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Biologie
Breitrand-Käfer fühlen sich in Ostdeutschland wohl

Der Breitrand ist eine Schwimmkäfer-Art, die schon als fast verschollen galt. In Ostdeutschland wurde sie wiederentdeckt, und dabei stellte sich heraus, dass die Bestände die größten in ganz Westeuropa sind.

Von Volker Mrasek | 20.11.2013
    Unser Bild zeigt einen Vertreter der größten Schwimmkäfer der Pazifikinsel Neuguinea, einen "Gauckler" (Gattung Cybister). Undatierte Aufnahme.
    Der aus dem Mittelmeer-Raum stammende Gaukler (im Bild) ist ein Konkurrent des seltenen Breitrand. (picture alliance / dpa / Michael Balke)
    Der Breitrand ist mit einer Körperlänge von bis zu viereinhalb Zentimetern die größte lebende Schwimmkäferart der Welt. Und ein echter Abtaucher. Kaum jemand hat das Insekt mit der markanten gelben Reling am Panzer bisher in Deutschland zu Gesicht bekommen. "Ich glaube mal, lebend, wohl kaum mehr als ein Dutzend, also eher weniger Leute." Lars Hendrich gehört auf jeden Fall dazu. Der Insektenkundler beschäftigt sich schon seit rund drei Jahrzehnten mit Schwimmkäfern. Hendrich ist Kurator an der Zoologischen Staatssammlung in München. Der Breitrand, sagt er, sei früher in ganz Deutschland verbreitet gewesen, dann aber verschollen: "Die Bestände sind irgendwann ab den 60er-Jahren rapide zusammengebrochen."
    Erstaunliches Bevölkerungszahlen
    Umso erstaunlicher, was jetzt aus Mecklenburg-Vorpommern über den Schwimmkäfer berichtet wird. Gesine Schmidt von der Hochschule Neubrandenburg hat die Größe der Breitrand-Population im Roten Moor ermittelt, einem Flachgewässer in der Nähe von Neustrelitz. Die Biologin fing die Käfer in speziellen Fallen, markierte die Tiere, ließ sie wieder frei und hielt fest, wann sie ihr später erneut ins Netz gingen. Drei Jahre dauerte das Ganze. Den Breitrand-Bestand im Roten Moor schätzt die Forscherin nun auf 1600 bis 1800 Exemplare. Und erntet ein Sonderlob vom erfahrenen Schwimmkäfer-Experten:
    "Das ist in jedem Fall toll, dass man zum ersten Mal Populationsgrößen abschätzen konnte. So was ist weltweit noch gar nicht gemacht worden. Das ist wohl die größte bekannte Population in Deutschland dort."
    1600 bis 1800 Tiere - das spricht für einen stabilen Bestand der Schwimmkäfer. Der Breitrand braucht größere naturnahe Seen, die vor allem den Larven der Käfer gute Überlebenschancen bieten ...
    "Über ein Hektar Fläche, mit großen zusammenhängenden Schilfgürteln und Seggenbeständen, dass die Larve da gut Deckungsmöglichkeiten hat und so eben dem Raubdruck der Fische entgehen kann. Das ist also sehr wichtig. Die Art ist sehr anfällig gegen künstlichen Fischbesatz, gerade Raubfischbesatz. Und man muss sagen, dass eigentlich nur noch in Brandenburg im Norden und in Mecklenburg-Vorpommern Gewässer existieren, die eine relativ natürliche Fischfauna aufweisen."
    In mehr als 150 dieser Gewässer wurde bisher nach dem Breitrand gefahndet. Doch nur im Roten Moor und in sechs anderen Seen ließ sich die Art auch nachweisen. Aus wie vielen Tieren die Populationen dort jeweils bestehen, ist noch nicht bekannt.
    Die Bestände der Schwimmkäfer sind auf jeden Fall schützenswert. Der Breitrand gilt als vom Aussterben bedrohte Art. Und stabile Populationen in Westeuropa gibt es nach Lage der Dinge nur noch in Ostdeutschland, wie Lars Hendrich sagt:
    "Nach Westen hin gibt es nur noch ein Reliktvorkommen in den Niederlanden, was aber sehr individuenarm ist und vielleicht auch bald aussterben wird. Der war ja auch seit den 60er-Jahren dort verschollen. Und dann haben sie 18 Tiere da wieder gefunden. Aber da weiß ich eben nicht, ob die sich dann überhaupt halten werden oder ob das nicht irgendwann in den nächsten 20, 30 Jahren dann doch zusammenbricht und wir hier die letzten haben."
    Hendrich und seine Kollegen sehen gute Chancen, dass der weltgrößte Schwimmkäfer in Mecklenburg-Vorpommern und Nord-Brandenburg überleben kann, "weil dort auch Maßnahmen durchgeführt wurden, Naturschutzmaßnahmen, die auch für die Art förderlich sind, sodass wir sie da halten können".
    Der Gaukler vom Mittelmeer
    Eine Gefahr lauert allerdings. Und zwar in Gestalt eines anderen Schwimmkäfers. Es ist der aus dem Mittelmeer-Raum stammende Gaukler. Der hat sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland stark ausgebreitet, begünstigt wahrscheinlich durch die Klimaerwärmung. Hendrich:
    "Auch wir hatten in den Fallen häufig, sehr häufig, eben diesen Gaukler drin. Was das Schlimmste ist: Die Larve dieses Gauklers ist insektenfressend, insektenlarvenfressend. Und man kann zumindest vermuten, dass die verstärkt auch Breitrand-Larven fressen kann in einem Gewässer."
    Käferlarve frisst Käferlarve - in diesem Fall zum Nachteil des Breitrands. Der kann leider nicht zurückschlagen, so Hendrich, "weil die Larve des Breitrands ausschließlich Köcherfliegenlarven frisst".
    Nach der europäischen Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie sind die Bestände des streng geschützten Käfers auf jeden Fall zu bewahren. Die Biologen müssen sich also überlegen, was sie im Zweifelsfall gegen den gefräßigen Gaukler unternehmen können.