auch auf Monsieur Merkels Betongrab noch einen winzigen Blumentopf. Ein paar Sekunden steht sie stumm neben André im kalten Wind. Dann gehen beide fröstelnd zum Auto zurück.