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Biodiesel statt Coca

Die Palmölproduktion ist sehr effizient: Mit dem Biodiesel aus einem Hektar Palmenanbau kann ein Auto durchschnittlich 40.000 Kilometer weit fahren. Da kommt Goldgräberstimmung auf, besonders in Äquatornähe. Kolumbien wäre ein perfektes Anbauland - ohne die Folgen des Bürgerkriegs.

Von Anne-Katrin Mellmann | 10.05.2008
    Zwei Tage und zwei Nächte wurde Rosalva Reino in einem Bus durchgeschüttelt. Schlafen konnte sie nicht. Die 44-jährige Afrokolumbianerin ist ohne Pause gefahren – von ihrer Heimat Chocó, einem entlegenen Regenwaldgebiet im Nordwesten, über die Anden, bis in die Hauptstadt Bogotá um die Menschenrechtsorganisation Justicia y Paz aufzusuchen. Schon zwei Mal wurde die Bäuerin mit ihrer Dorfgemeinschaft in den vergangenen 10 Jahren von ihrem Grund und Boden vertrieben, erzählt sie:

    "Wenn sie uns unter Druck setzen, die bewaffneten Akteure, wie zum Beispiel die Paramilitärs, dann sagen sie uns: Ihr müsst euer Dorf verlassen. 1997 haben sie 87 von unseren Leuten umgebracht, haben ihnen die Köpfe abgeschnitten, sie gefoltert. 2001 kamen sie wieder. Die Leute hörten ihre Bomben: "Bumm". Wer also sein Leben retten wollte, musste gehen und alles zurücklassen."

    Unter gewaltsamen Vertreibungen durch paramilitärische Gruppen, oft im Dienste von Großgrundbesitzern, leiden afrokolumbianische Gemeinden im Chocó immer noch – auch drei Jahre nach der offiziellen Demobilisierung der ultrarechten Paramilitärs. Heute geht es um Land, das sich hervorragend für den Anbau von afrikanischen Ölpalmen eignet.

    Majestätisch, kerzengerade wächst der junge Palmenwald so weit das Auge sehen kann. Ein Tagelöhner schneidet die gelbroten Früchte von den Stämmen. Er ist der einzige Arbeiter, den Santana Fuentes, ein ehemaliger Coca-Bauer, auf seinen 27 Hektar beschäftigen muss, denn Palmen sind pflegeleicht. Zumindest, solange die Monokultur kein Schädling befällt. Aber bisher läuft alles glatt, und die Palmen machen keinen Ärger wie die Coca-Pflanze, Grundstoff der Kokain-Produktion. Coca-Anbau dagegen bedeutete: sich verstecken müssen, nicht wissen, wann überhaupt Geld kommt...

    Fuentes: "In Wahrheit mussten wir damals den Gürtel enger schnallen, das große Geld mit Coca machen andere Leute – nicht wir Bauern. Dann haben sie unsere Felder mit Gift besprüht und alles war kaputt. Das konnten wir nicht mehr aushalten. Jetzt hat uns sogar schon der US-Botschafter besucht und eine Palme gepflanzt."

    Eine kolumbianische Erfolgsgeschichte – wie aus einem Werbeprospekt für potentielle Investoren. Jedoch fehlen Langzeitstudien. Erst seit etwa 4 Jahren boomt der Palmenanbau, und Anlagen zur Biodieselgewinnung entstehen. Trotz des Bürgerkriegs fließen Investitionen. Für Jens Mesa, Präsident von Fedepalma, der kolumbianischen Palmproduzenten-Organisation, ist der bewaffnete Konflikt zwischen Guerilla, Paramilitärs, Drogenhändlern und Zivilbevölkerung längst vorüber. Die Palme bringe endlich wieder Geld aufs Land.

    Jens Mesa: "Dadurch steigt die Produktivität: Die Palme schafft mehr Arbeitsplätze auf dem Land und damit auch mehr Wohlstand. Sie wird 25 Jahre alt – ein großer Vorteil gegenüber Pflanzen, die nur wenige Monate leben."

    Dass man Palmen nicht essen kann, Bauern ihre traditionellen Lebensmittel nun importieren müssen, ist für die Unternehmer kein Thema . Ebenso wenig: die Gefahren für die Umwelt..

    William Canizales von der Nichtregierungsorganisation "Progresar" zeigt Fotos von frisch gepflanzten Palmenplantagen, mitten im Regenwald. Die Spuren der Rodungen sind deutlich erkennbar. Canizales hat gerade eine Studie zum Palmenanbau im Nordosten Kolumbiens beendet. Sein Büro in Cúcuta ähnelt einem Hochsicherheitstrakt, einschließlich Wächtern vor der Tür. Zwei Mal schon ist er Anschlägen entgangen – immer noch Alltag für Menschenrechtler in Kolumbien. Das Geschäft mit der Ölpalme beobachtet Canizales’ Organisation mit Besorgnis, denn nach seinen Erkenntnissen sind Paramilitärs verwickelt...

    William Canizales: "Heute ist der Druck auf die Bauern eher indirekt: Der Käufer besucht den Bauern auf seinem Land mit einer Gruppe bewaffneter Männer, er bietet ihm einen guten Preis, wenn der Bauer nicht verkaufen will, bietet er mehr und kommt wieder und wieder mit seinen Begleitern. Die Bauern verstehen die Botschaft, und am Ende verkaufen sie, denn sie haben keine andere Option."

    Am Ende landen viele von ihnen in diesem oder in einem anderen von hunderten Armenviertel am Rande kolumbianischer Städte. In Cúcuta können wenigstens die Kinder gut essen. Mirjiam Gutierrez hat ihre drei Töchter in die Armenküche für Kinder begleitet. Zu Hause kann sie ihren Töchtern nur Reis und Bohnen zubereiten. Ihr Mann verdient als Tagelöhner etwa 5 Euro täglich. Damit muss die Familie auskommen. Früher waren sie Bauern, und es ging ihnen gut. Was aus ihrem Land geworden ist, weiß Mirjiam nicht...

    Mirijam: "Wir wurden von unserem Land vertrieben. Paramilitärs kamen und bedrohten meinen Mann mit dem Tode. Das war vor acht Monaten."

    ...also, lange nach der Demobilisierung der Paramilitärs. Kolumbien ist das Land mit den meisten Binnenvertriebenen in ganz Amerika. Oft sind Besitzverhältnisse ungeklärt. Auch darum ist Land günstig zu haben. Friedrich Kircher, Berater der Caritas, die in Kolumbien Projekte mit Vertriebenen unterstützt, sieht in dieser Situation Vorteile für Palmproduzenten:

    "Der Palmenproduzent wird sagen: Es ist nur ein Zufall. Aber für ihn ist der Landpreis gefallen auf hundert Euro pro Hektar, oder sogar noch weniger in den abgelegenen Landesteilen: 30 Euro pro Hektar. Preise, für die das Land verzweifelt verkauft wurde von Menschen, die fliehen mussten."

    Um Ideologien wird in Kolumbien längst nicht mehr gefochten, sagt Kircher. Vielmehr geht es um Territorien und Ressourcen. Die Drogenmafia sucht nach Möglichkeiten ihre Reichtümer zu waschen. Palmenanbau eigne sich gut dafür, meinen Menschenrechtler, wie Alvilio Peinja von Justizia y Paz...

    Alvilio: "Es sind nicht die Bauern, die Palmen anbauen. Das Geschäft machen Unternehmer, Paramilitärs und Drogenhändler. Es gibt eine von Präsident Alvaro Uribe ziemlich klar definierte Politik Agrodiesel zu exportieren. Und es ist auch klar, dass diese Regierung kein Interesse daran hat, Bauern ihr Land zurück zu geben, denen es gestohlen wurde, so wie im Falle der schwarzen Gemeinden im Nordwesten des Landes, weil die Bauern dort Bananen, Mais, Reis und Yucca anbauten. Die Bauern wirtschaften nicht mit Monokulturen, sondern vielseitig, um überleben."

    Bauern, die in das Monokultur-Geschäft einsteigen, machen sich abhängig von großen Palmöl-Produzenten und Weltmarktpreisen für Biodiesel. Ihre eigene Ernährung können sie langfristig nicht mehr sichern. Lebensmittel werden durch den Boom teurer, ebenso wie Land, das Kleinbauern kaum noch bezahlen können. Nicht Bauern, sondern Investoren bauen in Kolumbien Anlagen zur Biodiesel-Gewinnung und kaufen Land für Palmen – meistens gleich mehrere hundert Hektar. Denn das Geschäft mit dem Biodiesel lohnt sich nur im großen Stil.