"Die Luft kann natürlich sehr kalt sein, um die 40 Grad minus. Das Wasser wird etwa minus zwei Grad kalt. Das ist der Gefrierpunkt von Meerwasser und der liegt unter dem Gefrierpunkt von normalen Fischen. Würde man die in die Antarktis bringen und dort ins Wasser setzen, würden die meisten Fische sofort einfrieren und wären innerhalb von Sekunden fest."
Paul Cziko war schon häufig in der Antarktis und kennt die unwirtlichen Bedingungen südlich des Polarkreises. Auf der McMurdo-Forschungsstation untersucht der Biologe von der Universität Oregon die Notothenioidei. Diese Fischgruppe macht im antarktischen Ozean etwa Dreiviertel aller Biomasse aus. Ihre Dominanz hat vor allem damit zu tun, dass sie besonders gut an das Leben bei kalten Temperaturen angepasst sind.
Anti-Frost-Proteine binden Eiskristalle
Einer dieser Anpassungsmechanismen sind die Anti-Frost-Proteine. Sie schwimmen im Blut und in anderen Körperflüssigkeiten der Tiere und binden an winzige Eiskristalle, die bei der Nahrungsaufnahme oder durch kleine Hautverletzungen in die Fische gelangen.
"Die Proteine wirken anders als die Forstschutzmittel, die man ins Auto tut. Sie binden an die Eiskristalle und verhindern, dass sie weiter wachsen. Dafür müssen die Proteine die Oberfläche der Eiskristalle besetzen und dort sehr fest binden. Das sorgt dann dafür, dass sich keine weiteren Wassermoleküle anlagern."
Die Proteine verhindern so, dass das Blut durch zu viel Eis dickflüssig wie Schlamm wird oder im Gewebe größere Schäden entstehen.
Bei ihrem letzten Forschungsaufenthalt in der Antarktis wollten Paul Cziko und sein Team untersuchen, was mit dem Eis passiert, wenn die Temperaturen im Sommer steigen. Langzeitmessungen hatten ergeben, dass dann durchaus Wassertemperaturen erreicht werden, bei denen die Eiskristalle schmelzen können. Die Forscher fingen deshalb einige Fische und hielten sie eine Weile bei Wassertemperaturen über dem Gefrierpunkt.
"Wir haben uns angesehen, ob die Eiskristalle tatsächlich bei den Temperaturen schmelzen, die wir erwarten. Aber es zeigte sich, dass sie nicht schmelzen, die Eiskristalle bleiben auch während des Sommers in den Fischen."
Doppelte Wirkung
Diesen Effekt konnten die Forscher ebenfalls auf die Frostschutz-Proteine zurückführen. Sie sind also gleichzeitig Anti-Schmelz-Proteine. Durch die feste Bindung zwischen Eiskristall und Protein wird nicht nur das Anlagern, sondern auch das Abschmelzen von Wassermolekülen verhindert. Das Eis existiert dadurch noch bei Temperaturen oberhalb seines Schmelzpunktes.
"Wir nennen dieses Eis überhitztes Eis. Es existiert bei Temperaturen, bei denen grundlegende physikalische Prinzipien sagen: Es sollte eigentlich nicht da sein. Es sollte schmelzen."
Im Lauf des Sommers wiesen die Forscher das überhitzte Eis auch in Fischen in der freien Natur nach. Die erhöhten Wassertemperaturen sind demnach nicht ausreichend, um den Anti-Schmelz-Effekt zu überwinden.
"Wir denken, dass die Eiskristalle wahrscheinlich für den Rest ihres Lebens in den Fischen bleiben, wenn sie erstmal eingedrungen sind. Die nächste Frage wäre dann, ob das für die Fische ein Problem ist und die Antwort darauf kennen wir noch nicht."
Jede gute Anpassung hat ihren Preis
Die Eiskristalle könnten sich mit der Zeit ansammeln und die Blutgefäße verstopfen oder Probleme in der Lunge verursachen. Da es den Fischen aber trotz des Eises offensichtlich gut geht, vermuten die Forscher, dass sie andere Mechanismen entwickelt haben, um die Menge der Kristalle zu kontrollieren. Etwa durch spezialisierte Zellen, die das Eis samt Frostschutz-Protein aufnehmen und abbauen.
"Diese Proteine waren offensichtlich eine sehr einfache Lösung für das Einfrier-Problem, hat aber andere Probleme mit sich gebracht. Das ist in der Evolution häufig so: Jede gute Anpassung hat auch ihren Preis. Man löst ein Problem und schafft gleichzeitig ein neues, für das man eine Lösung braucht. Es ist immer ein Kompromiss."