"Zwei wunderschöne kleine chinesische Mädchen namens Lulu und Nana kamen vor einigen Wochen weinend und so gesund wie jedes andere Baby zur Welt."
Schaut man sich die Videos an, sieht eigentlich alles ganz harmlos aus. Der sehr ordentliche Seitenscheitel sowie das gut gebügelte blaue Hemd von Forscher He Jiankui sind Vertrauen einflößend.
"Die Mutter Grace wurde schwanger durch künstliche Befruchtung. Die verlief normal, bis auf einen Unterschied: Wir vollzogen eine Genchirurgie mithilfe von CRISPR/Cas9 - damit sind Lulu und Nana resistent vor Aids, indem wir ein kleines Protein in ihre Zellen einbauten. Nach der Geburt überprüften wir das, ob alles sicher war."
Kinder vor Aids zu schützen ist doch eine tolle Idee, könnte man vielleicht erst mal meinen, als Forscher He Jiankui in einem Anfang Dezember hochgeladenen YouTube-Video lapidar erklärt, wie simpel das war.
Die Langzeitfolgen sind noch unabsehbar
Demnach hatte der an Embryonen vorgenommene Eingriff mit dem noch sehr jungen Verfahren CRISPR/Cas9 das Ziel, die Kinder resistent gegen HIV zu machen. Eine geprüfte wissenschaftliche Veröffentlichung zu den Eingriffen gibt es noch nicht, sondern lediglich einen Eintrag in einem chinesischen Register für klinische Tests. In Deutschland, den USA und vielen anderen Ländern sind derartige Manipulationen an menschlichem Erbgut und der Keimbahn verboten, weil die Risiken bisher kaum abschätzbar sind und Veränderungen an nachfolgende Generationen weitergegeben werden. Und in China? Da hat man offenbar weniger ethische Bedenken. Für He Jiankui sind die beiden Kinder ganz normal:
"Sie sind sicher und gesund - wie andere Kinder."
Ob die Kinder ein normales Leben führen werden, gilt zu bezweifeln, denn sie werden bis zu ihrem 18. Lebensjahr medizinisch betreut werden, so die Planung. Forscher Jiankui vermutet nur, dass Lulu und Nana gesund sein werden - da kann man beim jetzigen Stand der Wissenschaft nur spekulieren. Denn die Langzeitwirkungen dieser Genchirurgie an menschlichen Zellen sind bei dieser Methode noch völlig offen.
Der Eingriff war kein voller Erfolg
Kein Wunder, dass viele Wissenschaftler das Experiment in den Medien kritisieren. Ob nur an den richtigen Stellen bei der Genchirurgie herumgeschnipselt wurde, bleibt auch im Dunkeln. Denn solche "Off -Target-Effekte" sind gefährlich, weil Gene dann ihre Funktion verlieren können oder auch Krebswucherungen anregen können. So war wohl auch dieser Eingriff nicht so erfolgreich, wie der Forscher es sich gewünscht hat: Nicht alle Rezeptoren, die für die Aufnahme des Aids-Virus verantwortlich sind, wurden deaktiviert.
Also können die beiden Mädchen theoretisch immer noch Aids bekommen. Ein weiterer Rückschlag dieses Menschenexperiments zeigt auch von medizinischer Seite das enorme Risiko. He scheint den Proteststurm geahnt zu haben, als er das Video bei YouTube ins Internet stellte. Er sagte:
"Nur für einige Familien ist diese Form der IVF-Fertilisation die einzige Möglichkeit, sie vor furchtbaren Krankheiten zu schützen - deshalb bitte ich um Mitleid für die Familien."
"Die Regulierungen hinken hinterher"
Fast flehentlich bittet He bei seinem Tabubruch um Vergebung. Der weltweite Protest kam aber nicht nur von den wissenschaftlichen Kollegen. Unweit des Kanzleramts auf dem Gelände der Berliner Charité arbeitet die Ko-Erfinderin der Genschere. Die Französin Emmanuelle Charpentier warnt schon seit Langem davor, dass ihre Erfindung für solche Art von Menschenzüchtung missbraucht werden könnte. Jetzt ist eingetroffen, was sie befürchtet hat. Sie forderte mit vielen Kollegen ein weltweites Moratorium: Forscher müssten sich selbst beschränken, solange der Gesetzgeber es nicht ausreichend reguliert hat:
"Die Technologie entwickelt sich rasant, weit schneller als wir gedacht hatten. Die Regulierungen hinken jedoch weit hinterher. Wir müssen sie überarbeiten und dieser Entwicklung anpassen."
Charpentier appelliert, die Grundlagenforschung weiter voranzutreiben, bis es zu einem besseren Verständnis dieser neuen Biotechnologie und der Stoffwechselreaktionen kommt.
"Ich denke, auch wenn die Technik noch nicht 100 Prozent genau ist, sollten wir mit der Forschung weitermachen - zumindest, um den Zellenmechanismus besser zu verstehen. Die Frage ist eher, ob wir sie nutzen sollten, um etwa embryonale Zellen des Menschen genetisch zu modifizieren und einer Mutter zu reimplantieren."
Ist das Tabu nur eine Frage des technischen Fortschritts?
Experimente an menschlichen Embryonen waren bislang in den meisten Ländern untersagt oder strikt reglementiert. Doch angesichts der Verheißung, Menschen schon im Vorfeld vor Krankheiten schützen zu können, fordern nun auch deutsche Wissenschaftler mehr Flexibilität. So rückt die DNA-Revolution mit großen Schritten auf eine roten Linie zu, die bislang weltweit Konsens war: Finger weg von Eingriffen in die menschliche Keimbahn, heißt es bisher überall, auch Leid- und Krankheitsvermeidung können solche Manipulationen nicht rechtfertigen. Doch Professor Jochen Taupitz, Experte für Medizinrecht an der Akademie der Wissenschaften Leopoldina, hält das Tabu mittlerweile für überholt. Zumindest bedarf es einer Neuformulierung:
"Die Eingriffe in die menschlichen Keimbahnen sind in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten. Und damals hatte der Gesetzgeber nicht etwa die Menschenwürde oder sonstige fundamentale Argumente ins Spiel gebracht, sondern er hat gesagt: Eingriffe in die menschliche Keimbahn, die sich also dann auf nachfolgende Generationen vererben können, diese Eingriffe können viel zu ungenau durchgeführt werden, und wenn man da irgendeine Manipulation vornimmt, ist das ein unverantwortlicher Menschenversuch."
Doch seitdem das Gesetz formuliert worden ist, ist viel passiert auf dem Feld der Gentechnik. Taupitz sagt:
"Mit den heutigen gentechnischen Möglichkeiten zeichnet sich allerdings ab, dass man viel genauer, exakter, sehr viel genauer in das menschliche Genom eingreifen kann. Und wenn man jetzt eine hinreichende Genauigkeit erreichen kann in Zukunft, dann stellt sich die Frage, mit welchen Gründen der Gesetzgeber es verbietet. Aber irgendwann kommt natürlich der Zeitpunkt, wo wir auch in Deutschland entscheiden müssen: Darf unseren Bürgern eine solche gentechnische Möglichkeit verwehrt bleiben?"
Einstieg in die "Menschenzüchtung"
Aber was ist mit den ethischen Grenzen? Dazu der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm:
"Ob die Angaben des chinesischen Forschers wirklich stimmen, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sicher gesagt werden. Wenn sie stimmen, ist hier eine Grenze überschritten worden, die ethisch hoch problematisch ist."
Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland begründet seine Sicht folgendermaßen:
"Genetische Eingriffe auf die Keimbahn wirken sich auf alle Nachkommen aus. Damit öffnet sich die Tür für das gezielte Formen, das gezielte Design eines zukünftigen Menschen. Es ist - so drastisch muss man es sagen - der Einstieg in die 'Menschenzüchtung'. Ein solcher Eingriff in das menschliche Leben stellt sich zum Widerspruch, das den Menschen als Bild Gottes sieht, das sich der menschlichen Verfügbarkeit entzieht."
Wenn Hes Experiment tatsächlich so stattgefunden hat und wenn es zur Marktreife weiterentwickelt wird, könnten Menschen erzeugen werden, denen unerwünschte genetische Anlagen fehlen. Und Menschen, die erwünschte genetische Dispositionen haben. Nicht nur Gesundheit und Intelligenz, sondern auch Haar und Augenfarbe könnten Eltern auf einer Liste ankreuzen.
"Es bedarf einer gesellschaftlichen und kirchlichen Diskussion"
Das Experiment mit Lulu und Nana beweist: Der Umgang mit der Genschere ist inzwischen kein technisches, sondern ein moralisches, ein ethisches Problem, wofür die Politik Lösungen finden muss. Die gesellschaftliche Debatte über das Experiment über Lulu und Nana hat gerade erst begonnen, aber nur Politik und Philosophie können einer Technik noch Grenzen setzen, die dem Menschen nahezu göttliche Fähigkeiten verleihen wird. Diese Grenzen fordert der Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche Heinrich Bedford-Strohm jetzt ein:
"Die wissenschafts- und forschungsethischen Fragen, die sich aus dem 'Genome Editing' ergeben, bedürfen ebenso einer intensiven Besinnung in der Gemeinschaft der Forschenden, wie einer gesellschaftlichen und kirchlichen Diskussion."