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"Bis zu 56 Stunden pro Woche"

Der NRW-Vorsitzende des Verbandes "Bildung und Erziehung", Udo Beckmann, will die Lehrerarbeitszeit neu ordnen. Die Unterrichtsvorbereitung soll nach dem Willen Beckmanns in die Schule verlegt werden. Dazu sei es jedoch nötig, den Lehrern geeignete Arbeitsräume zur Verfügung zu stellen.

Moderation: Kate Maleike |
    Kate Maleike: Um eine Gruppe war es in den vergangenen PISA-Tagen erstaunlich ruhig - nämlich um die Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland. Immerhin war ihnen ja nach dem ersten PISA-Schock regelrecht der Prozess gemacht worden. Es hat sich eben seitdem einiges verbessert und verändert, auch am und im System Schule, aber es gibt noch genauso viel zu tun, denn der sich nun abzeichnende Verbesserungsschwung sollte ja so lange wie möglich erhalten werden und vielleicht sogar noch ausgebaut. Für Udo Beckmann, den Vorsitzenden des Verbandes Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen, heißt das zum Beispiel, dass die Lehrerarbeitszeit neu geordnet werden sollte. Grüß Sie, Herr Beckmann!

    Udo Beckmann: Hallo!

    Maleike: Wie wollen Sie denn die Zeit neu ordnen?

    Beckmann: Ja, ich denke, es geht in erster Linie mal darum, die Lehrerarbeitszeit neu zu strukturieren und transparent zu machen. Bisher arbeiten wir ja immer noch nach dem alten System des Pflichtstundenmodells, das heißt, es wird eine feste Anzahl von Stunden vorgegeben, die zu unterrichten ist, und alle anderen Aufgaben werden irgendwie draufgesattelt, ohne dass gesagt wird, mit welchem Zeitaufwand die verbunden sein sollen und wie die geregelt werden sollen.

    Maleike: Und Sie wollen das jetzt ändern - wie denn?

    Beckmann: Wir möchten das ändern, und zwar haben wir bei den Professoren Schaarschmidt und Sieland eine Arbeitszeiterhebung in Auftrag gegeben - das war im letzten Jahr im November -, die von den beiden durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse liegen vor. Und das erste Ergebnis, was uns natürlich nicht überrascht hat, aber was sicherlich noch mal wichtig ist, ist einfach zu sagen, dass Lehrerinnen und Lehrer im Durchschnitt bis zu 56 Stunden pro Woche arbeiten, das heißt, in den Wochen, in denen Unterricht ist. Und dies ist natürlich eine erhebliche Überbelastung, bei der wir uns fragen, wie soll es dann noch möglich sein, alle Aufgaben auch qualitätvoll zu erledigen.

    Maleike: Und was ist jetzt die Konsequenz?

    Beckmann: Die Konsequenz ist, die erste Forderung lautet, runter mit den Unterrichtsverpflichtungen, das heißt, runter mit der Zahl der Unterrichtsverpflichtung für alle Schulformen. Der zweite Punkt lautet, wir brauchen auch in der Lehrerarbeit eine stärkere Rhythmisierung zwischen Unterrichten und zwischen Erholungsphasen, wir brauchen mehr Möglichkeiten und festgelegte Zeiten für Kooperation und Teamgespräche in den Schulen, und zwar in vorgegebenen Zeitkontingenten und nicht in die Beliebigkeit gegeben.

    Maleike: Wie könnte das an einem Praxisbeispiel gedacht aussehen?

    Beckmann: Das könnte zum Beispiel so aussehen, dass die Schule sich darauf verständigt, dass, wie es zum Beispiel auch an Ganztagsschulen ist, an einem festen Nachmittag in der Woche Zeit eingeräumt wird für Konferenzen, dass es feste Zeiten gibt für Elternsprechstunden, dass es feste Zeiten gibt für Schülerberatung, dass es feste Zeiten gibt für Teamgespräche. Das heißt, im Gesamtkontingent der Arbeitszeit müssen diese Zeiten festgelegt werden in einem bestimmten Raster, was sicherlich schulformspezifisch unterschiedlich gestaltet werden kann. Und hinzu kommt natürlich, dass diese andere Art von Arbeit oder diese gewünschte Arbeit natürlich voraussetzt, dass Lehrerinnen und Lehrer längere Zeit auch in den Schulen anwesend sind. Dies haben wir allerdings zurzeit auch schon dadurch, dass die Stundentafel ja deutlich ausgeweitet worden ist, so dass viele Lehrer über Mittag in der Schule sein müssen, aber sie trotzdem in dieser Zeit nicht die Möglichkeit haben, wenn sie Pausen haben, andere Aufgaben zu erledigen, weil einfach die Räumlichkeiten und die Arbeitsplätze dafür nicht da sind. Und deswegen geht das, was wir vorschlagen, in erster Linie auch nur dann, wenn man die entsprechenden Voraussetzungen schafft. Das heißt, Arbeitsplätze in den Schulen für die Lehrerinnen und Lehrer schaffen.

    Maleike: Was macht Sie denn so sicher, dass dieser Vorschlag tatsächlich auch bei den Lehrerinnen und Lehrern in Deutschland gut ankommt?

    Beckmann: Dieser Vorschlag ist ja nicht von uns ausgedacht oder von den Professoren, sondern Teil der Erhebung war, dass Lehrerinnen und Lehrer sich mehr Anwesenheitszeiten in den Schulen gewünscht haben, natürlich unter der Bedingung, dass man ihnen dafür die Voraussetzungen schafft, das heißt Arbeitsplätze schafft, Möglichkeiten des Rückzugs schafft. Wenn es so ist, wie wir es bisher erleben an Ganztagsschulen, dass diese Möglichkeiten nicht gegeben sind, die Lehrer aber trotzdem bis 16 Uhr in der Schule sind und anschließend trotzdem alle anderen Aufgaben zu Hause erledigt werden müssen, dann funktioniert das nicht. Und wir haben auch nicht gesagt, dass wir jetzt, sage ich mal, ein Modell haben, was flächendeckend umgesetzt werden soll, sondern wir haben Eckpunkte für ein zukünftiges Modell vorgelegt - einige habe ich vorhin genannt -, und dass im Rahmen dieser Eckpunkte in den nächsten Jahren Pilotstudien erfolgen sollen unter Begleitung der beiden Wissenschaftler, um zu erheben, ob die Effekte, die wir uns wünschen, auch tatsächlich eintreten.

    Maleike: Und müssten wir nicht auch endlich mehr Lehrer kriegen? Nach den Zahlen der GEW, die kürzlich vorgelegt wurden, haben wir nämlich 2007 3.800 weniger Lehrer eingestellt in Deutschland als die Kultusministerkonferenz selbst als Bedarf analysiert hatte?

    Beckmann: Also ich gehe davon aus, wenn man ein solches Modell durchzieht, wie wir es vorgeschlagen haben, das habe ich ja eingangs gesagt, damit geht einher die Absenkung der Unterrichtsverpflichtung. Das bedeutet natürlich, dass wir mehr Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen brauchen. Ein Stück weit kommt uns wahrscheinlich der demografische Wandel entgegen. Das heißt, wenn wir die Lehrerstellen halten, die wir haben, schaffen wir schon eine Verbesserung bei rückläufigen Schülerzahlen. Aber es muss sicherlich auch noch was oben draufgesattelt werden.

    Maleike: Herr Beckmann, an einem Tag wie diesem darf ich natürlich einen Vorsitzenden eines Bildungsverbandes nicht entlassen, ohne die Frage noch zu PISA zu stellen und zu den Konsequenzen für die Lehrerschaft. Welche sind das aus Ihrer Sicht?

    Beckmann: Ein wichtiger Aspekt, der uns ja alle weiterhin betroffen machen muss, ist ja die Chancenungleichheit insbesondere auch für Kinder mit Migrationshintergrund. Hier, denke ich, muss man alle Möglichkeiten ausschöpfen, um diese Chancenungleichheit zu beseitigen. Ich glaube aber auch, dass die PISA-Ergebnisse zeigen, dass die Schulen und damit auch die Lehrerinnen und Lehrer sich auf den Weg gemacht haben, um zu gucken, welche Veränderungen können wir vornehmen, um zu besseren Ergebnissen zu kommen. Wir hätten sicherlich nicht in einigen Bereichen Verbesserungen von Ergebnissen, wenn Lehrerinnen und Lehrer sich hier nochmals zusätzliche Anstrengungen vorgenommen hätten, aber ich bleibe dabei, Qualität wird sich auch nur dann verbessern lassen, wenn man die notwendige Zeit für Qualitätsentwicklung gibt.

    Maleike: Udo Beckmann war das, der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung in Nordrhein-Westfalen. Sein Verband möchte die Lehrerarbeitszeiten neu ordnen. Schauen wir mal, was draus wird.