Dienstag, 16. April 2024

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Bioprobenlager in München
21 Millionen Röhrchen für die Medizinforschung

Bioproben setzen sich aus Blut, Urin, Stuhl, Nasenabstrich oder Speichel zusammen und verraten viel über Gesundheitszustand und Lebensstil. In München entsteht zurzeit ein riesiges Lager, in dem Bioproben von einem Querschnitt der Bevölkerung für mehrere Jahrzehnte konserviert werden.

Von Hellmuth Nordwig | 18.12.2018
    Bioproben-Röhrchen mit aufgedrucktem 2D-Barcode zur lückenlosen Dokumentation in der Interdisziplinären Biomaterial- und Datenbank des Uniklinikum Würzburg (IBDW). | Foto: David Ebener/dpa | Verwendung weltweit
    Konserviert bei minus 180 Grad: Bioproben-Röhrchen mit aufgedrucktem Barcode (dpa)
    Ein abweisender Betonklotz, drei Stockwerke hoch, auf dem Gelände des Helmholtz-Zentrums München. Ein massiver Zaun und Videokameras machen klar: Einfach reinspazieren geht hier nicht. Der Informatiker Guido Fischer braucht eine spezielle Chipkarte.
    "Die Türen sind elektronisch gesichert. ... Aber ein einstürzendes Flugzeug würde es, glaube ich, nicht überstehen. Es ist kein Atomkraftwerk."
    Aber ein Tresor mit Schätzen für die Forschung der Zukunft. Hier, am Stadtrand von München, entsteht das größte Lager für Bioproben in Deutschland. Gemeint sind Blut, Urin, Stuhl, Nasenabstrich und Speichel von 200.000 Freiwilligen. Sie sollen repräsentativ sein für die Altersgruppe von 20 bis 69 Jahren. Die Versuchspersonen geben die Bioproben in regelmäßigen Abständen in einem Studienzentrum ab. Zusätzlich erteilen sie Auskunft über Krankheiten und ihren Lebensstil. Die Forschenden bleiben mit ihnen in Kontakt, denn sie wollen erfahren: Warum wird die eine Versuchsperson später krank, die andere aber nicht? Und kann man das irgendwie beeinflussen?
    Bioproben konserviert für 30 Jahre
    Die Proben werden in kleine Plastikgefäße abgefüllt, in denen nur ein paar Tropfen Platz haben. Und dann durch Roboter eingefroren - der kleinere Teil bei minus 80 und die meisten Röhrchen in flüssigem Stickstoff bei minus 180 Grad. Da gibt es keinen Stoffwechsel mehr und nichts zersetzt sich. 30 Jahre lang können die Proben so in genau dem Zustand bleiben, in dem sie heute sind. Dieses voll automatisierte Bioproben-Lager gehört zur Nationalen Kohortenstudie, die Helmholtz-Forscherin Annette Peters leitet.
    "Wir haben 21 Millionen Einzelröhrchen, die wir hier einlagern. Da wissen wir, wenn wir das von Menschenhand machen, dass es immer wieder zu Verwechslungen kommt. Und deswegen ist diese Vollautomatisierung ein wichtiger Bestandteil, der diese einmalige Sammlung von Biomaterialien dann auch für die Wissenschaften über die nächsten Jahrzehnte zur Verfügung stellen kann."
    Wir haben uns dicke Daunenjacken angezogen und stehen jetzt in einem kleinen Raum mit einem Computerarbeitsplatz. Hier übergeben die Wissenschaftler die Proben auf Metallträgern an einen Roboter.
    Der setzt sie in einem mannshohen Turm ab. Dutzende dieser Lagertürme sind hier nebeneinander im Boden versenkt. Unten beträgt die Temperatur minus 80 Grad. Hier, im Schleusenraum, nur minus 15. Aber trotzdem sollte man nicht allzu lang hier drin bleiben. Nicht nur, weil die Kälte sehr müde macht, wie Guido Fischer berichtet.
    "Was am Auffälligsten ist, dass man auch als Mann relativ regelmäßig auf die Toilette rennen muss. Weil durch Erhöhung des Blutdrucks wegen der Temperatursenkung die Nierenfunktion verbessert ist. Und auch ich dann am Tag häufiger gehe."
    Alle Probenröhrchen tragen Barcodes. Aber die Forschenden hier wissen nicht, welche Personen sich hinter den Nummern verbergen. Diese Information ist bei einer Treuhandstelle hinterlegt.
    Big-Data-Medizinforschung
    Mit der Epidemiologin Susanne Vogt geht es jetzt in den zentralen Bereich des Lagers: in eine hohe Halle, halb so groß wie ein Fußballfeld und mit minus drei Grad geradezu gemütlich warm. Auch hier ein Robotersystem, das gerade computergesteuert eine Probe in einen Tank mit flüssigem Stickstoff eintaucht. Riesige Gefäße sind das, für den Notfall stehen Leitern bereit, um hinaufzuklettern.
    "In der Halle ist Platz für 23 Tanks. Im Moment haben wir noch nicht alle Tanks drin, weil noch nicht alle Proben der Studie hier angekommen sind. Aber wir haben für die Zukunft die Möglichkeit, weitere Proben hier einzulagern."
    Das Lager soll die Big Data-Medizinforschung der Zukunft unterstützen. Viele Fragestellungen sind denkbar. Erkrankt zum Beispiel irgendwann einer der 200.000 Probanden an Diabetes, können die Forschenden nachsehen, ob es schon Jahre zuvor in seinem Blut oder Erbgut Hinweise darauf gab. Auch solche, an die heute noch niemand denkt. Das lässt sich dann verknüpfen mit Daten zum Lebensstil des Betreffenden. Daraus sollen neue diagnostische Möglichkeiten erwachsen und ebenso bisher unbekannte Ansätze zur Prävention von Krankheiten, erwartet Annette Peters.
    "Wir haben auch die Vision, dass wir die Proben charakterisieren können für viele Krankheiten. Und möglicherweise auch für Dinge, die wir heute noch gar nicht so als bedeutsam erachten. Deswegen ist es wichtig, die Proben sicher zu lagern und eben auch für eine lange Zeit zur Verfügung zu stellen."