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Binnenlogik des Terrors

In seinem neuen Film "Hamburger Lektionen" untersucht Regisseur Romuald Karmakar die Logik des radikalen Islamismus. Der Schauspieler Manfred Zapatka trägt zwei in Hamburg gehaltene Unterweisungen des marokkanischen Predigers Mohammed Fazazi aus dem Jahr 2000 vor. Der Imam hatte engen Kontakt zu den Attentätern des 11. September.

Moderation: Karin Fischer |
    Karin Fischer: Eine neue eindringliche Form von Täterforschung betreibt der Regisseur Romuald Karmakar, beginnend mit seinem ersten Spielfilm "Der Totmacher" mit Götz George. Jetzt kommen die Hamburger Lektionen ins Kino. Darin spricht der Schauspieler Manfred Zapatka zwei Unterweisungen des marokkanischen Hasspredigers Mohammed Fazazi sehr ruhig, sehr unpathetisch in eine Kamera. Wer immer sich der Islamismushysterie verweigern, dabei aber ihren dramatischen Kern zur Kenntnis nehmen will, sollte sich diesen Film anschauen.

    Der Film passt exakt in die Zeit. Aber nicht, weil er der Aufregung um den islamistischen Terror, der Bedrohung durch Islamkonvertiten oder der Frage nach der Möglichkeit des Abschusses entführter Flugzeuge Nahrung gäbe, im Gegenteil. Er nimmt das Tempo raus und präsentiert stattdessen jenen Kern, den die westliche Gesellschaft bisher kaum zur Kenntnis nehmen wollte und konnte. Denn wer hat sich jemals die Mühe gemacht zu erkunden, was in den Moscheen und bei solch religiöser Unterweisung durch einen Imam wirklich gesagt wird. Romuald Karmakar hat sich die Mühe gemacht. Und jetzt sitzt also der Schauspieler Manfred Zapatka auf einem Hocker und liest zwei Predigten des früheren Imams der Hamburger Al-Quds-Moschee, gehalten im Januar 2000. Inzwischen ist der Imam verhaftet und sitzt in Marokko im Gefängnis. Drei der Attentäter des 11. September standen in engem Kontakt zu ihm. Man könnte es also als ein Stück Täterforschung begreifen, was Karmakar da macht. Zunächst ist es aber natürlich auch ein Stück Aufklärung für diese Gesellschaft. Waren das die Gründe, den Film zu machen, habe ich Romuald Karmakar gefragt.

    Romuald Karmakar: Also die Lektionen, die ich als "Hamburger Lektionen" bezeichne, und die ja der Imam selber auch als Lektionen bezeichnet, sind erst einmal für mich Lektionen für alle. Also Lektionen für uns auch, weil wir hier die Möglichkeit haben, Einblick zu bekommen in das, was übrigens im Januar 2000 gesagt worden ist.

    Fischer: Sie haben ja ebenfalls von Manfred Zapatka "Himmlers Posener Rede" von 1943 lesen lassen. Die Kritiker damals fanden, man würde hier deutlicher mit der eiskalten Sachlogik der Nazis konfrontiert als in jedem anderen Film. Die Predigt eines Imams oder dieser Lektionen sind ja nun fast das Gegenteil. Ornamental, indirekt, verzweigt und mit unserer Logik ist es nicht ganz einfach zu begreifen, wie jemand einerseits den Diebstahl mit dem Koran verbieten kann, andererseits den Mord an den Ungläubigen durch den Koran gedeckt sieht. Waren Sie persönlich denn mehr daran interessiert, diese Inhalte bekannt zu machen oder waren Sie auch durch diese Erzählhaltung, durch das Narrativ fasziniert?

    Karmakar: Also das ist jetzt natürlich eine interessante und schwierige Frage, weil für mich sehr wohl die Argumentationsstruktur von Fazazi nachvollziehbar ist aus der inneren Perspektive heraus. Also es gibt genauso eine Binnenlogik wie bei Heinrich Himmler auch, die man als Ganzes natürlich ablehnt. Aber man muss schon sagen, dass das halt in sich logisch aufgebaut ist. Ob das dann Logik in unserem Sinne ist, ist eine ganz andere Frage. Schauen Sie, Sie haben gerade das gesagt mit dem Diebstahl. Genau. Also er sagt sehr vehement, dass also für alle klar sein muss, dass also Diebstahl Muslimen nicht erlaubt ist. Und dann beginnt er zu definieren, wer eigentlich Ungläubige sind als Gegenentwurf zu den Gläubigen. Und dann werden halt Kategorien von Ungläubigen aufgefächert und kategorisiert, sodass eigentlich jeder irgendwie ein Ungläubiger ist. Und da halt jeder Mensch auf der Welt, außer sie selbst, Ungläubige sind, kann man ihnen eigentlich auch alles nehmen und ihre Habe angreifen. Und wie er das macht, das ist das Interessante für unser Verständnis. Weil man da halt erkennen kann, wie man halt aus dem einen das andere dreht.

    Fischer: Sie haben von dieser partikularen Logik gesprochen. Die Erinnerung an die RAF, die sich ja dezidiert von der Nazi-Väter-Generation abgrenzt, fällt heute ja zusammen mit der Debatte um so einen neuen islamistischen Terror. Und zusammen mit Ihrem neuen Filmprojekt über das Hamburger Polizei-Bataillon 101 schließt sich da ja womöglich ein Kreis. Sind das Dokumente eben auch einer solchen Logik der verbalen Ausschließung des Anderen, der dann leichter körperlich vernichtet werden kann?

    Karmakar: Also vollkommen richtig. Es ist so, dass jede radikale Bewegung bestimmte Elemente aufweisen kann. Und sowohl in der Rede von Fazazi als auch beim Lesen eines Dokuments der RAF wird man zum Beispiel das Element des Absolutheitsanspruchs wiedererkennen, der irgendwie definiert wird. Oder das Element der Selbstermächtigung, also sich als Gruppe zu begreifen, natürlich immer eine kleine Gruppe, die auch hohen elitären Standard hat. Und diese kleine Gruppe ermächtigt sich selbst, im Auftrag der gesamten Menschheit und auch zur Verbesserung des Lebens der großen Masse, Dinge zu tun, die eben auch mörderisch sind, ja, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Dazu gehört eben auch, also Teil dieser partikularen Logik ist, dass sie überhaupt nicht mehr empfänglich ist für andere Meinungen, für andere Sichtweisen, und das ist auch Bestandteil von radikalen Bewegungen.

    Fischer: Eine WDR-Dokumentation hat vor kurzem gezeigt, wie selbstverständlich auch für einen deutschen Moslem durch solche Unterweisungen die Rede vom Dschihad, der sich gegen Ungläubige gerichtet, sein kann. Haben Sie nicht auch ein bisschen Angst, obwohl der Film ja maßgeblich durch eine völlig unpathetische Haltung gekennzeichnet ist, von der Terrorhysterie und von einer "Die-Mörder-sind-schon-unter-uns-Fraktion irgendwie vereinnahmt zu werden?

    Karmakar: Nein, die Sorge habe ich halt nicht. Also mir ist sie natürlich bewusst und man redet auch oft darüber. Und was mir halt viel mehr Angst macht, wenn man diesen Begriff mal verwenden soll, dann ist es eher das Desinteresse an so etwas. Also sich nicht damit zu beschäftigen, was Bestandteil des bedrohlichen Kerns ist. Das ist eher das, was mir Angst macht, aber nicht, den Film zu sehen.