Ägyptische Fruchtfledermäuse sind wahre Flugkünstler. Der israelische Neurobiologe Arseny Finkelstein hat das in seinem Labor am Weizmann Institut schon häufig beobachtet.
"Die Fledermäuse drehen sich im Flug auf den Rücken, zum Beispiel wenn sie an der Decke landen wollen. Dafür machen sie eine Art Salto. Sie strecken erst ihre Beine aus und kippen dann nach hinten, während sie noch in der Luft sind."
Um in dieser Haltung sicher landen zu können, sind allerdings nicht nur Flugkünste gefragt, sondern auch ein guter Orientierungssinn. Während die Fledermaus im Flug auf den Rücken kippt, muss sie immer genau wissen, wo sich ihr Landeplatz befindet, selbst wenn sie ihn gar nicht mehr im Blick hat. Und diese Orientierung muss auch dreidimensional funktionieren.
Aus Versuchen mit Ratten ist schon länger bekannt, dass die Tiere in einer bestimmten Hirnregion, dem Presubiculum, Neuronen besitzen, die als zweidimensionale Richtungsweiser dienen. Die sogenannten Kopfrichtungszellen werden jeweils nur dann aktiv, wenn der Kopf in eine bestimmte Richtung zeigt. Arseny Finkelstein machte sich auf die Suche nach dem neuronalen Kompass der Fledermäuse:
"Wir haben bei den Fledermäusen Elektroden in die Hirnregion implantiert, von der wir wussten, dass dort bei Ratten die Kopfrichtungszellen sitzen. Und dann haben wir getestet, inwiefern die Neuronen dort bei den Fledermäusen nicht nur horizontal die Richtung weisen, wie bei einem Kompass, sondern auch vertikal, also in drei Dimensionen."
Oben bleibt oben, auch kopfüber
Arseny Finkelstein ließ bei den Versuchen vier Fledermäuse einzeln in einem Käfig herumkrabbeln - auch kopfüber an der Käfigdecke. Dabei erfasste er die Hirnaktivität der Tiere mit Multi-Elektroden, die jeweils 16 Neuronen gleichzeitig vermessen können. Durch wiederholte Versuche, bei denen er die Position der Elektroden stets leicht veränderte, konnte er insgesamt 266 Neuronen erfassen. Knapp ein Drittel davon zeigte eine richtungsabhängige Aktivität, sagt Finkelstein:
"Einige Zellen reagieren nur auf eine bestimmte horizontale, andere nur auf eine vertikale Ausrichtung. Aber ein nennenswerter Teil der Neuronen ist für eine Kombination beider Winkel empfindsam. Wir nennen sie die 3D-Verbindungszellen."
Der neuronale Kompass der Fledermäuse hat eine Besonderheit: Egal ob die Tiere sich bäuchlings oder auf dem Rücken fortbewegen, bleiben stets die gleichen Richtungszellen aktiv. Das ist anders als bei einem normalen Kompass. Stellt man diesen auf den Kopf, dreht sich die Richtungsanzeige um 180 Grad: Was zuvor als West gedeutet wurde, ist nun Ost. Der Orientierungssinn der Fledermäuse funktioniert hingegen unabhängig von der Lage.
"Was mich auch überrascht hat, ist, wie ähnlich sich Ratten und Fledermäuse sind. In der Evolution sind sie seit Millionen von Jahren getrennt. Sie zeigen auch ein sehr unterschiedliches Verhalten. Und doch besitzen sie in den gleichen Hirnregionen Neuronen mit vergleichbaren Funktionen. Das heißt, dass dieser Orientierungssinn evolutionär gesehen ein sehr alter Mechanismus ist. Von daher denken wir, dass es auch bei Menschen etwas ganz Ähnliches geben müsste."
Menschen könnten einen ähnlichen Kompass besitzen
Arseny Finkelstein sieht in seinen Labor-Fledermäusen ein gutes Tiermodell, um auch mehr darüber zu erfahren, wie wir Menschen uns im Raum zurechtfinden.
"Man stelle sich nur vor, wie wir uns in einer großen Stadt bewegen - zum Beispiel Manhattan mit seinen Hochhäusern. Sich in einer so komplexen, geschichteten Umwelt zurechtzufinden, das machen wir ständig. Die Fledermäuse können uns helfen, das zu verstehen."
Bisher ist von Menschen bekannt, dass sie ihre Position ständig auf einer Art neuronalen Karte mithilfe von sogenannten Orts- und Gitterzellen im Gehirn bestimmen. Die Entdecker dieser Funktion erhielten in diesem Jahr den Medizinnobelpreis. Arseny Finkelstein will nun erforschen, ob und wie der von ihm gefundene neuronale Kompass zusammen mit solchen neuronalen Karten wirkt.