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Über Freundschaft in Zeiten von Facebook

Eine aktuelle Theorie der Freundschaft hat Björn Vedder gerade im Transcipt Verlag veröffentlicht. Sie reicht von Platon bis Popkultur und fragt wie die neuen digitalen Freundschaften funktionieren und ob sie sich irgendwann mal aus der Virtualität lösen müssen.

Björn Vedder im Corsogespräch mit Ulrich Biermann | 29.03.2017
    Anzeige Button mit der typischen Facebook Freundschaftsanfrage auf einem Smartphone.
    Anzeige-Button mit der typischen Facebook Freundschaftsanfrage auf einem Smartphone. (imago / imagebroker)
    Ulrich Biermann: Und jetzt: Liken bitte, sonst löschen: Freundschaft Von Sokrates bis George Clooney, von Proust bis Facebook. Eine Theorie der Freundschaft hat Björn Vedder gerade im Transcipt Verlag veröffentlicht - von Platon bis Pop. "Neue Freunde - Über Freundschaft in Zeiten von Facebook". Wer sind denn die neuen Freunde, Björn Vedder?
    Björn Vedder: Ja ich würde sagen, das sind die Freundschaften, die wir auf Facebook führen und pflegen, weil damit einerseits damit was neues in die Freundschaftskultur gekommen ist, aber andererseits auch was deutlich wird, was ganz kennzeichnend für Freundschaften überhaupt heute ist: Nämlich, dass Freundschaften heute vor allen Dingen auf Anerkennung beruhen und Beziehungen sind, in denen wir uns gegenseitig versichern, um unser selbst willen liebenswert zu sein.
    Biermann: Willkommen zum Corsogespräch, Björn Vedder, Literaturwissenschaftler, promoviert, tätig als Publizist und Kurator. Aber diese gegenseitige Versicherung, ist das nicht nur Bespiegelung? Mann, was sind wir gut?
    Vedder: Ja. Das kann tatsächlich passieren. Aber das ist dann natürlich eine frustrierende Angelegenheit. Also wenn ich jetzt Ihnen nur sage, dass Sie, so wie Sie sind, super sind und Sie sagen mir, dass ich so, wie ich bin, super bin, dann...
    Biermann: ...können wir auch aufhören.
    Vedder: Dann können wir auch aufhören. Weil ich dann gar nicht wissen kann, meinen Sie wirklich mich oder meinen Sie nur die mir Ihnen entgegengebrachte Bestätigung. Und deswegen glaube ich, müssen Freunde überlegen, wie sie aus sich selbst jemanden machen, der tatsächlich liebenswert ist für den anderen.
    Biermann: Also ist das in der virtuellen Welt genauso wie in der realen.
    Vedder: Ich glaube ja. Und das ist das Spannende an Freundschaften in virtuellen Netzwerken, weil wir da wirklich diese Verankerung der Freundschaft, der gegenseitigen Wertschätzung 'in nuce' sehen können.
    "Eine virtuelle Beziehung allein reicht nicht aus"
    Biermann: Aber wie kann das funktionieren? Freundschaft heißt ja auch Intimität. Ich will ja nicht, dass alles öffentlich ist, was ich meinem Freund erzähle.
    Vedder: Ja das stimmt schon. Ich meine, ich kann ja zum Beispiel auf Facebook einstellen, wer was liest und wer was sieht, was ich mache. Aber ich glaube darüber hinaus, dass eben eine rein virtuelle Beziehung gar nicht ausreichen kann für eine wirklich feste Intimität, weil dabei der körperliche Kontakt und die körperliche Intimität fehlt, die doch dazu führen kann, dass ich den anderen wirklich erst begreife. Es gibt da ein schönes Beispiel: die Berühmte Freundschaft von Gottfried Benn und Friedrich Wilhelm Oelze, einem Kaufmann aus Bremen, der mit Benn zusammen viele Werke geschrieben hat, also etwa das "Weinhaus Wolf". Und die beiden haben sich lebenslang Briefe geschrieben. Und Oelze sagt, also eigentlich wie in der Romantik, 'das ist so toll, das wir uns so gut verstehen und ich kann in deine Gedanken eintauchen und du in meine'. Aber trotzdem merken die beiden, dass, weil sie sich eben nur schreiben, nur kommunikativ zusammen sind, die gewisse Fremdheit bleibt.
    Biermann: Sie schreiben andererseits, es gibt Freundschaftsmodelle - ich komme durch die Romantik drauf - die sich heute überlebt haben. Welche wären das?
    Vedder: Das wären etwa die Freundschaft in der Not, also die Freundschaft als eine private Institution der Nothilfe, in der es darum geht, dass wir uns einander helfen. Und das wäre auch die Kameradschaft, weil das beides Konzepte sind, die aus anderen Kontexten kommen, die auch andere Ziele verfolgen. Die aber gleichwohl - das sieht man heute etwa an Umfragen zu dem Thema - sich schon soweit verändert haben, dass auch da immer schon der Gedanke der persönlichen Anerkennung eine wichtige Rolle spielt, der Wertschätzung. Und das führt etwa in der Freundschaft in der Not dazu, dass das Problem der Heuchelei entsteht, was schon viel diskutiert worden ist. Und in der Kameradschaft dazu, dass die Kameradschaft, die eigentlich eine Beziehung ist, die auf Politik aus ist, entpolitisiert wird und als persönliche, aber politisch leere Beziehung dann nicht mehr haltbar ist.
    Wunsch nach Anerkennung
    Biermann: Sind denn heutige Freundschaften bei Facebook politisch?
    Vedder: Ich würde sagen, die Freundschaft an sich nicht. Aber wir können schon sehen, dass es auf Facebook selber jetzt auch einen Trend zum Politisieren gibt, dass also da Politik eine immer größere Rolle spielt. Und das ist ein Problem, weil Freundschaften an sich auf dem Prinzip der Wertschätzung und Anerkennung beruhen und mit der Politik dann in ein anderes Thema reinkommen, wo es um allgemeine Interessen geht. Die aber - das sieht man auf dem Post etwa auf Facebook - mit dem Wunsch nach Anerkennung verknüpft werden. Und das führt zuweilen zu einer recht unangenehmen Mischung, wie man an den vielen Hasskommentaren und Pöbeleien auf Facebook sehen kann.
    Biermann: Dagegen schreiben Sie, Facebook ist ein ideales Medium für die Anerkennung.
    Vedder: Ja. Wenn ich Facebook als ein privates Medium des Austausches begreife, dann kann ich dort mich auf sehr einfache Weise der Anerkennung anderer versichern, und zwar auf einer ganz bestimmten Art und Weise, nämlich einer, wenn auch nicht sehr tief gehenden, eher oberflächlichen aber doch sehr vielzähligen, also quantitativ sehr großen Anerkennung. Und es gibt Studien über den Wunsch nach Anerkennung bei uns Menschen, die zeigen, dass wir genau diese beiden Strategien verfolgen: Also einerseits von möglichst vielen Menschen, möglichst häufig, wenn auch nicht sehr tief anerkannt werden und andererseits von weniger Menschen tiefer, aber dafür nicht so häufig anerkannt zu werden. Und Facebook ist für dieses erste Modell der Anerkennung ein ideales Medium, das würde ich sagen, ja.
    Freundschaftliche "Idealisierung"
    Biermann: Aber wir müssen es aus der Virtualität in die Realität hineinheben. Warum spielen Sinatra und die Ärzte bei Ihnen eine so große Rolle?
    Vedder: Weil ich glaube, dass in der Popkultur, in Filmen und Liedern, ein guter Spiegel dafür zu finden ist und gute Beispiele dafür zu finden sind, was Freundschaften heute bedeuten - was wir in ihnen suchen, was wir von ihnen erwarten - weil wir darüber sehen können, was Menschen heute über Freundschaft denken und was sie davon möchten.
    Biermann: Steckt da nicht auch unheimlich viel Sehnsucht drin? Wenn wir nun Frankie und seine Spießgesellen sehen oder Oceans Eleven, George Clooney und die Mannschaft und Frauschaft drum herum, dass wir denken: Solche Freunde hätte ich auch gerne.
    Vedder: Naja. Ich glaube, es ist vor allen Dingen ein tolles Beispiel dafür, dass es in Freundschaften auch immer darum geht, den anderen ein stückweit zu 'idealisieren'. Ihn ein bisschen größer und schöner zu machen, als er eigentlich ist und ihm die Möglichkeit zu geben, tolle Auftritte zu haben. Das sehen Sie etwa also an Frankie und seinen Spießgesellen, diesem Sinatra-Film, der dann als Oceans Eleven neu verfilmt worden ist, toll. Der fängt dann damit an, dass erstmal Sammy Davis Jr., der also einen Müllwagenfahrer spielt am Anfang in der Halle, wo sich die Mülllaster sammeln, auf die Container steigt, steppt und singt und tanzt. Und das ist für den Film selber gar nicht wichtig. Die Szene gibt es nur, weil der das so gut kann. Deswegen hat man ihm die gegeben. Und ich glaube, das ist ein schönes Beispiel für Freundschaften, weil es darum geht, sich gegenseitig ein bisschen größer und schöner darzustellen und anzuerkennen, als man eigentlich ist. Das tolle ist aber, andersherum, nach und nach wird man es dann auch.
    Cover des Buches "Neue Freunde" von Björn Vedder.
    Cover des Buches "Neue Freunde" von Björn Vedder. (transcript Verlag)
    Biermann: Also es geht nicht immer darum, dass was bei rumkommt.
    Vedder: Nein. Es geht darum, miteinander zu spielen und im gemeinsamen Spielen sich gut zu fühlen.
    Biermann: Björn Vedder, danke Ihnen für das Gespräch.
    Vedder: Ja ich danke Ihnen, vielen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Björn Vedder: "Neue Freunde - Über Freundschaft in Zeiten von Facebook"
    transcript Verlag Bielefeld 2017. 200 Seiten, 20,99 Euro.