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Bitte tief Luft holen!

Mikrobiologie. – Stadtluft steht nicht im Ruf gesund zu sein. Dass dazu nicht nur Abgase und Staub beitragen, haben jetzt US-Mikrobiologen nachgewiesen. Sie fanden heraus, dass die Stadtluft ein beinahe genauso vielfältiges Bakterienbiotop ist wie der notorisch mikrobenreiche Erdboden.

Von Volker Mrasek |
    Vorsicht! Wer schnell Ekel empfindet. Wer von sich weiß, dass er überempfindlich reagiert - der sollte jetzt nicht weiterhören! Lieber die Ohren zuhalten, wenn Gary Andersen erzählt, was die Luft so alles enthält, die wir tagtäglich einatmen:

    "”Da waren Bakterien, die im Mund- und Rachenraum von Menschen vorkommen. Andere ähnelten Organismen, die man aus heißen Tiefseequellen kennt. Wir hatten Bakterien aus dem Faulschlamm von Kläranlagen in unseren Luftproben und sogar eine Gruppe, auf die man vorher nur im Arktischen Ozean gestoßen war. Das heißt nicht, dass sie von dort stammt, sondern eher, dass es sich um eine verwandte Gattung handelt, die auch in der Luft herumschwirrt.”"

    Andersen ist Mikrobiologe. Gemeinsam mit Kollegen vom Staatlichen Lawrence-Berkeley-Labor in Kalifornien sammelte er wochenlang Luftproben in den beiden texanischen Großstädten Austin und San Antonio. Um zu sehen, welche Bakterien-Typen Stadtluft enthält - sei es in aktiver Form oder als Sporen. Am Ende zählten die Biologen über 1800 verschiedene Bakterien-Gruppen. Andersen:

    "Wir waren selbst ziemlich überrascht und haben unsere Zahlen mit denen von Böden verglichen. Sie gelten ja als besonders organismenreich. Und da ist praktisch kein Unterschied. Also auch in der Luft, die wir atmen, wimmelt es nur so von Bakterien."

    Dass sie die mikrobielle Anwesenheitsliste erweitern würden - damit hatten die Kalifornier schon gerechnet. Ihre Studie war nämlich von vorneherein angelegt als bisher detaillierteste Volkszählung unter den unsichtbaren Bewohnern der Außenluft. Andersen:

    "”Bei allen vorhergehenden Studien dieser Art hat man die Bakterien kultiviert. Das bedeutet: Man legt eine Nährkultur in einer Petrischale an, schaut dann, welche Organismen heranwachsen und identifiziert sie. Es ist aber bekannt, dass sich überhaupt nur ein Bruchteil der Bakterien aus der Außenluft im Labor kultivieren lässt. Die Mehrzahl rutscht einem dabei glatt durch.""

    Andersen und seine Kollegen gingen anders vor. Sie entwickelten eine winzige Gen-Sonde, nicht größer als ein Daumennagel und dotiert mit 500.000 verschiedenen Abschnitten aus dem Erbgut bekannter Bakterien. Aus ihren Luftproben filterten die Forscher das enthaltene mikrobielle Material heraus und prüften dann, zu welchen Erbgut-Schnipseln auf der Gen-Sonde es jeweils passt. Jede Bakterien-Gattung hat da gewissermaßen ihren eigenen Strichcode, durch den sie sich verrät. Am häufigsten waren am Ende die Fingerabdrücke vertrauter Mikroben. Mehr als ein Drittel stammte von Vertretern der Gattung Bacillus. Auch andere bekannte Krankheitserreger tummelten sich in der Stadtluft, so etwa die Magen-Darm-Bakterien Helicobacter, Camphylobacter und Arcobacter. Wobei Gary Andersen die ängstlichen Gemüter unter uns dann doch wieder ein wenig beruhigt:

    "”Wenn die Luft, die wir atmen, Krankheitskeime enthält, heißt das noch nicht, dass auch genügend davon vorhanden sind, um Krankheiten auszulösen. Normalerweise wird unser Immunsystem mit solchen Mengen fertig. Andererseits gibt es Hinweise, dass die Zahl von Asthmafällen bei Kindern steigt, wenn die Luft besonders staubreich ist. Das deutet auf Mikroorganismen im Schwebstaub hin, die hinter der Infektion des Atemtraktes stecken könnten.""

    Insofern ist es schon von gesundheitlicher Relevanz, was da so alles durch den urbanen Raum segelt. Austin und San Antonio haben die Forscher nur aus praktischen Erwägungen ausgewählt. Auch in anderen Städten, glauben sie, wimmele es sicher von den unterschiedlichsten Mikroben. Inzwischen steckt sogar ein ganz Großer der US-Wissenschaftsszene seine Nase in die Stadtluft: Der Genomforscher Craig Venter untersucht derzeit, welche Bakterien die Straßenfluchten von New York City bevölkern. Auch Venter geht es um die Frage, ob in der Metropole möglicherweise etwas Gesundheitsschädliches in der Luft liegt.