Archiv


Binsenernte in der Haseldorfer Marsch

Mit dem Trecker geht’s vorm Deich entlang, weiße Segel gleiten über die dunkelblaue Elbe, Wasservögel fliegen hoch aus einem dunkelgrünen Streifen davor: Hier stehen die Binsen, die Ralf Richter und seine Leute dieser Tage schneiden: mannshohe Pflanzen, aus dem später Sitzflächen für Stühle werden. Bündelweise bringen die Männer die Teichsimse, wie die Binse eigentlich heißt, in flachen Booten an Land.

Von Britta Freith |
    Morgens um vier aufstehen und um halb fünf: Rein in die Muld. Wir fahren abends meistens die Boote raus, vier Boote, und wenn wir mittags, nachmittags wiederkommen, sind sie voll beladen.

    Erst ist die Arbeit relativ trocken, doch mit steigender Tide werden das Süßwasserwatt und die Männer in Bundeswehrstiefeln und Baumwollzeug immer nasser. Mit einer Art Sichel schneidet er den etwa ein Zentimeter dicken Halm, erklärt Ralf Richter.

    Das Messer selber ist aus einer alten Blattfeder geschmiedet, hat dann einen Weidenstiel, der getrocknet ist, der sehr leicht ist. Das Messer ist schön hart und wird von Hand auch noch geschliffen. Die Klinge ist 35 bis 40 Zentimeter lang, der Stiel ungefähr 50 Zentimeter lang, ja, und dann schneidet man damit!

    Tief muss sich Richter zum Schneiden bücken, in seinem Arm hält er die Binsen. Dann hebt er das Bündel hoch in die Luft und schüttelt...

    ...und schüttelt alles aus, was da drin an zu kurzen Binsen ist, an gelben Binsen ist. Dann werden sie auf den Bock gelegt...

    ...und solange gesammelt, bis etwa 25 Kilo zusammengebunden werden können. Fünfzehn bis zwanzig Bund schafft ein Mann so in einer Stunde – vier- bis fünfhundert werden an einem Arbeitstag mit dem Boot an Land gebracht. Danach sind die Erntehelfer geschafft – und freuen sich auf die kühlen Getränke, die Martina Richter ans Ufer bringt.

    Wenn ich nachmittags dann hierher komme und die Schneider abhole: Die sind immer noch fröhlich, obwohl es ja nun wirklich anstrengend ist. Hinterher ist man dann auch froh wenn’s dann vorbei ist, aber es macht Spaß, die Zeit.

    Nach dem Schneiden kommt das Trocknen: Die Binsenbündel werden aufs Feld gefahren, dort wieder geöffnet und verteilt, erklärt Ralf Richter:

    Und bleiben da zwei bis drei Tage liegen, dann werden sie aufgebunden. Dann werden sie aufgehängt. Die müssen also wirklich knochentrocken sein. Dann kommen sie noch in den Glasschuppen für, na, drei, vier Tage. Da sind dann so dreißig, vierzig Grad mindestens drin. Und dann werden sie versandfertig gebunden, sobald hier unten keine Feuchtigkeit mehr drin ist. Sonst fangen sie nämlich an zu schimmeln.

    Bis nach Bayern und in die Niederlande kommen die Hetlinger Binsen. Nach dem Trocknen sind sie gelbbraun. Die Flechter feuchten sie erst ein wenig an, danach werden die Stängel gedreht – dann kann man vierzig Jahre und länger auf der Süßwasserpflanze sitzen.

    Also, wir hatten bis vor kurzem einen Stuhl zuhause, der war sechzig Jahre alt. Davon hat er etwa dreißig Jahre im Friseursalon gestanden, das heißt, jeden Tag hat da irgendein Bauer oder sonst irgendwas drauf gesessen. Aber solange die keine spitzen Gegenstände in den Taschen haben, gehen die nicht kaputt.

    Anders ist das bei Salzwasserbinsen, wie sie in Spanien und den Niederlanden wachsen: Hier kann ein Stuhl schon nach weniger als fünf Jahren den Geist aufgeben, weil das Material zu spröde für lange Nutzung ist. Die Qualität der Binsen aus der Haseldorfer Marsch ist dieses Jahr sogar besonders gut:

    Sie sind schön lang, haben keine Flecken, haben einen schönen Kopf obendrauf, wo die Saat drin ist. Die sind hervorragend. Letztes Jahr waren sie recht kurz, unsere Binsen – das liegt immer am Wetter.

    Die Binsen an der Elbe werden weniger, obwohl das Süßwasserwatt in dem sie stehen, ein Naturschutzgebiet ist. Paradoxer Weise ist das mittlerweile saubere Elbwasser am Rückgang des Wachstums schuld, sagt Richter.

    Die Binse ernährt sich eigentlich – ich sag mal: vom Umweltschmutz, also vom Dreck. Und da sehr wenig drin ist, wachsen sie eigentlich sehr schlecht. Vor fünf, sechs Jahren haben wir ungefähr fünftausend Bund rausgeholt; die letzten zwei Jahre circa zweitausend Bund.

    Allein von der Binsenernte leben kann kein Bauer – die Erntezeit beträgt meist nicht mehr als drei Wochen im Jahr. Doch in der Haseldorfer Marsch wird die Tradition seit Jahrhunderten weiter gegeben – schon der Urgroßvater von Ralf Richter war Binsenbauer, und auch sein zwölfjähriger Sohn schneidet heute mit und will die Aufgabe später übernehmen.