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Biophonie
Klänge als Überlebensstrategie

Der 1938 in Detroit geborene Bernie Krause hat Zehntausende Stunden mit Klängen gesammelt: aus urwüchsigen, oft entlegenen Landschaften sowie in der vom Menschen veränderten Natur. Dafür prägte er den Begriff der Biophonie. Auf einem Vortrag im Museum König in Bonn forderte Krause: "Biophonien enthalten eine Botschaft, die wir entziffern müssen."

Von Peter Backof | 15.07.2014
    Ein Schwarm Vögel sitzt auf einem Baum am Ufer des Mindelsees bei Radolfzell (Baden-Württemberg).
    Ein Schwarm Vögel sitzt auf einem Baum. (dpa / picture alliance / Felix Kästle)
    Es dürften Tausende Kröten sein, die hier ihr Konzert geben. Und es ist eines von Zehntausenden von Klang-Environments, die Bernie Krause in 46 Jahren aufgezeichnet hat. Biodiversität, Vielfalt der Arten: Bernie Krause ist begeistert. Das Bonner Museum König befasst sich derzeit in einer Ausstellung mit seinem Thema Nummer eins: Auch Klänge spielen in der Evolution eine Rolle!
    "Ja, es ist wirklich wahr. Wir haben eine Spottdrossel, die nicht nur Klingeltöne, sondern auch Autohupen nachmacht. Oder wie es klingt, wenn ein LKW-Fahrer die Gänge wechselt."
    Die Natur findet immer einen Weg zu überleben. Normalerweise nehmen wir Variablen des Körperbaus für evolutionäre Prozesse her, also eine visuelle Codierung. Krause konzentriert sich lieber auf die Akustik.
    Kröten können ihr Quaken synchronisieren und bilden so einen Schwarm: So kann ein herabstürzender Vogel die Individuen kaum noch unterscheiden und hat Probleme, Beute zu machen. Auch eine Überlebensstrategie.
    Und so klingt das Szenario, wenn ein Jet über den Tümpel fliegt. Die Kröten haben minutenlang Probleme, sich zu synchronisieren. Das konnte Bernie Krause nachweisen. Wie interagiert die Biophonie, also der Sound von allem, das lebt, mit der Anthropophonie, dem menschgemachten Geräusch? Man hört das.
    "In Kalifornien gibt es kaum noch urwüchsige Natur. Vor 46 Jahren, als ich anfing, Aufnahmen zu machen, standen noch 45 Prozent aller Urwälder. Jetzt sind es zwei Prozent."
    Bernie Krause erklärt, zeigt beim Vortrag Fotos und Klangspektrogramme, die wie Aufnahmen einer Wärmebildkamera aussehen. Ich frage mich, was ihn antreibt: Ist er auf der Suche nach der verlorenen Wildnis, wie wir damals in den 80ern? Man hörte Walgesänge auf Schallplatten, Waldsterben war das große Thema. Bernie Krause erzählt weiter.
    Eingriffe des Menschen verändern den Klang der Natur
    "Das hier ist Lincoln Meadow, eine dreieinhalb Stunden Fahrt von San Francisco entfernt, in der Sierra Nevada. Hier mache ich seit vielen Jahren Aufnahmen. 1988 rückten die Holzfäller an, mit einer neuen Strategie: Ausdünnung. Selektives Fällen. Im gesamten Wald wurde jeder dritte, vierte Baum abgeholzt. Das Abholzungsunternehmen sagte, so würde die Natur nicht beeinträchtigt. Vorher klang Lincoln Meadow so:
    Zwei Fotos, eins vorher, eins nachher, die gleich aussehen. Und das kann man ja nicht verurteilen: Ein Waldwirtschaftsunternehmen hatte versucht, möglichst nachhaltig in der Wildnis zu arbeiten. Das Resultat klingt dann aber doch ernüchternd.
    "Und nachher so: Ein Specht ist da noch, aber ansonsten ist die ursprüngliche Biophonie so gut wie verschwunden."
    Und das hier sei das Traurigste, was er je gehört habe. Der Ruf eines Bibers, der gerade sein Frauchen verloren hat. Ich muss zurückdenken an Tierberichterstattung vor Jahrzehnten, Bernhard Grzimek und Heinz Sielmann etwa, diese oft vermenschlichten Darstellungen der Fauna mit klarem moralischem Anstrich: "Serengeti darf nicht sterben."
    "Biophonien enthalten eine Botschaft, die wir entziffern müssen, um zu verstehen, was uns die natürliche Welt sagt. Was sind das für Erzählungen? Was wollen uns die Tiere genau sagen? - Ich habe keine Ahnung!"
    Naturmystiker oder Wissenschaftler? Man braucht beides: Emotionale, vielleicht auch vermenschlichte Bilder, und Argumente, wenn man etwas bewirken will, meint Bernie Krause, dessen Vortrag munter diskutiert wird. "Könnte man nicht diese Holzfällerfirma mit Ihren Argumenten regresspflichtig machen?" fragt ein Mann. "Natürlich nicht!" sagt Krause und fügt augenzwinkernd hinzu: "Noch nicht". Mir fällt auf, wie Zeitgeist und Weltbild sich parallel zu Krauses 46-jähriger Recherche auch verändert haben. Im Vergleich zu den Nachrichtenbildern der 1980er mit sauer verregneten Baumleichen als unmittelbare Zukunftsaussicht, wirken seine Biophonien in Wärmebildoptik geradezu positiv.
    Es dürften rund 300 Besucher sein, die sich diesen Vortrag im Ehrensaal des Bonner Museums König anhören wollen. Auch ein Klangbiotop, ein anthropophones. In den USA bekomme ich ein solches Publikum bis heute nicht zusammen, sagt der Biophoniker. Stoff zum Nachdenken: Dürfen Deutsche sich als Vorreiter des Umweltbewusstseins fühlen? Und wäre der Natur damit geholfen?