Archiv


Biotop auf der Düne

Ökologie. – Bakterien erschließen sich selbst die lebensfeindlichsten Umgebungen. Sogar auf den Dünen der Negev-Wüste zwischen Israel und Ägypten bilden sie Biofilme, die Ansatzpunkte für weitere Organismen bieten.

Von Joachim Budde |
    Man muss sich biologische Krusten auf einer Sanddüne wie die Kruste eines überdimensionalen Brotlaibes vorstellen: Der weiche Sand im Innern einer Düne ist von einer wenige Millimeter dicken Schicht bedeckt. Wie die aufgebaut ist, erklärt Maik Veste von der Universität Hohenheim:

    "Biologische Krusten kann man auch als kleinen Mikrokosmos bezeichnen, der aus einer Vielzahl von Organismen aufgebaut ist. Wesentlich dabei sind Bakterien, Cyanobakterien und Grünalgen, die die Grundorganismen dieser biologischen Krusten bilden, und die auch diese Krusten zusammenhalten."

    Denn die Cyanobakterien scheiden einen Schleim aus Zuckerverbindungen aus, der die Sandkörner regelrecht miteinander verklebt. Veste und seine Kollegen haben in der Wüste Negev an der Grenze zwischen Israel und Ägypten herausgefunden, dass die Krusten den Boden schützen. Veste:

    "Der Boden kann nicht abgetragen werden durch den Wind oder auch durch Wassererosion, und dann können dort auch weitere Organismen oder Pflanzen drauf siedeln."

    Die Cyanobakterien sind also die ersten, die sich auf Sanddünen niederlassen, und sie bieten anderen Lebewesen Halt – zuerst Moosen und Flechten. Für die Pflanzenwelt haben sie aber eine weitere wichtige Funktion: Denn die Bakterien versorgen andere Pflanzen mit Nährstoffen, weil sie in der Lage sind, Stickstoff aus der Luft zu binden und im Boden zu fixieren. Veste:

    "In dem Sanddünengebiet in Israel, wo wir gearbeitet haben, beträgt etwa der Anteil der biologischen Stickstofffixierung knapp 70 Prozent des gesamten Stickstoffeintrages."

    Die Organismen in der Kruste selbst sind ausgesprochen genügsam: Ihnen reicht im Sommer der nächtliche Taufall, um morgens ein paar Stunden aktiv zu sein, ehe die Sonne den Boden wieder austrocknet. Am stärksten wachsen die Krusten im feuchteren Winter, und wenn sie sich ungestört entwickeln können, entsteht über Jahre langsam eine relativ stabile Schicht. Indem sie die Bodenoberfläche versiegeln, erfüllen die biologischen Krusten noch einen weiteren Zweck, sagt Professor Siegmar Breckle.

    "Wenn sich eine solche biologischen Kruste gebildet hat, und es ist mal einer der spärlichen Regen in der Wüste heruntergekommen, dann führt das dazu, dass diese biologische Kruste aufquillt, und das Wasser nicht mehr in die Sanddüne einsickert, sondern oberflächlich ablaufen kann. Das heißt also eine Sanddüne, die mit einer Kruste überzogen wird, hat einen oberflächlichen Wasserabfluss, das ist etwas ganz neues für eine Sanddüne. Und in der Negev lässt sich das sehr gut daran erkennen, dass am Fuß jeder Sanddüne die Vegetation ganz dicht ist. Da ist die Wasserversorgung dieser Pflanzen am besten. Das Wasser wird umverteilt durch die Kruste."

    Der frühere Leiter der Abteilung Ökologie an der Universität Bielefeld hat gemeinsam mit den Kollegen aus Hohenheim festgestellt, dass die größte Gefahr für diese Lebensgemeinschaft der Mensch ist. Breckle:

    "Das lässt sich übrigens in der Negevwüste sehr gut sehen, weil nämlich die gleichen Sanddünen auf der ägyptischen Seite vorkommen: auf der israelischen Seite ungestört eine Kruste, viel dunkler der Sand, auf der ägyptischen Seite ist der Sand noch völlig beweglich, weil immer wieder Beduinen mit ihren Ziegen und Schafen drübergehen."

    Weil sie den Boden und Nährstoffe festhalten, spielen die Krusten auch im Kampf gegen Sand- und Staubstürme eine Rolle. Wenn aber der Wind den Sand zu häufig aufwirbelt, haben die Cyanobakterien keine Zeit, eine Kruste zu bilden. In einem Projekt in der Tengger-Wüste in der Inneren Mongolei versuchen chinesische Wissenschaftler mit immensem Aufwand, den Sand mit schachbrettartig angelegten Streifen aus Reisstroh lange genug am Boden zu halten. Ideal im Kampf gegen Erosion und Sandstürme in Wüsten und Trockengebieten wäre es, wenn man die Organismen in der biologischen Kruste dazu bringen könnte, sich schneller zu entwickeln. Noch einmal Siegmar Breckle:

    "Eine künstliche Beschleunigung oder Schaffung der Kruste, das ist bislang praktisch nicht gelungen. Da gibt es erst erste Ansätze dazu, da steckt – man muss es eigentlich sagen – die Forschung erst in den Anfängen."