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Bionik für Schiffe

Technik. - Sie sind ein Ärgernis für die Schifffahrt: Kleine Meerestiere, die sich unter der Wasseroberfläche an Schiffsrümpfen ansiedeln. Um sie davon abzuhalten, benützt die Schifffahrt sogenannte Antifoulingfarben. Aber: Sie können andere Meerestiere schädigen. Kieler Biologen haben jetzt unschädliche Wege entdeckt, Schiffe vor lästigem Bewuchs zu schützen.

Von Jens Wellhöner | 11.05.2006
    Ein Container-Frachter fährt auf der Unterelbe, Kurs Nordsee. So gewaltig die Riesen der Meere auch von außen wirken: Unter der Wasseroberfläche ist selbst die dickste Schiffshaut empfindlich: Denn einige Meerestiere setzen sich nach kurzer Zeit an den Schiffsrümpfen fest. Zum Beispiel die Seepocken. Sie bilden feste, halbrunde Kalkpanzer auf der Schiffshaut. Und bedecken sie wie ein Teppich. Das erhöht den Strömungswiderstand. Meeresbiologe Martin Wahl vom Kieler IFM-Geomar-Institut:

    "Erhöhter Strömungswiderstand verlangsamt entweder das Schiff. Oder erhöht den Treibstoffverbrauch. Andererseits kann der Aufwuchs die chemischen Verhältnisse an der Oberfläche so verändern, dass Korrosionsprozesse schneller ablaufen. Oder dass Sensoren, die an den Schiffsrümpfen angebracht sind, nicht mehr funktionieren. Wie Thermometer oder visuelle Sensoren."

    Um das zu verhindern, gibt es sogenannte Antifouling-Farben. Sie halten lästige Meeresorganismen von Schiffsrümpfen fern. Die heute verwendeten Antifoulingfarben aus Silikon sind wasserlöslich. Das heißt durch die Strömung lösen sich die Farbschichten. Und mit ihnen werden auch die Tiere, die auf der Schiffswand siedeln, weggeschwemmt. Aber, so Wahl:

    "Eine Konsequenz, die wir fürchten ist, dass Silikone, die von diesen Farben abgegeben werden, von filtrierenden Organismen, wie Plankton oder Muscheln im Meeresboden, aufgenommen werden, Filtrationsapparate verstopfen und Sättigungsgefühle hervorrufen, die aber nicht zu einer echten Befriedigung des Energiebedarfes führen. All das sind Gefahren, die doch bedrohlich sind."

    Die Kieler Forscher suchen jetzt nach unschädlichen Alternativen zu den bisher üblichen Antifoulingfarben. Meeresbiologin Valeria Bers ist dabei fündig geworden: Sie hat Miesmuscheln beobachtet. Auf deren Schalen können sich keine größeren Organismen ansiedeln. Der Trick der Muschel: Ihre Oberfläche hat winzig kleine Rillen. Bers:

    "Es handelt sich um eine wellblechartige Struktur. Allerdings sehr klein, die Wellen haben einen Abstand von zwei Mikrometern. Und diese Wellblechstruktur auf der Schale verhindert, dass sich zum Beispiel Seepockenlarven ansiedeln können. Weil sie nicht genügend Anheftungspunkte haben, um wirklich stabil da drauf zu sitzen."

    In Zukunft könnte man auch Schiffsrümpfe mit diesen mikroskopisch feinen Rillen überziehen. Allerdings: Sie wirken nicht immer. Bakterien sind so klein, dass sie sich trotz Rillen auf den Miesmuscheln ansiedeln können. Und damit auch auf Schiffsrümpfen. Aber die Kieler Forscher haben noch einen weiteren Weg entdeckt, mit dem sich Meeresbewohner gegen lästigen Bewuchs schützen: Großalgen, zum Beispiel Seetang, suchen sich die Arten, die auf ihrer Haut siedeln, selber aus. Durch einen Chemie-Cocktail. Martin Wahl:

    "Die chemische Verteidigung besteht im Einlagern oder Absondern von solchen Stoffen, die die Besiedlung steuern. Entweder aktiv, dadurch, dass sie erwünschte Besiedler anlocken. Oder ebenso aktiv unerwünschte abschrecken oder sogar abtöten."

    Wahrscheinlich locken die Algen zu ihnen passende Bakterien mit Chemikalien an. Und diese Bakterien wiederum halten dann andere Lebewesen, wie zum Beispiel Seepocken, von der Großalge fern. Wahl:

    "Die Larven von Seepocken haben ein raffiniertes System von Chemorezeptoren. Das heißt sie riechen, was sich an der Oberfläche befindet. Sie haben zusätzlich Tastorgane, mit denen sie die Oberfläche zusätzlich erforschen können. Und sie siedeln sehr selektiv. Das heißt, sie erforschen eine Oberfläche, bevor sie sich entscheiden, ob sie sich festsetzen oder woanders siedeln wollen."

    Die Seepocken können also die Bakterien auf dem Seetang im wahrsten Sinne nicht riechen. Mit welchen chemischen Stoffen die Seetang-Algen die erwünschten Bakterien anlocken, wissen die Kieler Forscher noch nicht genau. Martin Wahl:

    "Ich schätze, dass wir noch zwei bis vier Jahre dafür brauchen. Aber wir arbeiten mit der Industrie zusammen."

    Wenn alle Probleme gelöst sind, könnte es also in Zukunft völlig unschädliche und wirksame Antifouling-Farben geben: Produziert von Mutter Natur.