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Biologische Vielfalt
Mehr Wildnis in Deutschland

In Deutschland soll es wilder werden - das ist das Ziel der 2007 von der Bundesregierung beschlossenen Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt. Doch von den Zielen, mehr Fläche für die Wildnis bereitzustellen, ist man weit entfernt. Deshalb startet nun eine neue Umsetzungsinitiative - zum Auftakt mit einer Tagung in Potsdam.

Von Vanja Budde |
    Eine Herde Wildpferde weidet am 29.05.2012 unweit des altmärkischen Buch bei Tangermünde im Landkreis Stendal. In die Wildnis der dortigen Auenlandschaft wurden durch ein spezielles Projekt des NABU Pferde angesiedelt.
    Wildpferde in den Elbauen. (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Wildnis wie aus vergangenen Zeiten zu schaffen, fällt dem modernen, auf Effizienz getrimmten Menschen schwer, denn er muss dafür gegen seine eigene Natur handeln, meint Hans Joachim Mader, Ratsvorsitzender der Stiftung Naturlandschaften Brandenburg.
    "Können wir es schaffen zurückzutreten? Können wir es schaffen, mal die Finger wegzulassen? Können wir der Natur etwas überlassen, wo jeder von uns glaubt, wir müssten jeden Quadratmeter nutzen? Ja, wenn man heute auch einen gebildeten und gutwilligen, naturschutzaffinen Förster fragt, dann sagt er: ‚Natürlich müssen wir den Wald bewirtschaften'. Müssen wir nicht!"
    Vier große Flächen auf ehemaligen Truppenübungsplätzen hat die Stiftung in Brandenburg für den Naturschutz gesichert. Sehr langfristig soll daraus ein Urwald entstehen, wie er vor vielen hundert Jahren ganz Mitteleuropa bedeckte. Doch die Erweiterung ist mühsam, weil Land immer teurer wird. Jeden Tag werden in Deutschland nach Angaben von Umweltschützern Flächen in der Größe von mehr als 100 Fußballfeldern versiegelt, um Straßen zu bauen, Wohnsiedlungen oder noch einen Discounter auf der ehemals grünen Wiese.
    Bund hinkt weit hinterher
    Eile ist also geboten, doch der Bund hinkt beim selbst gesteckten Ziel weit zurück. Dessen ungeachtet sieht Elsa Nickel, Abteilungsleiterin Naturschutz im Bundesumweltministerium, das Projekt auf einem guten Weg:
    "Wir haben jetzt schon als Wildnisgebiete 0,6 Prozent, ungefähr ein Drittel von den zwei Prozent, gesichert. Diese zwei Prozent entsprechen ungefähr 714.000 Hektar, die wir am Ende des Tages brauchen, schön verteilt über Deutschland als Wildnisflächen, die Einheiten möglichst groß. Und von diesen 714.000 Hektar sind 156.000 Nationales Naturerbe."
    Weiteres Potenzial für Wildnis sieht Nickel vor allen in Wäldern, aber auch in Meeresgebieten, Küstenlandschaften, Flussauen und Mooren. Letztere der Natur zu überlassen, sei auch gut für den Hochwasser- und Klimaschutz.
    "Also das soll eine Kombination von den verschiedenen Lebensraumtypen sein. Wir wollen von allem etwas. Aber, das ist eben der Punkt, unsere Definition ist großflächig."
    Verbundene Flächen für die Wildnis
    Mindestens 1000 Hektar groß soll solch eine Wildnis sein und die Flächen müssten miteinander verbunden werden, mahnt Hans Joachim Mader von der Stiftung Brandenburger Naturlandschaften.
    "Man wäre töricht, wenn man isolierte, inselartige Lebensräume schaffen würde, die ökologisch nicht vernetzt werden. Die haben einen viel zu geringen Wert, deshalb müssen wir natürlich diese ökologische Vernetzung durchführen."
    So will die Stiftung ihre Naturgebiete in Brandenburg mit einem Korridor von der Oder bis zur Elbe verbinden, Autobahnen mit Überführungen für wandernde Wölfe, Elche, Luchse und Wildkatzen besser passierbar machen. Denn diese Gebiete seien nicht nur Rückzugsräume für seltene Tier- und Pflanzenarten, sondern auch wichtig für die Forschung und für die Erholung der menschlichen Psyche.
    "Wie sich diese geschundene Erde, dieses geschundene Land, wo die Panzer über viele Jahre drübergerollt sind, wie vielfältig und harmonisch sich das entwickelt! Da kommen ein Flechtenteppich, ein Moosteppich, dann kommt Silbergras, dann kommen die ersten Bäumchen. Und jedes Jahr ist es ein bisschen anders und das ist eine unglaubliche Ruhe, eine unglaubliche natürliche Selbstverständlichkeit, die in diesen Flächen ist und ein Leben, das ist berührend. Und das merken Sie. Das merkt auch einer, der nicht Biologe ist. Und da hat man was von."