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Birkenmoos und Waldbeeren

Vom einstigen Ruhrbergbau ist nicht mehr viel übrig geblieben, und auch die Schwerindustrie hat sich größtenteils aus der Region zurückgezogen. Was blieb, war verlassenes Industriegelände. Für manche Standorte fanden sich im Laufe der Jahre Investoren, die neue Unternehmen angesiedelt haben. Der Rest verwandelte sich in Industriebrache. Im Zusammenhang mit dem Strukturwandel im Ruhrgebiet kam die Idee auf, diese Brachflächen zu Wald werden zu lassen.

Von Susanne Kuhlmann |
    Junge Birken mit dünnen Stämmen, keine höher als sieben oder acht Meter, dazwischen etwas grünes Gesträuch - der Industriewald Rheinelbe mitten in Gelsenkirchen wirkt neu und unfertig. Das ist er auch, sagt Michael Boerth vom Regionalforstamt Ruhrgebiet. Rheinelbe ist die erste Fläche des Projekts Industriewald Ruhrgebiet und seit 30 Jahren dabei, sich zu entwickeln:

    "Wir stehen auf Bergematerial. Das war vormals schwarz und grau. Dieses Bergematerial wirkt nicht so abstoßend, vor allem für die Pionierbaumarten, dass sie nicht darauf wachsen würden. Und so flogen damals Zug um Zug Birkensamen an. Sie wissen, dass Birkensamen sehr klein sind und darum weit fliegen. Das ist ein charakteristisches Merkmal für Pionierpflanzen, die als erstes auftauchen. Und die Birken siedelten sich hier an. Dann sehen Sie hier hinter sich noch zwei etwas gröbere Bäume. Das sind Salweiden, die relativ breit gewachsen sind. Das sind auch typische Pionierbaumarten, die sich von selbst etablieren, ohne menschliches Zutun. "

    Das abgefallene Laub bereitet mit seinen Nährstoffen allmählich den Boden für anspruchsvollere Pflanzen:

    "Es entwickelt sich dann auf diesen Industrieböden ein neuer Nährstoffkreislauf, und der wird genutzt von anderen Pflanzenarten, Waldpflanzenarten. Sie sehen hier zum Beispiel Walderdbeeren. Sie sehen kriechenden Günsel, Sie sehen verschiedene Moosarten, die hier wachsen. So langsam kommt auf diesen Industriewaldflächen ein richtiges Waldökosystem in Gang. "

    Goldraute, Sommerflieder und südafrikanisches Greiskraut sind auch dazu gekommen. Und jede Menge Vögel:

    "Es sind hier Grasmücken, Mönchsgrasmücken, Klappergrasmücken, Gartengrasmücken. Es sind Drosselarten da, wie die Amsel, es ist eine Singdrossel da. Der Grünfink ist da, manchmal als Gast Dompfaffen sind hier. Dann haben wir an Spechten den Buntspecht hier. Dann ist der Grünspecht da. Und dann haben wir Eichelhäher und Elstern. Über der Fläche jagen Mauersegler. Also, in der Vogelwelt ist es sehr reichlich ausgestattet."

    Am Boden auch: Kreuzkröten leben da, Mäuse, Marder, Füchse, Spinnen und vieles mehr. Nur Waldarbeiter oder Förster trifft man kaum. Im Industriewald wird nämlich nichts gepflanzt oder gepflegt. Es gibt lediglich forstfachliche Begleitung:

    "Forstfachliche Begleitung meint, dass die Förster, die hier in der Forststation sind, von Zeit zu Zeit gucken müssen, ob so was wie die Verkehrssicherheit gewährleistet ist. Wir möchten, dass hier Menschen auf die Fläche kommen, und es darf nicht passieren, dass diesen Menschen ein Baum auf den Kopf fällt. Das heißt, die Förster müssen gucken, ob der Bestand noch sicher ist. Das ist eigentlich das Einzige, was wir hier aktiv tun.
    "

    Und die Menschen kommen gerne in den neuen Wald: zum Spazieren gehen, Radfahren, Joggen oder zum Ausführen des Hundes:

    "Ich wohne hier. Wir sind damals hierhin gezogen, wir haben immer einen Hund gehabt. Und es ist einfach fantastisch hier, ist schön. Es ist ruhig, man ist zentral und trotzdem passiert allerhand. Wird ja viel gemacht durch unsere Forststation. Prima, Kinder können sich austoben, ist alles klasse."

    Die Kinder können im Sommer auch ruhig von den Walderdbeeren oder Brombeeren naschen. Angst vor Gift im Boden brauchen die Industriewaldbesucher nicht zu haben. Michael Boerth:

    "Wir übernehmen unsanierte Flächen, überwiegend unsanierte Flächen, aber nur dann, wenn in denen keine Altlasten schlummern. Wir haben andere Flächen, die sind saniert worden oder werden saniert, und die werden wir der Öffentlichkeit erst nach der Sanierung zur Verfügung stellen. Eine einzige Fläche, das war Chemische Schalke, hier auch in Gelsenkirchen, die war derartig verschmutzt, dass wir die zwar ins Industriewaldprojekt übernommen haben, aber den Zaun drum rum gelassen haben und nur dort die Entwicklung beobachtet haben. "

    Alte Rohrleitungen in den Wipfeln, Gleise, die in die Wildnis führen, rostige Maschinen auf Steinsockeln - ein Landschaftskünstler macht daraus Skulpturen entlang der Wege. Seine Kunstwerke verbinden den Wald mit der Geschichte der Fläche. Rheinelbe, Zeche Waltrop, Kokerei Hansa - in den mittlerweile 17 Industriewäldern des Ruhrgebiets ist der Strukturwandel grün - und ein Erlebnis für alle Besucher.