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Biografische Devotionalien

Die historische Figur des Lawrence von Arabien und die Filmlegende zeichnet eine Ausstellung der Kulturstiftung des Bundes in Oldenburg nach. Das widersprüchliche Wirken des T. E. Lawrence wird dabei nicht problematisiert.

Von Werner Bloch | 19.11.2010
    Hätten Sie es nicht auch ne Nummer kleiner? Das möchte man ausrufen beim Blick auf Lawrence von Arabien, den Mythos vom europäischen Genie, das nach Arabien aufbricht und dort Weltgeschichte schreibt – zumindest schreibt Lawrence das über sich selbst.

    Der manchmal vom Größenwahn geplagte Orientalist hat sich als einer der ersten ganz bewusst wie ein heutiger Popstar selbst inszeniert. Das zeigen schon seine Lebenserinnerungen, ein prätentiöses Kompendium mit dem noch prätentiöseren Titel "Die Sieben Säulen der Weisheit" – Untertitel: "ein Triumph". Aber musste T. E. Lawrence es auch gleich mit der gesammelten Weltliteratur aufnehmen? Sein Buch sollte besser sein, schreibt er, als Nietzsches Zarathustra, Melvilles Moby Dick und den Brüdern Karamasow mindestens gleichwertig.

    Lawrence erzählt seine lückenhafte und problematische Geschichte immer wieder neu, er ist der Meister des inneren Widerspruchs. Für die Wahrheit, die historische Wahrheit gar, hat er nur Verachtung übrig. Manche finden das gar nicht schlimm, so der Kurator der Oldenburger Ausstellung, Detlef Hofmann:

    "Das war ja eine seiner Neigungen, die Dinge immer neu zu erzählen. Nicht nur Bernard Shaw, sondern auch andere waren fest überzeugt, dass er wie ein Schauspieler oder wie ein Dichter mit dem Erfahrenen poetisch umging. Sie haben ihm das überhaupt nicht als Lüge angekreidet, sondern als eine schillernde Darstellung. So entstehen Mythen."

    Vielleicht. Aber die Frage ist doch, wie man mit einem solchen Mythos umgeht – schon gar in einer Ausstellung. Kann man Lawrence allen Ernstes heute noch naiv eins zu eins präsentieren und sich fast jungenhaft an seinen Abenteuern berauschen? Oder müsste man nicht seine historische Rolle überprüfen, dem Schauspieler und Hochstapler Lawrence näher auf die Pelle rücken, sein überaus problematisches Verhalten für das europäisch-arabische Verhältnis in neuem Licht sehen?

    Genau so hatte es sich der Projektleiter der Lawrence-Ausstellung, der aus Syrien stammende Direktor des Oldenburger Museums, Mahmoun Fansa, vorgestellt:

    "Diese Ausstellung soll weder einen neuen Mythos entstehen lassen noch den alten Mythos lebendig machen. Das ist mein Ziel. Ich will Lawrence als Projektionsfläche haben, um die Geschichte des Nahen Ostens darzustellen."

    Genau das aber findet nicht statt. Die Ausstellung ist eine biografische Devotionalienschau. Sie trägt eindeutig die Handschrift des Kurators Hoffmann, und der betreibt unkritische Hagiographie. Sie beginnt mit unendlich vielen, auf Plakatgröße aufgeblasenen Comic-Strip-Bildern, die ganze Wände einnehmen, dann wird Lawrence' Leben in aller Breite ausgewalzt. Hier ein paar Gemälde, dort ein paar Waffen, der lammfellbezogene Schreibsessel des Helden – und ein Motorrad des Typs, mit dem Lawrence tödlich verunglückte, 1935. Und, ja, es gibt unendlich viele Fotos. Aber mit denen kann keiner, der nicht schon von vorneherein Lawrence-Experte ist, etwas anfangen.

    Kurz: der "Mythos" Lawrence wird in dieser brav-bieder zusammengepuzzelten museumspädagogischen Schau, die sich der Kurator selbst geschenkt hat, nirgendwo belegt. Lawrence' Flatterhaftigkeit, seine Widersprüchlichkeit, seine Posen, die ihn am Ende noch als angeblichen Konstrukteur von Schnellbooten auftreten lassen – nichts davon wird dekonstruiert, nichts davon gewinnt hier Kontur. (Nicht einmal, dass Lawrence nach dem berühmten Film mit Peter O'Toole zu einer Ikone der Schwulenbewegung wird, findet Erwähnung.)

    Was bleibt vom Mythos Lawrence, nachdem der Sternenstaub seines Mythos zerstoben ist? Nur museumspädagogisches Grau.

    Dabei gäbe es doch so viel zu erzählen. Lawrence war tatsächlich an der Entstehung des Nahen Ostens beteiligt – wenn auch in weit geringerem Maße als oft behauptet. Er spielte eine Rolle bei der Arabischen Revolution – dem Aufstand der Araber gegen die Türken.

    In der arabischen Welt gilt Lawrence heute als Verräter, als einer, der die Wut auf den Westen schürt. Als er die Araber zur Revolte anstachelte, wusste er bereits, dass sich England und Frankreich den Nahen Osten längst aufgeteilt hatten, nach dem Syke-Picot-Abkommen von 1917. Die Araber wurden instrumentalisiert, Lawrence gilt bei ihnen als Spion und Verräter - diese Sicht ist von arabischen Historikern gerade in den letzten Jahren ausgegraben und belegt worden. In Oldenburg ist auch davon nichts zu sehen.