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Biographische Schnipsel und Leerstellen

Im Dokumentarstück "Vom Widerstehen" erzählen prominente Ex-Bürgerrechtler der DDR von ihrem Weg in den Widerstand, von der täglichen Schikane des Staates gegen Andersdenkende. Doch die didaktische Anlage des Stückes verhindert, dass die Beweggründer der Bürgerrechtler wirklich plastisch werden.

Von Hartmut Krug | 07.11.2009
    Sogenannte "Zeitzeugen" haben Konjunktur auf deutschen Bühnen. Zu Zeitzeugen werden Menschen, wenn sie etwas zu erzählen haben und mit ihren privaten Erinnerungen im besten Fall gesellschaftliche Strukturen zu versinnlichen vermögen.

    Gegen authentische Erinnerungen ist wenig einzuwenden. Entscheidend auf einer Bühne aber ist nicht nur, was man zu erzählen hat, sondern wie man es erzählt. Dokumentartheater lebt, das beweist nicht zuletzt immer wieder die Gruppe Rimini Protokoll, von der Auswahl der Zeitzeugen und von ihrem Auftreten, also, ja, vom Casting und von der Inszenierung.

    Als das auch diesmal verantwortliche Team, bestehend aus Lea Rosh, Renate Kreibich-Fischer und Regisseur Clemens Bechtel, vor einem Jahr bei ihrem Projekt "Staats-Sicherheiten" ehemalige Stasiopfer ihre Geschichten auf der Bühne des Potsdamer Hans Otto Theaters erzählen ließen, traten Opfer auf, betroffene Menschen, die ihre Zuhörer mit ihren Berichten betroffen machten. Die Schlichtheit dieser kaum inszenierten Aufführung und die Ungelenkheit seiner Mitwirkenden verliehen ihr eine Eindringlichkeit und Authentizität, die das Laienhafte des Abends völlig vergessen ließen.

    Im neuen Stück, genannt "Vom Widerstehen. Ein Dokumentar-Theaterstück über den Widerstand in einer Diktatur", treten vor allem zu Öffentlichkeitsprofis gewordene Menschen auf, Menschen, die auch in politischen Funktionen tätig waren oder sind. Die deutlich nicht nur erzählen, sondern auch wirken, gut "rüber kommen" wollen. Wobei sich wieder einmal Politiker als schlechte Schauspieler erweisen.

    Denn dieser Abend, in dessen Mittelpunkt der einstige Filmemacher und Bürgerrechtler Konrad Weiß und die Mitbegründer der die DDR-Bürgerrechtsbewegung prägenden "Initiative für Frieden und Menschenrechte", Ulrike Poppe, Wolfgang Templin und Ralf Hirsch stehen, ist vor allem ein ungemein absichtsvoll gestalteter Abend. Auf der leeren Bühne stehen die Menschen mit ihren Absichten und Meinungen im Mittelpunkt. Dafür treten sie an die Rampe, vor das Publikum, nur manchmal setzen sie sich an einen der Tische, die mit alten Bürogeräten wie Handkurbel-Druckmaschinen und einfachen Schreibmaschinen bestückt sind.

    Leicht melancholisch bis verklärt, vor allem aber moralisch und erklärend sind viele der erzählten Geschichten von den sieben Zeitzeugen, die allesamt erst von einem vormundschaftlichen Staat zum Widerstand getrieben wurden. Wenn die Potsdamerin Carolin Lorenz erzählt, dass sie nicht das normierte Leben führen wollte, mit festgelegtem Beruf, Heirat, Kinder und Wohnung mit Schrankwand im Neubaublock, oder wenn Ulrike Poppe von ihrem Wunsch nach eigenen authentischen Strukturen in allen Lebensbereichen berichtet, dann wird, auch im Kontrast zu eingespielten Stasiberichten, deutlich, dass allein dies vom Staat als feindlich und widerständig angesehen wurde. Es durfte nichts geben, das selbstbestimmt war und sich der staatlichen Kontrolle entzog.

    Spannend an diesem Abend sind vor allem die kleinen Details: so, wenn Konrad Weiß erzählt, das er allein mit dem Thema "Müllabfuhr" seines ersten Films Misstrauen erregte, oder wenn der spätere Pfarrer Hans-Joachim Schalinski berichtet, wie die Feuerwehr am Morgen des ersten Mais vorfuhr und, weil seine Mutter nicht flaggen wollte, selbst die DDR-Flagge am Haus anbrachte.

    Noch heute erschrickt man, wenn Ulrike Poppe berichtet, dass der von ihr mit Freunden gegründete Kinderladen eines Morgens von als Bauarbeitern verkleideten Stasi-Leuten ausgeräumt und zugemauert wurde.

    Sonst wird viel Bekanntes erzählt und mancherlei Gemeinplatz verkündet. Spannend wird es, wenn zwei Frauen einer jüngeren Generation von ihren Potsdamer Aktivitäten berichten und ihr Handeln als selbstverständlichen Bestandteil einer gewachsenen Jugendkultur beschreiben. Die Berichte der beiden Potsdamerinnen, die ohne Pathos und mit kluger Distanz auf ihre bewegte Zeit zurückschauen, sind in Inhalt und Form die spannendsten. Aber auch die engagiert abgeklärte Haltung berührt, mit der Ulrike Poppe sich erinnert.

    Wenn allerdings die drei Mitbegründer der "Initiative für Frieden und Menschenrechte" ihre einstigen Diskussionen auf drei Hockern nachzustellen, besser nachzusitzen suchen, wird es unfreiwillig komisch. Dennoch: immer wieder, in Passagen, in denen die Zeitzeugen von ihren eigenen Schwächen, von Stasi-Mitarbeit oder Teilhabe am System erzählen, scheinen Themen auf, die vertiefte Bedeutung verdient hätten. Doch dieser Abend will den großen Bogen und verheddert sich dabei mit vielen biographischen Schnipseln und Leerstellen. Haltungen und Biografien werden in ihrer Entwicklung wenig deutlich, sondern eher aufgezählt.

    Zwar erschreckt wieder, wenn man erfährt, wie viele kritisch selbstbewusste Menschen, vom Staat als feindlich negativ bezeichnet, von der DDR ausgebürgert wurden, doch von der Gewalt der staatlichen Maßnahmen gegen Missliebige vermittelt der Abend nicht viel.

    Alle der sieben Zeitzeugen sind in der neuen Gesellschaft angekommen: weil sie frei sein dürfen und nicht mehr in den Widerstand gezwungen werden, heißt es.

    Es war kein großer und bewegender Abend wie der erste mit den Stasiopfern, und er zog auch nicht mehr so viel Publikum an wie dieser.

    Seine größte Schwäche war seine didaktische Anlage. Wobei der kitschige Schlusssatz eines einstigen Potsdamer Pfarrers, "Widerstand lohnt sich", das Geschehen zur Erfolgsgeschichte verklärte. Dabei zeigten die Erzählungen dieses, vor allem aber des ersten Abends, wie viele zu Opfer wurden, weil sie Widerstand geleistet haben.