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Biotechnologie
Forscher bauen Hefe-Chromosomen nach

Biotechnologen versuchen bereits seit Jahren, das Erbgut der Bäckerhefe im Labor synthetisch zu konstruieren. Insgesamt brauchen sie 16 Chromosomen, um eine hundertprozentig künstliche Hefe zu erhalten - sechs haben sie bisher nachbauen können. Die künstliche Hefe soll unter anderem zur Herstellung von Antibiotika verwendet werden.

Von Michael Lange | 10.03.2017
    Frisch gepresste Hefe
    Frisch gepresste Hefe (imago stock&people/McPHOTO)
    Brot, Bier und Wein sind ihre bekanntesten Produkte, aber die Bier- oder Bäckerhefe kann noch viel mehr. Jede Hefezelle ist eine kleine Biofabrik. Ihre Steuerungszentrale sitzt im Zellkern auf 16 Chromosomen mit etwa 12 Millionen Erbgut-Bausteinen.
    Diese Erbmoleküle im Labor nachzubauen, ist für Wissenschaftler heute vor allem Fleißarbeit, erläutert Joel Bader von Johns Hopkins Universität in Baltimore.
    "Wir haben einen Meilenstein erreicht und beschreiben den Zusammenbau von fünf vollständigen Hefe-Chromosomen. Sie funktionieren in Hefezellen und ersetzen dort die natürlichen Chromosomen. Wir besitzen jetzt fünf Hefe-Stämme, jeder mit einem anderen synthetischen Chromosom."
    Um die Hefen nicht zu überfordern, hat jeder Hefestamm nur ein künstliches Chromosom. Es arbeitet im Zellkern mit 15 natürlichen Chromosomen zusammen. Bis zum Ende Jahres – so hoffen die Forscher – werden sie alle 16 Hefe-Chromosomen auf diese Weise im Labor nachgebaut haben. Jedes davon wird in einen anderen Hefe-Stamm verpflanzt.
    Künstliche Hefe erhält ein 17. Chromosom
    Um eine zu 100 Prozent künstliche Hefe zu erhalten, werden die 16 Hefe-Stämme dann untereinander gekreuzt. Nach dem Zufallsprinzip soll so eine Hefe mit 16 künstlichen Chromosomen entstehen. Das wäre dann eine synthetische Hefe – vergleichbar mit dem synthetischen Bakterium, das Craig Venter 2010 der Welt präsentierte. 2018 soll es soweit sein.
    Aber die Hefeforscher wollen noch mehr. Es soll nicht bei einem einfachen Nachbau der Natur bleiben. Gewissermaßen als Zugabe erhält die künstliche Hefe ein 17. Chromosom.
    "Gene auf den Chromosomen sind nicht wirklich gut geordnet. Obwohl manche Gene eng zusammenarbeiten, sind sie über das gesamte Erbgut verstreut. Das künstliche 17. Chromosom ist stattdessen geordnet. Wir nennen es 'Neochromosom'."
    Andererseits haben sich die Forscher entschieden, etwa acht Prozent der natürlichen Erbinformation wegzulassen. Es sind Überbleibsel aus der langen Evolutions-Geschichte der Hefe, die sich verstreut überall im Erbgut befinden. Angeblich brauchen die Hefezellen diese Erbinformation heute nicht mehr. Man kann sie also weglassen, glauben die Forscher.
    Hefezellen sollen neuartige Antibiotika herstellen
    Und auch die Bedeutung der Erbinformation in der Hefe – gewissermaßen der Übersetzungsschlüssel – soll geändert werden. Das heißt, die Chromosomen in der Hefe können Informationen speichern, die in der Natur nicht vorkommen.
    Der Initiator und Leiter des Projektes Jef Boeke vom Langone Medical Center in New York erwartet viele neue Möglichkeiten.
    "Wir wollen im nächsten Schritt noch dramatischere Änderungen am Hefe-Erbgut vornehmen und sehen, was uns die Hefe anbieten kann. Vielleicht weitere nützliche Produkte für die Biotechnologie."
    Was weder Chemie noch Natur bisher zustande bringen, könnten in Zukunft künstliche Hefezellen leisten. Als kleine Biofabriken sollen sie in Bioreaktoren neuartige Antibiotika herstellen. Wenn diese Wirkstoffe Komponenten besitzen, wie sie die Natur nicht kennt, werden Krankheitserreger in Zukunft nicht so ohne Weiteres Resistenzen entwickeln, so die Hoffnung der Forscher.