Chemie im Labor findet im Reagenzglas statt. Das ist die klassische Vorstellung. Es ist aber auch möglich, Reagenzien als Lösung auf eine Art Löschpapier zu spritzen. Die Reaktionen laufen dann in den vollgesogenen Zwischenräumen der Zellulosefasern ab. Das gelingt sogar mit biomolekularen Produktionsketten, wie sie normalerweise nur in lebenden Zellen vorkommen, die komplexe Proteine bilden. James Collins, Biologe an der Universität von Boston:
"Es ist möglich, die molekulare Maschinerie aus dem Inneren einer Zelle herauszuholen und mit ihr in Reagenzgläsern zu experimentieren. Mein Mitarbeiter Keith Pardee hatte die Idee, diese Maschinerie auf Papier zu spritzen und so zu nutzen, als wäre sie noch immer in einer lebenden Zelle. Zu unser aller Überraschung hat das ausgesprochen gut funktioniert."
Die Forscher brachten eine Lösung aus RNA, Ribosomen und Aminosäuren aufs Papier. Ribosomen sind die kleinen Produktionseinheiten der Zellen, die einen als RNA vorliegenden Bauplan von Proteinen lesen können und dann aus Aminosäuren die entsprechenden Proteine aufbauen. James Collins brachte dabei noch sein Spezialgebiet mit ins Spiel: die synthetische Biologie. Er entwarf künstliche RNA-Moleküle, die nur aktiv werden, wenn sie mit spezifischen anderen Stoffen in Kontakt kommen wie beispielsweise Glukose oder Gensequenzen bestimmter Viren.
"Wir haben eine Art molekularen Biosensor entwickelt. Er besteht aus einem künstlich konstruierten RNA-Molekül, das erst einmal abgeschaltet ist. Wenn aber ein Molekül, das von einem Virus stammt, in einer Probe präsent ist, dann wird diese RNA aktiviert. Nun startet die Produktion des von der RNA codierten Proteins, das die Farbe eines Testpunktes auf dem Papier von Gelb nach Rot umschlagen lässt."
Solche Papiersensoren können als medizinische Nachweistests dienen. Ob zum Beispiel bestimmte Viren wie Ebola in einer Probe vorhanden sind, ist - wie bei einem einfachen Schwangerschaftstest -, mit bloßem Auge an der Farbänderung des Sensors erkennbar. Man muss dafür nur den RNA-Schalter auf eine spezifische Schlüsselsequenz von Ebola-Viren hin programmieren. Und da das Papier eine ansonsten benötigte teure Laborumgebung ersetzt, bieten solche Tests einen Riesenvorteil: den Preis. Collins:
"Unsere Sensoren kosten weniger als einen Dollar in der Herstellung. Das muss natürlich noch mit einer Probenaufbereitung kombiniert werden. Aber ich hoffe, dass all das in einer unglaublich günstigen Weise getan werden kann, sodass es auch in armen Regionen eingesetzt werden könnte."
Papiersensoren sind auch unter extremen Klimabedingungen lange haltbar
Labortests im Papierformat für Afrika - das ist die Idee dahinter. Die Chancen auf Realisierung stehen gar nicht schlecht, zumal James Collins und Kollegen auch noch eine Lösung für ein weiteres Problem gefunden haben. Ohne Kühlung verderben medizinische Produkte schnell, vor allem in heißen Ländern. Nicht so die Papiersensoren. Nach dem Aufbringen der Reagenzien werden sie gefriergetrocknet und bleiben dann, luftdicht verpackt, viele Monate, wenn nicht sogar Jahre lang haltbar. Für den Einsatz müssen sie nur mit der Probenlösung angefeuchtet werden, erklärt der US-Biologe:
"Es war unsere größte Überraschung, wie gut diese zellfreien Extrakte funktionieren, nachdem sie erst gefriergetrocknet und dann wieder angefeuchtet wurden. Bei diesem Prozess geht nichts an Aktivität verloren."
James Collins hat bereits gezeigt, dass mit diesem Testverfahren der Nachweis einer Ebola-Infektion möglich ist. Allerdings ist nicht mit einem schnellen Einsatz der Papiertests bei der aktuellen Ebola-Epidemie zu rechnen. Noch ist das Verfahren nicht empfindlich genug, um auch sehr kleine Virusmengen nachzuweisen. Doch hier hat Collins nach eigenen Angaben schon Fortschritte erzielt. Er ist überzeugt: Die biomolekularen Papierteststreifen für den Feldeinsatz werden kommen.