Den reißerischen Titel hat das Stück gar nicht nötig; und es geht natürlich um keinerlei Form handelsüblicher Kommerz-Erotik. Aber wie ja Pornographie weithin als Surrogat der echten Sexualität vorkommt, als Ersatzdroge, so muss sich wohl (dieser Gedanke mag hinter der Titelwahl stecken) die Wahrnehmung von "Wirklichkeit" längst grundsätzlich verschoben haben in fundamental durchmedialisierter Zeit.
An Ersatzdrogen herrscht da wirklich kein Mangel. Wie aber nun wer noch was wahrnimmt unter diesen Bedingungen, und warum, das hängt eben nicht mehr davon ab, ob alles irgendwie noch logisch und vernünftig miteinander in Zusammenhang steht – und die sechs Geschichten (sowie 52 Miniaturen), die Simon Stephens erzählt mit (in diesem Sinne) pornographischem Blick, haben eben vorderhand nichts zu tun miteinander: und nicht mit den drei Ereignissen, die diesen Geschichten Struktur geben.
Am 2. Juli bringt der Pop-Musiker und Sozial-Aktivist Bob Geldof die wichtigsten Pop-Stars der Welt zum "Life 8"-Konzert in London zusammen – und kommentiert so den parallelen Polit-Gipfel der G-8-Staaten in Gleneagles. Vier Tage später wird London auserkoren, die Olympischen Spiele 2012 auszurichten. Und am Tag danach sprengen die Mitglieder einer rätselhaften Terrorgruppe mehrere Wagen der Londoner U-Bahn und einen Bus in die Luft. 52 Menschen sterben.
Am Abend dieses Terror-Tages wandert eine 83jährige Ex-Journalistin mühevoll und mit Blasen an den Füßen aus der Londoner City nach Hause.
Für den Wunsch der Alten nach einem Stückchen vom Hühnchen, für diese kleine Alltagslust, hat das hippe Party-Pack im Grunde nur ein hämisches Lächeln – die Welt ist halt kalt. Ein Schenkelchen wird dann allerdings doch noch heraus gebracht; und angekommen zu Hause, weiss die Alte nicht, warum ihr die Tränen übers Gesicht laufen.
Die Alte, das Hühnchen und der Tod in der U-Bahn – nichts in der Wirklichkeit verbindet die alltäglichen Vorgänge mit den historischen, nichts das (unfassbare) Leben mit der (unfassbaren) Geschichte; erst ein Dramatiker im Theater kann den Zusammenhang spürbar werden lassen, und das ganz ohne ihn zu erklären. Im deutschsprachigen Raum gelingt dieses außergewöhnliche und existenzielle Kunststück zuweilen der Dramatikerin Dea Loher, etwa in ihrem viel gespielten Text "Unschuld"; Simon Stephens, bekannt und erfolgreich in jüngerer Zeit durch einige sparsam, aber wirkungsvoll gestrichelte Mini-Tableaus aus dem Milieu seiner Heimat-Kleinstadt Stockport und umzu, ist mit dieser Auftragsarbeit für die Schauspielhäuser in Hannover und Hamburg erstmals in diese Liga vorgestoßen.
Schon die Geschichten selber gehen unter die Haut: die von der kleinen Mitarbeiterin in irgendeinem Technologie-Büro, geschunden in der Firma wie zu Hause, aber Pop-Fan und gerade schwer bewegt von Geldofs "Life 8" – eines nachts verrät sie die wichtigsten Firmen-Geheimnisse an die Konkurrenz. Oder die Geschichte von den Gewalt- und Sex-Phantasien eines Schülers, der Ausländer und Aussenseiter ist und seine Lieblingslehrerin verfolgt; darauf folgt die Begegnung zweier Brüder, die die gegenseitige Liebe entdecken bis zum Exzess – und scheitern, als der ältere zu Fuß nach Hause kommt, und nicht wie sonst mit der U-Bahn.
Auch die Wiederbegegnung eines Professors mit der einstigen Studentin, die jetzt auf Jobsuche ist (und dafür einiges zu tun bereit ist), endet ebenfalls sehr elend und lieblos – mit dem Monolog eines der möglichen Attentäter vom 7. Juli 2005 wagt sich Stephens dann sogar mitten ins Zentrum der Hölle. Dessen Alltagshass und die Mord-Vision mit lauter Noch-nicht-Toten zwingt der Autor in ein- und denselben Satz.
Am Schluss stehen kleine Internet-Nachrufe auf die 52 Londoner Terror-Toten. Und das hamburgisch-hannoversch-durchmischte Ensemble puzzelt derweil wieder weiter am Breughels Bild vom Turmbau zu Babel, das Muriel Gerstner an die Bühnenrückwand gebaut hat – weiter arbeitet die Welt am fundamentalen Missverstehen. Bis einer kommt und alles in Trümmer schlägt. Mit diesem Bild wird auch Sebastian Nüblings Inszenierung zum Meister-Stück: das die Mono- und Dialoge klug und sicher auffächert zum Panorama einer Gesellschaft, die wohl noch öfter zutiefst erschrecken wird – über den Terror wie über die Aussichtslosigkeit, die auch ohne Bomben in ihr herrscht. Davon erzählt ein großer Text: als großes Theater.
An Ersatzdrogen herrscht da wirklich kein Mangel. Wie aber nun wer noch was wahrnimmt unter diesen Bedingungen, und warum, das hängt eben nicht mehr davon ab, ob alles irgendwie noch logisch und vernünftig miteinander in Zusammenhang steht – und die sechs Geschichten (sowie 52 Miniaturen), die Simon Stephens erzählt mit (in diesem Sinne) pornographischem Blick, haben eben vorderhand nichts zu tun miteinander: und nicht mit den drei Ereignissen, die diesen Geschichten Struktur geben.
Am 2. Juli bringt der Pop-Musiker und Sozial-Aktivist Bob Geldof die wichtigsten Pop-Stars der Welt zum "Life 8"-Konzert in London zusammen – und kommentiert so den parallelen Polit-Gipfel der G-8-Staaten in Gleneagles. Vier Tage später wird London auserkoren, die Olympischen Spiele 2012 auszurichten. Und am Tag danach sprengen die Mitglieder einer rätselhaften Terrorgruppe mehrere Wagen der Londoner U-Bahn und einen Bus in die Luft. 52 Menschen sterben.
Am Abend dieses Terror-Tages wandert eine 83jährige Ex-Journalistin mühevoll und mit Blasen an den Füßen aus der Londoner City nach Hause.
Für den Wunsch der Alten nach einem Stückchen vom Hühnchen, für diese kleine Alltagslust, hat das hippe Party-Pack im Grunde nur ein hämisches Lächeln – die Welt ist halt kalt. Ein Schenkelchen wird dann allerdings doch noch heraus gebracht; und angekommen zu Hause, weiss die Alte nicht, warum ihr die Tränen übers Gesicht laufen.
Die Alte, das Hühnchen und der Tod in der U-Bahn – nichts in der Wirklichkeit verbindet die alltäglichen Vorgänge mit den historischen, nichts das (unfassbare) Leben mit der (unfassbaren) Geschichte; erst ein Dramatiker im Theater kann den Zusammenhang spürbar werden lassen, und das ganz ohne ihn zu erklären. Im deutschsprachigen Raum gelingt dieses außergewöhnliche und existenzielle Kunststück zuweilen der Dramatikerin Dea Loher, etwa in ihrem viel gespielten Text "Unschuld"; Simon Stephens, bekannt und erfolgreich in jüngerer Zeit durch einige sparsam, aber wirkungsvoll gestrichelte Mini-Tableaus aus dem Milieu seiner Heimat-Kleinstadt Stockport und umzu, ist mit dieser Auftragsarbeit für die Schauspielhäuser in Hannover und Hamburg erstmals in diese Liga vorgestoßen.
Schon die Geschichten selber gehen unter die Haut: die von der kleinen Mitarbeiterin in irgendeinem Technologie-Büro, geschunden in der Firma wie zu Hause, aber Pop-Fan und gerade schwer bewegt von Geldofs "Life 8" – eines nachts verrät sie die wichtigsten Firmen-Geheimnisse an die Konkurrenz. Oder die Geschichte von den Gewalt- und Sex-Phantasien eines Schülers, der Ausländer und Aussenseiter ist und seine Lieblingslehrerin verfolgt; darauf folgt die Begegnung zweier Brüder, die die gegenseitige Liebe entdecken bis zum Exzess – und scheitern, als der ältere zu Fuß nach Hause kommt, und nicht wie sonst mit der U-Bahn.
Auch die Wiederbegegnung eines Professors mit der einstigen Studentin, die jetzt auf Jobsuche ist (und dafür einiges zu tun bereit ist), endet ebenfalls sehr elend und lieblos – mit dem Monolog eines der möglichen Attentäter vom 7. Juli 2005 wagt sich Stephens dann sogar mitten ins Zentrum der Hölle. Dessen Alltagshass und die Mord-Vision mit lauter Noch-nicht-Toten zwingt der Autor in ein- und denselben Satz.
Am Schluss stehen kleine Internet-Nachrufe auf die 52 Londoner Terror-Toten. Und das hamburgisch-hannoversch-durchmischte Ensemble puzzelt derweil wieder weiter am Breughels Bild vom Turmbau zu Babel, das Muriel Gerstner an die Bühnenrückwand gebaut hat – weiter arbeitet die Welt am fundamentalen Missverstehen. Bis einer kommt und alles in Trümmer schlägt. Mit diesem Bild wird auch Sebastian Nüblings Inszenierung zum Meister-Stück: das die Mono- und Dialoge klug und sicher auffächert zum Panorama einer Gesellschaft, die wohl noch öfter zutiefst erschrecken wird – über den Terror wie über die Aussichtslosigkeit, die auch ohne Bomben in ihr herrscht. Davon erzählt ein großer Text: als großes Theater.