Als der Bundestag im April entschied, die Stammzellenforschung in Deutschland zu erleichtern, entschied er zugleich über ethische Fragen: Ist das Lebensrecht des Embryos höher zu bewerten als hochrangige Forschungsinteressen oder die Gesundheit künftiger Generationen? Wann beginnt überhaupt Leben? Prof. Dieter Sturma, Direktor des Instituts für Wissenschaft und Ethik der Universität Bonn:
"Es ist ja keineswegs so, dass Befürworter der Stammzellenforschung sagen würden, für sie wäre Lebensschutz kein Wert. Sie würden bloß eine Abwägung vornehmen. Der Lebensschutz ist ein Wert, aber Forschungsfreiheit oder künftige Therapie sind auch ein Wert. Und ich treffe jetzt eine Rangordnung für mich."
Je mehr der Mensch kann, desto mehr muss er über das nachdenken, was er tut. Die rasante Entwicklung der Biotechnologie nötigt zu einer Auseinandersetzung mit den Chancen, den Risiken und vor allem der moralischen Bewertung der neuen Möglichkeiten. Die Wissenschaften, die Politik, doch auch eine beunruhigte Öffentlichkeit suchen den Beistand der Philosophen.
"Die Zunahme des Interesses an bioethischen Fragen ist dramatisch. Das sehen wir auch an unseren Internetanfragen. In der Hinsicht spüren wir eine ganz starke Nachfrage an den Universitäten, besonders auch an den Schulen, und die breite Bevölkerung ist natürlich stark interessiert an den Themen. Das dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass die Öffentlichkeit in Deutschland wesentlich stärker durchdrungen ist von ethischen Diskursen als in anderen Ländern."
Die Philosophen müssen Stellung beziehen zu aktuellen Fragen - aber welche ethischen Begriffe liegen ihren Einlassungen zu Grunde? Das "Ethik Forum", das diese Woche erstmals in Bonn tagte, will in Zukunft einmal im Jahr über Grundpositionen der angewandeten Ethik diskutieren. Dr. Michael Fuchs, Geschäftsführer des Instituts für Wissenschaft und Ethik:
"Es gibt viele Foren, die sich mit Philosophen und Fachleuten über bioethische Fragen austauschen. Aber meistens gibt es dort keine Zeit, sich über unterschiedliche philosophische Herkunftsweisen zu verständigen, die eine Rolle spielen. Und genau dieses sollte in dem Ethik Forum der Fall sein: dass wir nach den Grundlagen der bioethischen Diskussion fragen."
"Werte - Güter - Interessen. Zu Grundlagen der Bioethik" hieß die Bonner Tagung. Sie be-schäftigte sich damit, wie normative Urteile zum Thema Abtreibung, Gentechnologie oder Stammzellenforschung gefällt werden können. Lassen sich Fragen nach dem Anfang, dem Ende und den Grenzen des Lebens vernünftig "ausdiskutieren"? Im "demokratisch geregelten Diskurs", wie Jürgen Habermas es nennt? Oder entziehen sich Begriffe wie "Leben" und "Natur" der Diskussion, sind buchstäblich "undiskutierbar", wie es von Seiten der katholischen Kirche zum Beispiel vertreten wird?
Auch die Philosophie versucht, stärker als vor einigen Jahren noch, sich solchen inhaltlichen Fragen zu stellen. Nicht der Mensch und die Gesellschaft, sondern die Natur selbst wird zum Thema. Dr. Dirk Lanzerath, Geschäftsführer des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften:
"Ich glaube, dass man durch die Diskussion in der Bioethik gemerkt hat, dass man mit rein formalen, prozeduralen Vorgehensweisen nicht klarkommt, sondern dass man sich wieder rückbesinnen muss auf Inhalte, Materielles, was in die Ethik hineinkommt."
Die Rückbesinnung auf Inhaltliches geschieht zum Beispiel bei dem Düsseldorfer Philosophen Dieter Birnbacher, der als Vertreter des sogenannten "Utilitarismus" auf der Tagung zugegen war. Er stellt die Frage nach dem Nutzen biowissenschaftlicher Forschung. Welche Handlungen und Entscheidungen berücksichtigen die Interessen aller Betroffenen weitestgehend? Und nicht nur Menschen haben für Birnbacher Interessen. Sondern er bezieht auch Tiere in sein Nachdenken über den ethischen Umgang mit der Natur mit ein. Bioethik kümmert sich damit also nicht mehr nur um die Regeln des menschlichen Zusammenlebens, sondern
"würde von Interessen unterschiedlicher Wesen ausgehen. Und zur Interessenfähigkeit be-darf es eines bestimmten Nervensystems, Gehirnsystems. Die meisten Utilitaristen würden auch höherentwickelte Tiere darunter fassen, die Interessen verfolgen. Es geht nicht nur um den Menschen, sondern auch die Tiere haben Interesse an einer gut konstituierten Umwelt."
Doch ist der Umgang mit Natur und Umwelt allein dadurch zu bestimmen, was im Interesse von Menschen und Tieren liegt? Stellt Natur nicht vielmehr einen "Wert an sich" dar, selbst da, wo sie nicht zum Nutzen andere Lebewesen ist?
"In der neueren Diskussion scheint es so etwas zu geben wie eine philosophische Rückori-entierung auf Werte hin - wie die Auffassung, dass die Biodiversität der Arten etwas ist, was unabhängig vom Menschen einen gewissen Wert haben soll."
Der Münsteraner Philosoph Ludwig Siep misst ethisches Handeln nicht an den Interessen, Rechten oder Pflichten menschlicher - oder zumindest mit Bewusstsein begabter Lebewesen. Er möchte Ethik "zur Welt als ganzer" hin öffnen. Denn, so Siep, im wohl geordneten "Ganzen einer guten Welt” sei kein Teil unabhängig von anderen. Und deshalb sei der oberste Maßstab des menschlichen Handelns die Förderung der "Güte des Ganzen”. Prof. Dieter Sturma, Philosoph an der Universität Bonn:
"Der Begriff des Guten oder des guten Lebens oder Umfelds ist natürlich so angelegt, dass wir Wege finden müssen, von spezifischen Interessen des Menschen abzusehen. Und das Siep'sche Konzept sieht so aus: Er will auf das Gelingen des Ganzen der Natur schauen, das heißt, dass man sich solchen Problemfeldern zuwendet wie Artenvielfalt, Biodiversität,..."
Natürlich scheint hier, wenn auch in philosophischen Begriffen, Religiöses auf. Eine Haltung der Demut gegenüber einer gut geordneten Natur, gegenüber einer Schöpfung, deren Herren wir nicht sind. Einer Natur, die in sich selbst eine Idee des Guten enthält. Dieter Sturma allerdings bezweifelt, ob eine solche Haltung philosophisch begründbar ist.
"Der Grossteil der an Interessen orientierten Ethiker bestreiten das, das würden auch Kantianer bestreiten. Aber es gibt auch in der ökologischen Ethik viele, die sagen, das ist gerade der Kardinalfehler, dass wir den Kreis der ethischen Gemeinschaft viel zu eng ziehen und es an Kriterien binden wie Selbstbewusstsein, Sprache. Und wenn man davon abrücken würde und auf so etwas Bezug nehmen würde wie 'florishing', Gedeihen, wäre ja die Möglichkeit gegeben, hier den Kreis zu erweitern."
Wie auch immer die Diskussion um die Grundlagen der Bioethik ausgehen mag: Das Bonner Ethik Forum macht deutlich, dass Bioethik mehr ist als tagespolitische Einmischung in Fragen der Lebenswissenschaften. Bioethik ist Philosophie. Und dann betrifft sie die Frage nach dem grundlegenden Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, nach seinem Verständnis von Natur und seinem Umgang mit dem Leben. Dr. Michael Fuchs:
"Ich glaube, dass es eine Vielfalt der Themen gibt: Handlungsfelder der Medizin, Hand-lungsfelder der Biotechnologie, vor allem aber auch die Frage, inwiefern wir das Wissen über unser Genom oder unsere körperliche Ausstattung nützen sollen, die Menschen zu verbessern. Das sind Fragen, die philosophisch relevant sind und keineswegs mit der Stammzellendebatte abgedeckt sind. Oder das Thema der Biodiversität, Tierschutzfrage, das Verhältnis von Mensch und Tier, das sind Fragen, die grundlegende Reflexionen verlangen. Und die Philo-sophie ist aufgefordert, sich diesen zu stellen."
"Es ist ja keineswegs so, dass Befürworter der Stammzellenforschung sagen würden, für sie wäre Lebensschutz kein Wert. Sie würden bloß eine Abwägung vornehmen. Der Lebensschutz ist ein Wert, aber Forschungsfreiheit oder künftige Therapie sind auch ein Wert. Und ich treffe jetzt eine Rangordnung für mich."
Je mehr der Mensch kann, desto mehr muss er über das nachdenken, was er tut. Die rasante Entwicklung der Biotechnologie nötigt zu einer Auseinandersetzung mit den Chancen, den Risiken und vor allem der moralischen Bewertung der neuen Möglichkeiten. Die Wissenschaften, die Politik, doch auch eine beunruhigte Öffentlichkeit suchen den Beistand der Philosophen.
"Die Zunahme des Interesses an bioethischen Fragen ist dramatisch. Das sehen wir auch an unseren Internetanfragen. In der Hinsicht spüren wir eine ganz starke Nachfrage an den Universitäten, besonders auch an den Schulen, und die breite Bevölkerung ist natürlich stark interessiert an den Themen. Das dürfte aber auch damit zusammenhängen, dass die Öffentlichkeit in Deutschland wesentlich stärker durchdrungen ist von ethischen Diskursen als in anderen Ländern."
Die Philosophen müssen Stellung beziehen zu aktuellen Fragen - aber welche ethischen Begriffe liegen ihren Einlassungen zu Grunde? Das "Ethik Forum", das diese Woche erstmals in Bonn tagte, will in Zukunft einmal im Jahr über Grundpositionen der angewandeten Ethik diskutieren. Dr. Michael Fuchs, Geschäftsführer des Instituts für Wissenschaft und Ethik:
"Es gibt viele Foren, die sich mit Philosophen und Fachleuten über bioethische Fragen austauschen. Aber meistens gibt es dort keine Zeit, sich über unterschiedliche philosophische Herkunftsweisen zu verständigen, die eine Rolle spielen. Und genau dieses sollte in dem Ethik Forum der Fall sein: dass wir nach den Grundlagen der bioethischen Diskussion fragen."
"Werte - Güter - Interessen. Zu Grundlagen der Bioethik" hieß die Bonner Tagung. Sie be-schäftigte sich damit, wie normative Urteile zum Thema Abtreibung, Gentechnologie oder Stammzellenforschung gefällt werden können. Lassen sich Fragen nach dem Anfang, dem Ende und den Grenzen des Lebens vernünftig "ausdiskutieren"? Im "demokratisch geregelten Diskurs", wie Jürgen Habermas es nennt? Oder entziehen sich Begriffe wie "Leben" und "Natur" der Diskussion, sind buchstäblich "undiskutierbar", wie es von Seiten der katholischen Kirche zum Beispiel vertreten wird?
Auch die Philosophie versucht, stärker als vor einigen Jahren noch, sich solchen inhaltlichen Fragen zu stellen. Nicht der Mensch und die Gesellschaft, sondern die Natur selbst wird zum Thema. Dr. Dirk Lanzerath, Geschäftsführer des Deutschen Referenzzentrums für Ethik in den Biowissenschaften:
"Ich glaube, dass man durch die Diskussion in der Bioethik gemerkt hat, dass man mit rein formalen, prozeduralen Vorgehensweisen nicht klarkommt, sondern dass man sich wieder rückbesinnen muss auf Inhalte, Materielles, was in die Ethik hineinkommt."
Die Rückbesinnung auf Inhaltliches geschieht zum Beispiel bei dem Düsseldorfer Philosophen Dieter Birnbacher, der als Vertreter des sogenannten "Utilitarismus" auf der Tagung zugegen war. Er stellt die Frage nach dem Nutzen biowissenschaftlicher Forschung. Welche Handlungen und Entscheidungen berücksichtigen die Interessen aller Betroffenen weitestgehend? Und nicht nur Menschen haben für Birnbacher Interessen. Sondern er bezieht auch Tiere in sein Nachdenken über den ethischen Umgang mit der Natur mit ein. Bioethik kümmert sich damit also nicht mehr nur um die Regeln des menschlichen Zusammenlebens, sondern
"würde von Interessen unterschiedlicher Wesen ausgehen. Und zur Interessenfähigkeit be-darf es eines bestimmten Nervensystems, Gehirnsystems. Die meisten Utilitaristen würden auch höherentwickelte Tiere darunter fassen, die Interessen verfolgen. Es geht nicht nur um den Menschen, sondern auch die Tiere haben Interesse an einer gut konstituierten Umwelt."
Doch ist der Umgang mit Natur und Umwelt allein dadurch zu bestimmen, was im Interesse von Menschen und Tieren liegt? Stellt Natur nicht vielmehr einen "Wert an sich" dar, selbst da, wo sie nicht zum Nutzen andere Lebewesen ist?
"In der neueren Diskussion scheint es so etwas zu geben wie eine philosophische Rückori-entierung auf Werte hin - wie die Auffassung, dass die Biodiversität der Arten etwas ist, was unabhängig vom Menschen einen gewissen Wert haben soll."
Der Münsteraner Philosoph Ludwig Siep misst ethisches Handeln nicht an den Interessen, Rechten oder Pflichten menschlicher - oder zumindest mit Bewusstsein begabter Lebewesen. Er möchte Ethik "zur Welt als ganzer" hin öffnen. Denn, so Siep, im wohl geordneten "Ganzen einer guten Welt” sei kein Teil unabhängig von anderen. Und deshalb sei der oberste Maßstab des menschlichen Handelns die Förderung der "Güte des Ganzen”. Prof. Dieter Sturma, Philosoph an der Universität Bonn:
"Der Begriff des Guten oder des guten Lebens oder Umfelds ist natürlich so angelegt, dass wir Wege finden müssen, von spezifischen Interessen des Menschen abzusehen. Und das Siep'sche Konzept sieht so aus: Er will auf das Gelingen des Ganzen der Natur schauen, das heißt, dass man sich solchen Problemfeldern zuwendet wie Artenvielfalt, Biodiversität,..."
Natürlich scheint hier, wenn auch in philosophischen Begriffen, Religiöses auf. Eine Haltung der Demut gegenüber einer gut geordneten Natur, gegenüber einer Schöpfung, deren Herren wir nicht sind. Einer Natur, die in sich selbst eine Idee des Guten enthält. Dieter Sturma allerdings bezweifelt, ob eine solche Haltung philosophisch begründbar ist.
"Der Grossteil der an Interessen orientierten Ethiker bestreiten das, das würden auch Kantianer bestreiten. Aber es gibt auch in der ökologischen Ethik viele, die sagen, das ist gerade der Kardinalfehler, dass wir den Kreis der ethischen Gemeinschaft viel zu eng ziehen und es an Kriterien binden wie Selbstbewusstsein, Sprache. Und wenn man davon abrücken würde und auf so etwas Bezug nehmen würde wie 'florishing', Gedeihen, wäre ja die Möglichkeit gegeben, hier den Kreis zu erweitern."
Wie auch immer die Diskussion um die Grundlagen der Bioethik ausgehen mag: Das Bonner Ethik Forum macht deutlich, dass Bioethik mehr ist als tagespolitische Einmischung in Fragen der Lebenswissenschaften. Bioethik ist Philosophie. Und dann betrifft sie die Frage nach dem grundlegenden Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt, nach seinem Verständnis von Natur und seinem Umgang mit dem Leben. Dr. Michael Fuchs:
"Ich glaube, dass es eine Vielfalt der Themen gibt: Handlungsfelder der Medizin, Hand-lungsfelder der Biotechnologie, vor allem aber auch die Frage, inwiefern wir das Wissen über unser Genom oder unsere körperliche Ausstattung nützen sollen, die Menschen zu verbessern. Das sind Fragen, die philosophisch relevant sind und keineswegs mit der Stammzellendebatte abgedeckt sind. Oder das Thema der Biodiversität, Tierschutzfrage, das Verhältnis von Mensch und Tier, das sind Fragen, die grundlegende Reflexionen verlangen. Und die Philo-sophie ist aufgefordert, sich diesen zu stellen."