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Biologie und Sprachwissenschaft
Das Aussterben im Wandel

Tieren, Pflanzen und Sprachen kann es passieren: auszusterben. Das war lange Zeit kein Problem - bis es besonders beliebte Arten traf. Seitdem ist der Begriff des Aussterbens politisch aufgeladen. Und das ist nicht der einzige Grund, warum sich Biologen und Sprachwissenschaftler austauschen sollten.

Von Volkart Wildermuth | 26.04.2019
Dinosaurier am Naturmuseum, Senckenberg Museum, Frankfurt am Main, Hessen,
Auch wenn Dinosaurier als Art ausgestorben sind, leben sie in den Vögeln fort - mit großem Erfolg (dpa/ imageBROKER)
Aussterben. Der Begriff wurde ursprünglich geprägt für Adelsgeschlechter ohne Nachkommen. Erst im 19. Jahrhundert verwendeten ihn dann Biologen und erst seit einigen Jahrzehnten auch Linguisten wie Manfred Krifka. Dafür gibt es gute Gründe, findet der Direktor des Leibniz-Zentrum für Allgemeine Sprachwissenschaft.
"Zum einen ist die Ursache des Artensterbens und die Ursache des Sprachensterbens natürlich durchaus verwandt miteinander: Es ist die Globalisierung letztlich, die bei beiden beiträgt. Zum anderen ist es so, dass Gegenden mit einer hohen Artenvielfalt typischerweise auch eine hohe Sprachenvielfalt haben. Also vor allem tropische Gegenden natürlich, Papua-Neuguinea zum Beispiel. Und ein dritter Punkt ist, dass in dem Wortschatz von Sprechern kleiner Sprachen oft sehr viel Detailwissen über die Biologie der Pflanzen, der Tieren, der Fische und so weiter festgehalten ist."
Sprachen zu schützen kann so auch wichtig werden für den Schutz der Arten. Wobei man nicht vergessen sollte: Aussterben ist Teil eines Wandels, der für Arten und Sprachen gleichermaßen natürlich ist. So gibt es kleine Gemeinschaften, die ihre Sprache bewusst aufgeben, um etwa ihren Kindern bessere Chancen in der Gesellschaft zu eröffnen. Und in der Biologie ist Aussterben schlicht der Normallfall, betont der Zoologe Gerhard Scholtz von der Berliner Humboldt Universität: "Es gibt wahrscheinlich mehr Arten, die ausgestorben sind, als jetzt im Moment existieren."
Dinosaurier leben fort
Auch wenn das Aussterben für eine einzelne Art das Ende bedeutet, findet die Natur als Ganzes doch oft Schlupflöcher. Die Dinosaurier zum Beispiel sind nicht wirklich ausgestorben, sie leben in den Vögeln fort.
"Und die Vögel haben heutzutage mehr Arten, als die Dinosaurier in den mehrere 100 Millionen Jahren, die sie auf der Erde gelebt haben. Insofern sind die Dinosaurier heutzutage eigentlich viel erfolgreicher als vor dem Big Bang."
Dem Massenaussterben am Ende der Kreidezeit. Aussterben war in der Biologie lange ein neutraler Begriff, war kein Problem, so der Biologe und Philosoph Georg Toepfer vom Berliner Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Im 19. Jahrhundert galt noch ganz selbstverständlich: Der Mensch hat sich die Natur untertan zu machen.

"Beispielsweise der Botaniker Karl Nägeli, der vertritt das ja offensiv: Wir müssen die Erde schöner machen, wir müssen sie zu einem Garten machen und dazu gehört eben auch das Aussterben, um die Natur sozusagen zu zivilisieren."
Problem für den Menschen
Erst als mit dem Risenalk und der Stellerschen Seekuh bekannte und beliebte Arten verschwanden, gewann der Naturschutzgedanke an Fahrt und das Aussterben wurde negativ gewertet. Heute liegen die Aussterbezahlen weit über den normalen Hintergrund, sind vergleichbar mit den großen Massenaussterben etwa dem am Ende der Dinosaurierzeit. Das ist vielleicht für die Natur kein Problem, wohl aber für den Menschen, der trotz aller Technologie auf stabile Ökosysteme angewiesen bleibt. Aussterben wurde zu einem Begriff, der auch politisch motiviert. Das machte ihn dann für Sprachforscher interessant. Sie wollen aussterbende Sprachen nicht länger nur dokumentieren, sie wollen die kleinen Sprechergemeinschaften aktiv unterstützen. So hat Manfred Krifka eine Rechtschreibfibel für Daki verfasst, das auf Vanuatu von gerade noch 800 Personen gesprochen wird.
"Dass Kinder den schwierigen Prozess des Schreibenlernens nicht irgendwie in einer abstrusen Orthografie wie dem Englischen nachvollziehen müssen, die sie dann ohnehin nicht mehr richtig lernen können, sondern an ihrer eigenen Sprache."
Artenschutz und Sprachenschutz sind aufwändig
Sprachen schützen ist aufwändig, genauso wie der Schutz der Arten. Diese Botschaft zu vermitteln, gelingt den Naturwissenschaften mit ihren trockenen Zahlen und Tabellen aber schwer. Deshalb braucht es Erzählungen, braucht es Literatur, meint Georg Toepfer.

"Also dichte Beschreibung, die das mit Leben erfüllen können, was in der Naturwissenschaft sehr viel karger dargestellt wird. Das ist eine Hoffnung, dass das auch zum politischen Handeln beitragen kann, indem wir nachvollziehen, wie sie leben und tatsächlich präsenter sind als nur eine Darstellung durch die Naturwissenschaften."
Auch auf dieser Ebene kann es also sinnvoll sein, wenn Biologen und Sprachwissenschaftler beim Thema Aussterben ins Gespräch kommen.