Archiv


Bisky offen für Dialog mit neuen Linksgruppierungen

Hellmich: Herr Bisky, solange es die Agenda 2010 gibt, opponiert die PDS dagegen. Nun, wo die Realisierung eines wichtigen Teils näher rückt, nämlich die Realisierung von Hartz IV, da formieren sich überall Initiativen dagegen. Warum kommen die Leute nicht eigentlich alle zur PDS?

    Bisky: Also, das ist nicht verboten, zur PDS zu kommen. Wir sind offen, wir freuen uns auch über jeden, der kommt. Wir ziehen auch momentan – auch in der praktischen Hilfe, Ausfüllen der Fragebogen für Hartz IV – eine Reihe von Menschen an, die sonst nicht bei uns sind. Aber der Ärger mit Hartz IV ist so gewaltig, das würde die PDS alleine gar nicht schaffen. Und ich muss einfach respektieren, dass es neben der PDS eine Artikulation gegen die Agenda 2010 und gegen Hartz IV gibt, die nicht auf unsere Zustimmung warten. Das gibt Möglichkeiten der Zusammenarbeit in der Zukunft, aber nicht aller Protest wird durch die PDS kanalisiert. Wir sind auch nicht diejenigen, die einen Protest auffangen. Wir haben eine eigenständige Position, indem wir unsere Vorschläge als Alternativen dagegen halten. Wir versuchen, mit der "Agenda Sozial" ein alternatives Gegenkonzept einzubringen in die öffentliche Debatte. Das machen wir seit einem Jahr, und ich denke auch, erfolgreich. Es ist eine "Tippel-Tappel-Tour", wo wir dafür werben, dass die nötigen Reformen des Sozialstaates nicht alleine zu Lasten der sozial Schwachen durchgeführt werden, denn das ist bei der Agenda 2010 für uns der Fall. Deshalb gehen wir oppositionell dagegen an, und wir suchen jetzt auch nach Verbündeten. Aber wir machen eigenständige Vorschläge, wir haben zur Rentenreform schon etwas vorgeschlagen, Vorschläge zu anderen Themen werden folgen.

    Hellmich: Aber diese Wahlalternativen, aus denen ja vielleicht mal eine neue linke Partei wird, die sind doch eine Konkurrenz für Sie, da können Sie doch nicht dran vorbei?

    Bisky: Ob das eine Konkurrenz wird, wird sich zeigen. Aber das kann ich mir nicht aussuchen. Also ich bin vor einem Jahr noch einmal angetreten mit dem eindeutigen Ziel: Ich will die PDS stärken, ich möchte, dass die PDS sich wieder eigenständig entwickelt, ihr eigenes Profil in die Debatte bringt und sozusagen das für uns mögliche Wählerpotential auch anspricht. Und da sind wir auf einem guten Wege. Wir sind eine alternative linke Kraft und werden als solche auch wahrgenommen. Wir haben – denke ich – drei Schwerpunkte, die ganz deutlich uns von andren Parteien unterscheiden. Und die müssen wir ausbauen und verständlich vermitteln.

    Hellmich: Konkret: Wie wollen Sie denn umgehen mit den Alternativen, Umarmungsstrategie oder Abgrenzung oder soll das mal irgendwie der westliche Arm werden der PDS, die Massenorganisation im Westen?

    Bisky: Alle alte Bündnispolitik ist zu Ende. Wir müssen versuchen, mit Mut auch zum Risiko, neue Bündnisse einzugehen in dem Sinne, dass man sich vielleicht über zwei, drei Fragen verständigt, die man dann gemeinsam verficht und dann vielleicht zusammenarbeitet, Kräfte bündelt, neu formiert. Aber die alte Umarmungsstrategie ist tot, auch diese Strategie, dass die anderen das durchsetzen, was man selber möchte. Das hat alles keinen Sinn mehr. Also ich bin für eine offene Debatte, ich verfolge aufmerksam, was da vorgelegt wird. Da gibt es politische Ansichten, die sind nicht weit entfernt von der PDS, es gibt viel Gemeinsamkeiten. Und da kann man die Frage stellen: Wollen wir nicht unverkrampft und vernünftig miteinander umgehen und zusammenarbeiten? Es ist aber zu früh, heute dort schon endgültige Aussagen zu treffen. Also, ich bin da offen. Ich rate meiner Partei, da ganz gelassen und offen damit umzugehen. Eine Konkurrenz kann es sein, aber Wettbewerb ist nicht nur schädlich, er zwingt uns auch, wach zu bleiben.

    Hellmich: Da sind ja viele enttäuschte Sozialdemokraten dabei. An die wollten Sie sich doch ursprünglich im Westen durchaus adressieren?

    Bisky: Das ist wahr, und wir sind im Westen nicht so vorangekommen, wie wir es gerne gewollt haben damals. Wir hatten gedacht, enttäuschte Sozialdemokraten und enttäuschte linke Grüne kommen zur PDS. Das ist so nicht eingetreten. Ich gehe davon aus, dass wir im Westen aber in allen Landesverbänden gute Leute haben. Die PDS ist da! Wir haben zur Europawahl dort gut zugelegt, wenn auch auf niedrigem Niveau. Deshalb will ich mit unseren Leuten im Westen arbeiten, das will ich ausdrücklich betonen. Wir haben dort gute Kommunalpolitiker, und wir wachsen im Westen von unten oder wir wachsen gar nicht. Wir wachsen dort nicht durch Ideologie, sondern nach meinem Dafürhalten durch konkrete Politik, durch Kommunalpolitik und durch Aktionen – auch gegen Agenda 2010 und so weiter. So. Und wir werden dann sehen, was sich herausbildet. Aber eine Arbeitsteilung, die PDS verzichtet auf den Westen und besetzt allein den Osten, das möchte ich nicht. Wir wissen, dass wir im Westen schwach sind, aber wir haben dort gute Leute. Und die sollen sich weiterhin auf die PDS verlassen können. Die brauchen wir, und sie brauchen uns.

    Hellmich: Nun haben PDS-Landespolitiker, wie zum Beispiel der Berliner Landesvorsitzende Stefan Liebich, durchaus davor gewarnt, zu freundlich umzugehen mit der neuen Wählerinitiative.

    Bisky: Also, wir haben dort ja überhaupt noch keine festgelegte Strategie. Ich sage meine Meinung, und ich sehe auch mehr die Bundesbewegung auf dem Gebiet. In Berlin sieht manches immer etwas anders aus, und deshalb hat Stefan Liebich zu Recht auch immer den Blick auf die Berliner Verhältnisse. Also, ich beobachte die bundesweiten Prozesse auf diesem Gebiet, und deshalb ist meine Auffassung, dass wir uns offen verhalten sollten und zuschauen sollten, ob nicht durch eine Bündelung der Kräfte wirklich mehr Druck gegen die unsoziale Politik ausgeübt werden kann. Darüber wäre ich sehr froh. Ob das so eintritt, weiß ich im Moment nicht. Wir sind ja auch noch nicht in dem Stadium, wo man sagen könnte, hier ist ein Bündel von Maßnahmen, wo wir zusammenarbeiten wollen oder das wir zusammen durchsetzen wollen.

    Hellmich: Mit den enttäuschten Sozialdemokraten, die zur PDS kamen, haben Sie ja auch im Vorstand nicht nur sehr gute Erfahrungen gemacht. Würden Sie sich denn wundern, wenn von einigen "Neu-PDS"lern aus dem Westen einige dann überliefen in das Lager der Wahlinitiativen?

    Bisky: Also, in der Linken gibt es immer eine gewisse Läuferbewegung, und das kann man gar nicht verhindern, das alles beruht ja auf Freiwilligkeit Aber ich stelle fest, dass wir eine relative Stabilität doch haben. Wir haben in einigen Städten auch, was die kommunale Arbeit anbelangt, im Westen – nehmen wir Essen, nehmen wir Köln, nehmen wir Tübingen oder auch Hannover –, dort haben wir doch also Leute, die relativ kontinuierlich für die PDS Politik gestalten. Und dabei wird es bleiben. Ich fürchte nicht, dass jemand dann mal sagt: "Ich gehe wieder zurück zur SPD" oder "ich suche mir meine eigene Partei". Das ist alles möglich, das sehe ich auch ohne da mit großem Zorn heranzugehen. Die PDS hat ihre Eigenheiten, und ich bin dafür, die PDS so zu entwickeln, dass sie ihr eigenes Profil in den Mittelpunkt der Überlegungen stellt und nicht die Frage, wen sie – mit welcher Enttäuschung auch immer – von woanders auffangen will. Wir sind kein Auffangbecken, wir sind eine Partei mit einem eigenen Profil. Und das muss gestärkt werden, und dann bleiben Leute auch bei uns. Und es muss wieder etwas mehr Selbstvertrauen rein, da ist ja etwas gekommen im letzten Jahr. Aber wir wollen etwas mehr Selbstvertrauen haben, diese Partei stabil zu halten. Wir brauchen wieder mehr Vertrauen, wir brauchen Verlässlichkeit, wir brauchen Glaubwürdigkeit. Und das bekommt man nicht dadurch, dass man sich nach allen Seiten öffnet, sondern das bekommt man dadurch, dass man offen, aber ganz bestimmt mit politischen Schwerpunkten in die Öffentlichkeit tritt und dass die Leute erkennen: Das also ist PDS-Politik. Und daran arbeite ich.

    Hellmich: Mal anders herum gefragt: Da gab es ja jene Genossen aus dem Westen, die die PDS so ein bisschen zu paralysieren drohten. Wären Sie nicht regelrecht froh, wenn die vielleicht so einer neuen Partei, die da "Wahlalternative" oder sonst wie heißt, eine neue Heimat finden?

    Bisky: Also ich kann als Vorsitzender der Partei nicht froh darüber sein, wenn irgendjemand eine Heimat wo anders findet, das wäre ja eine merkwürdige Situation. Sondern ich bin für alle Mitglieder da, und ich bin froh, wenn wir alle Mitglieder vereinen können. Allerdings muss eines deutlich sein: Wir haben wieder gewonnen, seit die Mehrheit sich artikuliert in der PDS. Die Mehrheit muss bei Respektierung der Minderheiten und auch bei vollem Respekt vor kritischen Meinungen muss die Mehrheit politikbestimmt sein auf Parteitagen, die Politik beschließen. Da muss Klarheit herrschen. Und dann kann man auch mit Kritikern und mit vielen anderen Dingen ganz vernünftig umgehen.

    Hellmich: Und wenn Sarah Wagenknecht diese Woche, kurz nachdem der Vorstand bekräftigt hat, dass es bei der Beteiligung in Landesregierungen bleibt, dann genau das Gegenteil verkündet, die PDS auffordert, aus den Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin rauszugehen, dann ist das okay?

    Bisky: Die Öffentlichkeit hat sich daran gewöhnt, dass Sarah Wagenknecht kontinuierlich etwas anderes fordert als der Vorstand. Dass sie bei den Beratungen am letzten Wochenende nicht dabei war, ist ein Verlust für sie, dann hätte sie in 6-stündiger Beratung die sachlichen Argumente, die dagegen sprechen, erfahren können. Das hat sie nicht getan und sagt uns jetzt das, was sie vor einem Jahr auch schon gesagt hat: Wir sollen austreten. Das ist eine Minderheiten-Position. Ich bin dafür, dass Sarah Wagenknecht ihre Meinung sagt, aber es beeinflusst die PDS-Politik auf dem Gebiet nicht, und die ist übrigens auf Parteitagen in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern auch deutlich entschieden und bestätigt worden.

    Hellmich: Auf der anderen Seite hat die PDS Sarah Wagenknecht sozusagen in eine herausragende Position gebracht, indem sie nämlich auf einen aussichtsreichen Platz für die Europawahl nominiert wurde und dann vom Wähler auch gewählt wurde mit der PDS-Liste. Haben Sie da nicht die Befürchtung, dass künftig aus Brüssel und Straßburg dann Dinge zu hören sind auf PDS-Ticket, die Sie nicht so gerne hören?

    Bisky: Dass fürchte ich im Moment gar nicht, weil – ich glaube ja, Sarah Wagenknecht ist Mitglied im Parteivorstand, und ich denke schon, dass sie sich, wie auch bei den Wahlkämpfen, an die Grundaussagen der Politik halten wird, der PDS-Politik. Da habe ich gar keinen Zweifel. Dass sie es mit der Regierungsbeteiligung nicht so haben möchte wie der Vorstand, das ist bekannt. Und es gibt auch, glaube ich schon, eine relevante Minderheit in der PDS, die will, dass die PDS überhaupt nicht teilnimmt an Regierungen. Das muss ich respektieren. Aber die große Mehrheit hat sich eindeutig entschieden auf diesem Gebiet. Und wenn dann gesagt wird, was ja auch bei Sarah Wagenknecht gesagt wurde, dass uns das Stimmen kostet, dann sage ich: Das beste Wahlergebnis hat die PDS in der Situation eingefahren in ihrer Geschichte jetzt, wo sie in zwei Ländern regiert. Und manche sagen immer, wir sollen nur mit Opposition in die Wahlkämpfe gehen, dann sage ich: Das beste Landtagswahlergebnis in Thüringen hat einer eingefahren, der heißt Bodo Ramelow, und der hat als Ministerpräsident kandidiert. Also, die Wählerinnen und Wähler wissen sehr wohl, was die PDS will. Sie wissen, dass die PDS mitgestaltet, aus der Opposition oder in der Regierung, dass sie etwas verändern will, und sie sind nicht darauf angewiesen, die "ewige" Opposition oder die "ewige" Regierungsmannschaft zu wählen. Die sind klüger als mancher denkt.

    Hellmich: Nun ja, aber gerade bei Hartz IV ist das ja keine so ganz einfache Sache. Also, Petra Pau, die ja nun nicht dem linksradikalen Flügel der PDS angehört und Bundestagsabgeordnete ist, die hat erklärt zu Hartz IV – ich zitiere das mal wörtlich: "Es gibt zwei Ebenen. Die eine ist Hartz IV selbst, sie ist ein Generalangriff auf den sozialen Staat. Die zweite ist die Ausführung. Sie entmündigt die Betroffenen schamlos. Beide Ebenen sind entwürdigend". Den ersten Teil würden Sie möglicherweise unterstreichen, beim zweiten Teil wird es ein bisschen schwierig, denn diese entwürdigende Ebene der Ausführung, die wird ja beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin von PDS-Ministern betrieben nach den Buchstaben des Gesetzes. Vier Minister werden daran beteiligt sein, das ordentlich umzusetzen. Oder werden die da Sand ins Getriebe werfen?

    Bisky: Nein, das geht nicht. Wer in einer Regierung ist, muss sich an die Gesetze halten. Also werden die PDS-Minister Hartz IV umsetzen müssen, obwohl sie dagegen sind – gegen das gesamte Gesetz. Da gibt es auch keine Alternative dazu. Wir haben uns verständigt, dass wir versuchen müssen, das mit großer Menschlichkeit zu tun, den Betroffenen zu helfen, und dass wir kommunale Beschäftigungsprogramme ganz, ganz schnell und ganz, ganz flink auf die Beine stellen, damit deutlich wird: Die PDS kümmert sich auch bei schlechten Gesetzen, die sie nicht will, dann wirklich letztendlich doch ganz gründlich um die betroffenen Menschen, um ihnen zu helfen. Das ist der Ansatz, den wir haben. Hartz IV gefällt uns dadurch nicht, es wird dadurch auch nicht schöner.

    Hellmich: Also es wird nicht so sein, wie Petra Pau schreibt, dass die Ausführung die Betroffenen schamlos entmündigt?

    Bisky: Nun, was Petra Pau meint – sie hat ja sicher noch mehr gesagt als diesen einen Satz –, was Petra Pau meint, das hängt einfach damit zusammen: Also diese Offenbarung, man muss die Antiquitäten angeben, man muss – für das Arbeitslosengeld II, diesen Fragebogen – , man muss den Schmuck angeben, die Freundin, mit der man lebt, muss mit unterschreiben, man muss die private Altersvorsorge und all diese Dinge angeben. Das ist natürlich eine Prozedur, die ist entwürdigend. Ob die PDS sie sauber begleitet oder nicht, es bleibt dabei: Das ist eine entwürdigende Prozedur. Man hätte das nicht nötig gehabt, denke ich. Das hätte man besser machen können durch ein besseres Gesetz. Aber nun kommt das Gesetz, und da müssen wir das so auch sauber durchexerzieren und eine vernünftige Lösung im Umgang damit finden

    Hellmich: Aber trotzdem, diese Opposition wird es ja auch in der Umsetzung geben. Da wird es Protestgruppen geben, da wird es höchstwahrscheinlich Demonstrationen, da wird es – kann ich mir vorstellen – "Go-ins" geben, und da wird es die PDS nicht ganz einfach haben, sich da zurechtzufinden, wo sie denn nun stehen soll. Ich sehe da ein bisschen doch den klassischen Widerspruch, in dem die PDS da gefangen ist, nämlich der zwischen Oppositionsrhetorik auf der einen Seite, die verständlich ist, die vielleicht auch sein muss, um gehört zu werden, und auf der anderen Seite eben der Einsicht in die Notwendigkeit, die die Regierungsbeteiligung erfordert.

    Bisky: Das ist ein Widerspruch. Damit müssen wir ganz offen umgehen. Natürlich ist es so, dass wir, wenn wir mit regieren, nicht PDS-Politik vormachen können, sondern wir sagen dann: Wir sind in Verantwortung gewählt worden, und wir müssen versuchen, daraus eine Veränderung in der Politik zu erzielen, die in eine Richtung zu mehr sozialer Gerechtigkeit führt. Da bemühen wir uns, und wir müssen versuchen, auch ganz Schlimmes zu verhindern – siehe Harz VI. Da bemühen wir uns auch. Aber wenn man mit einem Koalitionspartner regiert, muss man auch gute Kompromisse schließen, um regierungsfähig zu sein. Das heißt ja nicht, dass man mit dem, was dort getan wird, in allen Dingen einverstanden sein muss. Wir als PDS müssen lernen, wenn wir in Ländern regieren, dass es wichtig ist, dass wir wieder in den Bundestag kommen, damit wir Bundesgesetze beeinflussen können. Das sagen mir sogar inzwischen viele Leute. Die sagen: Seit ihr nicht mehr im deutschen Bundestag in Fraktionsstärke vertreten seid, findet der Osten nicht mehr statt. Und das ist ja schlicht wahr. Folglich besteht der Ansatz darin, dass wir wieder in Fraktionsstärke in den Bundestag gehen müssen, um dort alternative Gesetze vorzuschlagen und auch Druck aufzumachen, damit man dort rauskommt aus diesem Einerlei der Parteien, die alle Sozialreformen grundsätzlich nur zu Lasten der sozial Schwachen machen. Das müssen wir erreichen. Dann haben unsere Minister auf Landesebene auch mehr Unterstützung und dann werden sie also nicht alleine dastehen.

    Hellmich: Aber der Spagat, den Sie da irgendwie leisten müssen, der bleibt doch. Und der geht doch letztendlich auf Kosten Ihrer Glaubwürdigkeit. Meinen Sie nicht auch, dass das sich letztendlich auswirken kann. erstens auf die Wahlergebnisse und zweitens eben auf die Chancen einer solchen Wahlalternative, über die wir jetzt reden?.

    Bisky: Ja, wenn die Wahlalternative grundsätzlich nur Protest machen will, dann wird sich das auch negativ auswirken auf ihre Wahlergebnisse. Ich denke mal, wir müssen diesen Widerspruch tatsächlich offen behandeln. Und wir sind auch in den Landtagswahlen jetzt. Wir haben ja in Sachsen und in Brandenburg noch die Landtagswahlen, da sind wir auch ganz offen mit unseren programmatischen Vorstellungen, wo wir langfristig hinwollen: In Sachsen mit Alexa, in Brandenburg haben wir auch ein Perspektivprogramm. Und dann sagen wir im Wahlkampf: . . . und das und das wollen wir in der nächsten Periode umsetzen. Da wollen wir sozusagen gestaltende Politik auf mittelfristige Sicht betreiben. Und das ist ganz klar, und da können die Wähler entscheiden ob sie diese Partei wählen. Wenn sie sie wählen, müssen sie die Garantie haben, dass sie versucht, die Punkte praktisch umzusetzen und nicht dann sagt: Ach, wir bleiben lieber sauber und bleiben lieber Opposition. Das geht dann nicht. Mit den Wahlergebnissen der PDS, wenn über 20 Prozent da sind, kann man nicht sagen: Ja, wir bleiben lieber in der Opposition und machen nur Protest. Da hat die PDS sich entschieden. Das war in den 90er Jahren eine breite Debatte. Und da sie sich entschieden hat, Opposition zu betreiben – auf Bundesebene ist sie ohnehin Opposition –, aber auch Teile der Verantwortung zu übernehmen, wenn die Wahlergebnisse es hergeben und sie eine Chance hat, sie umzusetzen und ihre Vorstellungen auch zu verwirklichen – das hat die PDS in langen Debatten ausgetragen, das muss sie jetzt auch durchhalten. Das ist übrigens auch in allen Wahlprogrammen so formuliert, ganz eindeutig. Und das ist für mich jetzt die Probe aufs Exempel in Thüringen. Und wer den Wahlkampf in Thüringen genau analysiert, der wird feststellen: Ja, die PDS hat dort wirklich auch gesagt, sie will die CDU-Alleinherrschaft dort beseitigen. Und wenn es sein muss, geht sie in die Regierung – ja, sie will gar in die Regierung. Und dennoch haben wir ein gutes Resultat bekommen. Die Wählerinnen und Wähler sind nämlich sehr klug. Sie wissen ja, dass die PDS ihre Programmatik, auch wenn sie in einer Regierung ist, nicht pur durchsetzen kann. Sie wissen ja, dass sie Abstriche machen muss. Aber sie wollen sicher sein, dass die PDS dann die Politik in Richtung mehr sozialer Gerechtigkeit bewegt und etwas mehr macht für die sozial Schwachen und auch in der Bildungspolitik aktiv wird. Das ist – glaube ich – das, was wir erwarten.

    Hellmich: Am 19. September sind ja die nächsten Wahlen in Brandenburg und Sachsen. Wollen Sie denn da in beiden Ländern in die Regierung?

    Bisky: Wir haben, denke ich, ganz realistische Vorstellungen. In Sachsen gibt es Alexa, das Entwicklungsprogramm der PDS für dieses Land Sachsen. In Sachsen ist das Ziel das, dass man die Alleinregierung der CDU beseitigt. Ob das gelingt, weiß ich nicht. Aber wenn das gelingen sollte – auch dort ist man, theoretisch jetzt, es wird wahrscheinlich nicht so kommen, aber theoretisch ist man durchaus in der Lage, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die Programme in Brandenburg sind auch so, dass wir beides können. Es liegt auch nicht an uns alleine. Wir können in der Opposition bleiben. Damit hätte ich keine Schwierigkeiten, zumal in Brandenburg also die große Koalition, wenn sie die Politik nur so fortsetzen will wie gegenwärtig, überhaupt nicht als Regierungspartner PDS infrage käme. Auch die SPD nicht. Andererseits aber, falls die große Koalition platzt und man dennoch dem Wählervotum Rechnung gibt und sagt: Brandenburg braucht eine andere Bildungspolitik, Brandenburg braucht einen Drive hin zu mehr sozialer Gerechtigkeit – warum sollte die PDS sich dann der Verantwortung entziehen?

    Hellmich: Hat Herr Matthias Platzek klar gemacht, dass er die große Koalition mit Jörg Schönbohm und der CDU nicht als Juniorpartner fortsetzen will? Ich meine, das bringt ja die Union in eine schizophrene Situation: Die darf, wenn sie in der Regierung bleiben will, nicht allzu viele Wählerstimmen kriegen, jedenfalls nicht die meisten. Und es bringt Sie ja aber auch in eine schwierige Situation, denn Sie müssen eigentlich der Union wünschen, dass sie stärker wird als die SPD?

    Bisky: Nein, nein. Also, ich habe da eine klare Meinung. Das sage ich aber öffentlich. Für die PDS als Partei ist es gut, wenn wir Opposition sind – wunderbar. Für die Bevölkerung ist es schlecht, denn die große Koalition hat eine schlechte Politik betrieben. Ich habe mich dieser Tage aus anderem Anlass gerade erinnern müssen an die Zeit, als Regine Hildebrandt noch auf eine rot-rote Koalition gedrängt hat, 1999, da wurde ja auch verhandelt. Da waren andere politische Ziele da. Und vielleicht hätte manches nicht verwirklichen können, aber es wäre ein etwas anderes Land gewesen. Die große Koalition hat viele Großprojekte in die Pleite geführt, hat den Haushalt nicht konsolidiert, der Haushalt ist im freien Fall, hat in der Arbeitslosigkeit zugenommen, hat die Schulen mit verunsichert durch diese Links-Rechts-Zick-Zack-Politik. Die große Koalition hat schlechte Ergebnisse. Folglich muss die große Koalition weg. Das ist die Hauptsache. Das Land braucht wieder eine Entwicklungsperspektive. Und danach kommt die Frage , wer dann mit wem regiert. Und da sage ich, da soll die PDS sich nicht zu schade sein, dann wird sie auch nicht ernst genommen. Wir sind in Brandenburg in vielen Städten, in fast allen Städten außer Brandenburg-Stadt, stärkste Stadtfraktion. Die PDS ist in Brandenburg, im Land, schon eine gestaltende Kraft. Und jetzt werden wir sehen, wohin die Wählerinnen und Wähler uns wählen. Und wir dürfen nicht alles nur vom Parteiinteresse abhängig machen, dass wir sagen: Wir wollen da sauber schon Opposition bleiben – wäre mir am liebsten, hätte ich keine Schwierigkeiten. Nur dann sollten wir den Leuten nicht versprechen, dass wir das Land in eine andere Richtung bringen wollen. Dann sollten wir nicht versprechen, dass wir eine andere Bildungspolitik durchsetzen wollen. Dann sollten wir nicht versprechen, dass wir gegen die Massenarbeitslosigkeit ankämpfen wollen. Dann sollten wir bestimmte soziale Dinge nicht versprechen. Wenn wir das versprechen, sollten wir auch bereit sein, Verantwortung zu übernehmen. Wir werden sehen, wie es kommt.

    Hellmich: Was passiert denn, wenn die PDS stärkste Partei wird im Brandenburgischen Landtag? Werden Sie dann den Ministerpräsidenten stellen wollen?

    Bisky: Das ist eine Frage, mit der habe ich mich tiefsinnig noch nicht beschäftigt. Aber natürlich ist es denkbar, dass die PDS Ministerpräsidenten stellen kann. Aber ob das eintritt, weiß ich nicht. Wenn es eintritt, wird es gut für das Land, auf jeden Fall. Ich bin ja nicht schizophren und sage: Wählt uns nicht so stark, dass wir dann auch regieren müssten. Da müssten wir uns wirklich anstrengen und uns was einfallen lassen. Aber Patentrezepte habe ich dafür nicht, denn mit dieser Möglichkeit haben wir uns seriös noch nicht auseinandergesetzt. Wir müssen aber, seit wir das Europawahl-Ergebnis haben, darüber nachdenken und tun das auch.

    Hellmich: Das verstehe ich jetzt nicht so ganz. Sie haben ja gerade erklärt, dass Ramelow erfolgreich angetreten ist mit der Erklärung, er wolle gerne Ministerpräsident werden. Aber in Brandenburg gibt es niemand, wenngleich die Chancen in Brandenburg sehr viel größer wären, stärkste Partei zu werden als in Thüringen. Also hat man Angst vor der eigenen Courage?

    Bisky: Nein. Es gibt Unterschiede zwischen Thüringen und der Brandenburger PDS. Es gibt eine bestimmte Länderspezifik. Die Brandenburger PDS hat gesagt, dass sie bereit ist, Regierung zu übernehmen, aber sie hat keinen Ministerpräsidentenkandidaten aufgestellt – aus eine Reihe von Gründen. Das muss man jetzt akzeptieren. Und sie hat auch nicht gesagt, wir wollen stärkste Partei sein. Also, diese Differenz gibt es zwischen Thüringen und Brandenburger PDS. In den inhaltlichen Zielen sind wir da identisch, aber in dieser Frage will die Brandenburger PDS ein solches Vorgehen nicht. Jedenfalls hat sie das nicht beschlossen. Und deshalb geht man jetzt mit dem, was man sich als Wahlkampf vorgenommen hat, so in den Wahlkampf, und wir werden sehen, wieviel Ergebnisse zustande kommen. Auf jeden Fall wird die PDS in der Lage sein, die Ergebnisse dann produktiv umzusetzen.

    Hellmich: Wäre das nicht was für Sie: Landesvater in Brandenburg – zumindest im Wahlkampf?

    Bisky: Ich habe gesagt, dass ich noch einmal in die Politik zurückgehe, damit die PDS in den Deutschen Bundestag einzieht, und zwar in Fraktionsstärke im Jahr 2006. Das ist mein Ziel. Wenn ich das schaffe, habe ich wirklich was gekonnt. Und das wird alle meine Kräfte fordern. Weitere Aussagen über meine Entwicklung kann ich nicht mehr machen, denn ich habe alles andere aufgegeben, alle ehrenamtlichen, alle sonstigen Funktionen, alle Dinge, die mir Spaß gemacht haben in meinem Leben, vieles andere mehr. Das ist das Ziel, auf das ich mich konzentriere. Und wenn die PDS dann im Deutschen Bundestag in Fraktionsstärke wieder eingezogen ist, dann kann ich neu nachdenken.

    Hellmich: Andersrum gefragt: Würden Sie denn als stärkste Partei in Brandenburg dennoch in einer Koalition mit der SPD Matthias Platzek als Ministerpräsidenten akzeptieren, oder wäre Ihre Oppositionsrolle festgeschrieben in dem Moment, wo Sie stärkste Partei werden?

    Bisky: Also, mit diesen ewigen : : :

    Hellmich: Von Ihrer Seite.

    Bisky: . . . ja, das ist jetzt meine persönliche Meinung. Also, ich halte nichts von ewigen Festschreibungen, sondern ich würde alles in Brandenburg auf die Frage festlegen: Was kann man sozial verändern? Können wir was für mehr Arbeit tun? Können wir für vernünftige Bildung etwas tun? Können wir etwas mehr tun für die Kommunen? Das ist für mich die entscheidende Frage, nicht, wer da nun welche Posten oder so bekommt. Das wäre für mich zweitrangig.

    Hellmich: Nun ist die Position eines Ministerpräsidenten ja doch schon etwas anderes. Es hat ja eine gewisse Strahlkraft auch in die Bundespolitik hinein, wäre von daher für die PDS sicherlich nicht uninteressant. Sie haben ja auch selber gesagt eben, es wäre ganz gut, wenn die PDS mal irgendwo einen Ministerpräsidenten stellen könnte. Haben Sie denn das Personal dazu? Ich sehe in Berlin, dass es schon schwer fällt, Senatoren und Staatssekretäre zu kriegen.

    Bisky: Also, das Personal haben wir. Wir haben gute junge Leute, und ich setze auch darauf, dass der Erfolg auch neue hochbegabte Menschen zur PDS führt. Es gibt eine Reihe im Umfeld der PDS, die das könnten, die viel könnten, viel mehr jedenfalls, als sie gegenwärtig leisten können. Und am Personal sollte es nicht mangeln. Aber Sie haben mich gefragt, und ich sage: Ich habe ein Ziel, und das ist ganz eindeutig, und darauf konzentriert sich Bisky. Das heißt ja nicht, dass andere was anderes machen. Bisky konzentriert sich ausschließlich auf die Frage: Wie kommen wir in Fraktionsstärke in den Deutschen Bundestag. Und da ist er voll beschäftigt.

    Hellmich: Der Bundestag, ist das die Existenzfrage für die PDS, ob sie 2006 da jetzt reinkommt oder nicht reinkommt? Jedenfalls als sozialistische Partei für die Bundesrepublik?

    Bisky: Ja, ja. Deshalb nehme ich das so ernst, das hat mein Leben noch mal umgestellt. Wenn wir es 2006 nicht schaffen, dann kann es ja sein, dass irgendwelche Umstände uns dann später noch da hinführen, aber es wird dann außerordentlich ernst. Man soll ja nie die Totenglöckchen läuten, aber dann wäre bei mir ein Stück Hoffnung weg. Es war ja schon relativ schwierig, es stand schlecht um die Partei, sie war im Abwärtsgang und wir haben gerade so den Abwärtsgang gestoppt und sind in der Phase der Konsolidierung, wir sind damit nicht fertig und wir brauchen noch den Übergang in eine Aufschwungphase. Und daran ist hart zu arbeiten. Aber wer das leicht nimmt mit dem Einzug in den Deutschen Bundestag im Jahr 22006, der spielt mit der Existenz der PDS. Also ich nehme das sehr ernst. Ich habe deshalb mein Leben umgestellt, weil – das ist keine Nebenaufgabe. Das ist nicht etwas, was man "auch mal so" macht, sondern das ist eine Frage, die über Sein und Nichtsein, jedenfalls auf absehbare Zeit, entscheidet. Und das muss man ernst nehmen. Gibt es eine sozialistische Partei in der Bundesrepublik oder nicht. Und ich möchte, dass es sie gibt. Folglich konzentriere ich alles auf dieses Ziel.

    Hellmich: Und der Spitzenkandidat, wie heißt der? Gregor Gysi oder Lothar Bisky, oder?

    Bisky: Das wird sich herausstellen. Gregor Gysi und ich werden im Jahr 2005 ein Gespräch führen, ob er wieder mitmacht. Ich bin guter Hoffnung, dass er wieder mitmacht. Über Spitzenkandidaten haben wir uns noch nicht verständigt. Ich bin auf der Suche nach Personal, und auf dem großen Personalfonds, den wir haben und den wir noch kriegen werden, werden wir dann sozusagen diese Frage entscheiden. Im Moment geht es mir hauptsächlich um die Inhalte. Die Alternativen zu einer unsozialen Politik, die müssen auf den Tisch, damit wir eine gute Wahlstrategie entwickeln können, mit Inhalten Stimmen gewinnen, damit wir dann auch einen guten Spitzenkandidaten oder eine gute Spitzenkandidatin ins Rennen schicken können und viele weitere gute Kandidaten auch personalisieren, was wir inhaltlich wollen.

    Hellmich: Sie haben bei der Europawahl und bei der Thüringen-Wahl unter anderem wieder profitiert von der niedrigen Wahlbeteiligung. Das ist sicherlich in Ihrem Kalkül nicht schlecht. Aber machen Sie sich nicht auf der anderen Seite Gedanken darüber, dass immer weniger Leute zur Wahl gehen?

    Bisky: Natürlich mache ich mir darüber Gedanken. Das ist kein Ruhmesblatt. Ich fürchte auch keine höhere Wahlbeteiligung. Die geringe Wahlbeteiligung schadet allen Parteien, das ist schon wahr. Allerdings will ich mir das auch nicht kleinreden lassen: Wir haben unsere Wählerschaft wiedergefunden, wir haben sie wieder ansprechen können. Und ich werde unsere Wählerschaft weiterhin ansprechen und versuchen, sie zu gewinnen. Ich werde um sie ringen und um sie kämpfen, damit wir einen Grundfundus haben an Wählerstimmen. Ansonsten – das mache ich so im Wahlkampf, das machen viele von der PDS so – fordern wir immer auf: Geht zur Wahl, auch wenn Ihr uns nicht wählt. Wir brauchen eine höhere Wahlbeteiligung. Die Demokratie darf nicht die Demokratie eines geringen Teils der Bevölkerung werden, das wäre verhängnisvoll für die Bundesrepublik.

    Hellmich: Herr Bisky, wenn die PDS dann 2006 in den Bundestag kommen sollte, sitzen Sie da auf der Oppositionsbank, gemeinsam mit den Grünen und der SPD?

    Bisky: Wenn es so weitergeht, ja. Es sei denn, Rot-Grün verändert die Politik und setzt neue Akzente. Davon ist nichts zu sehen, der Kanzler beharrt ja stur auf seine Agenda 2010. Und wenn da keine Korrekturen stattfinden, werden wir auf der Oppositionsbank sein.