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Biophysik
Längere Wimpern haben Nachteile

Lange Wimpern gelten als attraktiv, doch ihre Aerodynamik lässt zu wünschen über. Sie ragen zu weit in den Wind und lassen so die Augen schneller austrocknen, das zeigen Windkanal-Untersuchungen aus den USA.

Von Veronika Köberlein | 04.02.2015
    Das Auge eines Fotomodels mit überlangen künstlichen Wimpern
    Man kann alles übertreiben: ein Fotomodell mit überlangen künstlichen Wimpern (picture alliance / dpa / Jens Kalaene)
    Glaubt man der Kosmetikindustrie gilt für den schönsten Augenaufschlag: je länger die Wimpern, desto besser. Die Wissenschaft teilt diese Meinung nicht. Guillermo Amador vom Georgia Institute of Technology in Atlanta hat sich die Wimpern von 22 Säugetieren genauer angesehen. Er und sein Team untersuchten hierfür Tierpräparate im Natural History Museum in New York, angefangen vom Igel bis hin zur Giraffe:
    "Wir haben festgestellt, dass die Wimpern der kleinsten bis hin zu denen der größten Säugetiere eine sehr ähnliche geometrische Form haben. Und die ist abhängig von der Größe des Auges. Es stellt sich heraus, dass es einen sehr starken Zusammenhang zwischen der Länge der Wimpern und der Breite der Augen gibt."
    Die Wimpern der meisten Tiere waren ein Drittel so lang, wie ihr Auge breit ist. Die Forscher vermuteten, dieses Verhältnis könnte in der Aerodynamik des Wimpernschlages begründet sein. In einem Windkanal sorgen sie für Strömungsbedingungen, ähnlich denen, die Säugetiere während der Fortbewegung erfahren. Darunter platzierten sie ein Modellauge, das aus einer mit Wasser gefüllten Schale bestand. An dieser Schale brachten die Wissenschaftler nach und nach falsche Wimpern unterschiedlicher Länge an. So wollten sie testen, welchen Einfluss die Wimpernlänge auf das Verdunsten der Tränenflüssigkeit hat.
    Je länger die Wimpern werden, desto weiter ragen sie in den Luftstrom, wodurch die Strömung auf das Auge gelenkt wird. Das liegt daran, dass die Wimpern einen Widerstand für die Strömung darstellen. Bei kürzeren Wimpern sorgt dieser Widerstand nur dafür, dass die Luftströmung nicht in den Bereich gelangt, den die Wimpern umschließen. Wenn die Wimpern aber länger sind, ragen sie weiter in die Luft hinaus und die Strömungsgeschwindigkeit nimmt zu, je weiter man von der Augenoberfläche entfernt ist. So entsteht eine schnellere Strömung, die auf das Auge gelenkt wird.
    Zu lange Wimpern lassen das Auge austrocknen
    In den Versuchen zeigte sich, dass diese schnellere Luftströmung dafür sorgt, dass mehr Tränenflüssigkeit verdunstet und das Auge schneller austrocknet. Einen Zusammenhang konnten die Forscher außerdem zwischen der Länge der Wimpern und dem Schutz vor Dreckpartikeln feststellen. Sie ersetzten die Wasserschüssel mit einer Papierscheibe, die Feuchtigkeit absorbiert. In den Windkanal bauten sie einen Luftbefeuchter ein, in den sie wasserlöslicher Farbe tropften. Das Resultat des Wind-und-Wasser-Versuchs: je länger die Wimper, desto mehr Farbtupfer auf der Papieroberflache. Auch hier sorgt die größere Strömungsgeschwindigkeit also ab einer gewissen Wimpernlänge dafür, dass die Härchen den Schmutz nicht mehr optimal vom Auge abschirmen, sondern dem Auge Luft und damit Dreck zufächeln.
    "Wir haben festgestellt, dass es nur darauf ankommt, wie weit die Wimpern in die Luft ragen. Wenn die Wimpern lang sind, aber sehr gebogen, beeinflusst das die Aerodynamik nicht in dem Maße, wie wenn sie lang sind und aus der Oberfläche des Auges hervorragen. Alles worauf es ankommt, ist der senkrechte Abstand zur Augenoberfläche."
    Duchlässigkeit der Wimpern ist entscheidend
    Guillermo Amador will mit seinen Experimenten aber nicht nur ein Verständnis für die Funktion von Wimpern gewinnen. Für ihn ist die Anatomie des Auges auch ein Vorbild dafür, wie sich in anderen Bereichen, Durchlässigkeit und Schutzfunktion bei synthetischen Materialien optimal kombinieren lassen. Dafür ersetzte er die falschen Wimpern in seinem Versuch mit einem Drahtnetz.
    "Der entscheidende Punkt ist nur die Durchlässigkeit. Wir haben ein Drahtnetz gefunden, das dieselbe Durchlässigkeit hat, und an dem Modellauge befestigt. Es zeigte sich, dass diese Netzstruktur, die wir um die Wasserschüssel gespannt haben, denselben Zweck wie die Wimpern erfüllt. Man kann also ganz grundsätzlich empfindliche Oberflächen vor Dreckpartikeln in der Luft schützen, indem man sie mit Material versieht, das die richtige Durchlässigkeit hat."
    Welchen aerodynamischen Bedingungen die Wimpern beim Rennen ausgesetzt sind, lässt die Studie, die vom "Journal of the Royal Society Interface" akzeptiert wurde, leider offen. Auch die Frage, ob Frauen durchschnittlich längere Wimpern als Männer und deswegen öfter trockene Augen haben, bleibt eine unbeantwortete Frage der Wimpernforschung.