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"Bitter für die SPD und bitter für Kurt Beck"

Ralf Stegner, SPD-Vorsitzender in Schleswig-Holstein, hat den überraschenden Rücktritt von Parteichef Kurt Beck bedauert. Dieser habe weit mehr für die SPD geleistet, als in der Öffentlichkeit wahrgenommen worden sei. Er hoffe jedoch, dass die Partei aus diesem Schock lerne und das Gesamtwohl der Sozialdemokraten wieder mehr in den Mittelpunkt stelle.

Ralf Stegner im Gespräch mit Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Den gestrigen Sonntag werden nicht nur Sozialdemokraten so schnell nicht vergessen. Sie werden ihn aber kaum als einen Tag der Freude in Erinnerung behalten. Es war Chaostag am Schwielowsee, wo ein Kanzlerkandidat ausgerufen wurde, ein Parteichef abhanden kam und ein ehemaliger Parteichef aus der Versenkung geholt wurde.
    Am Telefon begrüße ich Ralf Stegner, den SPD-Landes- und -Fraktionschef in Schleswig-Holstein. Guten Morgen, Herr Stegner.

    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Spengler.

    Spengler: Kurt Beck ist zutiefst verbittert aus dem Amt geschieden. Verstehen Sie seinen Schritt?

    Stegner: Das kann ich gut verstehen, obwohl ich sagen muss, dass das natürlich bitter ist - bitter für die SPD und bitter für Kurt Beck -, denn er hat sehr viel mehr für die SPD geleistet als öffentlich wahrgenommen worden ist. Er hat uns zusammengeführt auf dem Hamburger Parteitag nach einer sehr schwierigen Zeit und er hat dieses Ausmaß an Häme und den Umgang mit ihm in der Öffentlichkeit in gar keiner Weise verdient. Deswegen war das gestern kein schöner Tag für die SPD, aber ich kann verstehen, wenn der Vorsitzende sagt, das Maß an Solidarität und Loyalität, was ich brauche, um auch die Partei zu führen, das war nicht mehr überall vorhanden, dass er dann diesen Schritt geht, zumal Kurt Beck, glaube ich, vielleicht auch ein wenig sensibler ist als andere, die solche Dinge dann sehr kühl betrachten. Auch Politik wird von Menschen betrieben.

    Spengler: Herr Stegner, wenn Sie sagen, es ist bitter für die SPD, heißt das, dass die SPD ohne Beck als SPD-Chef schwächer ist als mit ihm?

    Stegner: Ich hätte mir gewünscht, dass Kurt Beck Vorsitzender geblieben wäre. Ich habe ihn immer unterstützt.

    Spengler: Sie sind nicht froh, dass das Drama um den doch sehr schwachen SPD-Chef jetzt beendet ist?

    Stegner: Aber ich glaube, das könnte auch ein heilsamer Schock für uns werden und insofern hat es ja keinen Sinn, rückwärts zu gucken, denn wir machen Politik ja nicht für uns selbst, sondern für die Menschen, und weil wir was bewegen wollen, weil wir wollen, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Aufstieg durch Bildung und all diese Dinge wollen wir ja voranbringen und das geht nur mit einer Partei, die sowohl inhaltlich geschlossen ist als auch die Führungskräfte Geschlossenheit nach außen und nach innen zeigen. Da mag das ein heilsamer Schock sein, dass vielleicht der eine oder andere in Zukunft ein bisschen mehr an das Gesamtwohl der Partei als an sich selbst denkt. Vielleicht hat ja insofern dieser sehr unerfreuliche Sonntag dann doch noch was Gutes, zumal wir ja mit Frank-Walter Steinmeier jemand aufgestellt haben, der mit Sicherheit ein besserer Kanzler ist als wir den mit Frau Merkel da momentan zu sitzen haben, und ich hoffe, dass durch die Partei jetzt auch ein Stück ein Ruck geht, der sagt, nun lasst uns die Inhalte, die ja gut sind und die die Mehrheit der Bevölkerung bestimmt auch teilen, nach vorne tragen - übrigens auch mit der Vielfalt, die die SPD hat. Die SPD ist keine Kommandopartei und sehnt sich nicht danach zurück, dass da irgendeiner "Basta" sagt.

    Spengler: Bleibt denn nicht negativ an Steinmeier hängen, dass er es war, der diesen Putsch sozusagen eingeleitet hat?

    Stegner: Ich halte nicht viel von dieser Suche. Ich bin auch kein Detektiv. Ich war gestern traurig darüber, wie sich das entwickelt hat. Es hat nun keinen Sinn, dem nachzugehen, sondern es hat viel Sinn zu sagen, alle müssen jetzt zusammenarbeiten. Das gilt für den neuen Kanzlerkandidaten. Den werde ich auch mit aller Kraft unterstützen. Und das gilt für die Parteiführung und auch für einen neuen Parteivorsitzenden, dass wir auf der Basis der Hamburger Beschlüsse - und zwar ohne nach rechts oder nach links davon abzuweichen - nach vorne gehen und der Bevölkerung zeigen, dass eine starke Sozialdemokratie in diesem Land gebraucht wird, um dafür zu sorgen, dass die meisten Menschen nicht auf der Strecke bleiben und Aufschwung für alle stattfindet, nicht nur für wenige.

    Spengler: Herr Stegner, wir sagen ja auch bei anderer Gelegenheit, dass Zukunft nur der hat, der auch seine Vergangenheit bewältigt. Deswegen noch ein kleiner Blick zurück. Hat Frank-Walter Steinmeier den Kurt Beck um die Gelegenheit gebracht, die Kanzlerkandidatenkür als seine souveräne Entscheidung darzustellen, also zu zeigen, dass er, Beck, die Kraft zum Verzicht hat und nicht umgekehrt, dass er verzichtet, weil er keine Kraft mehr hat, und war das der Grund für den Rücktritt, weil man rätselt ja immer noch ein bisschen, was ihn bewogen hat?

    Stegner: Ich kann das im Detail nicht sagen. Ich habe die Erklärung von Kurt Beck gehört und auch gelesen und er hat dazu das gesagt, was zu sagen war. Jetzt heißt es aus meiner Sicht, einerseits auch mit Dankbarkeit zu sehen, was Kurt Beck geleistet hat, und zu sehen, dass wir das Maß an Geschlossenheit, was wir nicht hatten in der Vergangenheit, wieder gewinnen, denn ich muss sagen, die letzten Wochen waren kein Ruhmesblatt für die SPD. Man konnte ja meinen, als ob unsere Konkurrenz besser sei, ob das das Theater von Herrn Clement oder ob das jetzt Rufe waren, nach links abzuweichen. Das nützt uns alles nichts. Wir müssen sehen, dass wir als linke Volkspartei mit dem, was wir in Hamburg beschlossen haben, die Reformen voranbringen, ohne die Deutschland nicht vorankommt und die vor allen Dingen eben auch Gerechtigkeit als Maßstab und Kompass haben. Sonst hat die SPD keine Zukunft.

    Spengler: Sie haben ja gerade die Geschlossenheit angemahnt. Sie hätten ja nun gestern dafür sorgen können, dass das alles ganz geschlossen war. Aber Sie waren der einzige neben Andrea Ypsilanti, die nicht für Franz Müntefering gestimmt haben. Was mögen Sie denn an Franz Müntefering nicht?

    Stegner: Das war in gar keiner Weise ein Votum gegen Franz Müntefering. Ich habe mich enthalten, weil man kann nicht am Morgen sozusagen ganz plötzlich den Parteivorsitzenden verlieren und dann rucki zucki sozusagen stimmt man für den nächsten - und das in einer Situation (wir haben Landesparteitag am kommenden Wochenende), wo die Partei ja dann die Möglichkeit hat, diese überraschenden Führungsentscheidungen nachzuvollziehen. Wir werden Franz Müntefering auch unterstützen und Franz Müntefering ist nicht nur ein erfahrener Politiker, außerordentlich beliebt und SPD pur, sondern er hat jetzt auch eine große Herausforderung zu bewältigen. Aber ich bitte schon um Verständnis, dass man nun nicht den Parteivorsitzenden mit großer Loyalität unterstützt, dann sagt er, er tritt zurück, weil es an dieser Solidarität mangelt, und dann geht man einfach zur Tagesordnung über. Also es hat weniger was mit Franz Müntefering zu tun als damit, dass ich finde, alles zu seiner Zeit. Der schleswig-holsteinische Landesverband jedenfalls und ich selbst werden dem neuen Vorsitzenden, wenn er dann gewählt ist, die gleiche Loyalität und Solidarität entgegenbringen wie Kurt Beck.

    Spengler: Diese Enthaltung heißt also, Sie hätten einfach nur gerne ein bisschen Bedenkzeit gehabt?

    Stegner: Ja. Ich verstehe ja auch, dass die Parteigremien sich entscheiden müssen, damit das nicht wirkt, als seien wir führungslos. Aber ex und hopp, damit tue ich mich ein bisschen schwer. Ich sage noch mal: Franz Müntefering war ganz oft bei uns in Schleswig-Holstein, ist sehr beliebt und er ist ein toller Wahlkämpfer. Den können wir gut brauchen. Aber Kurt Beck hat nicht nur seine Verdienste, sondern hat mehr für die SPD geleistet, als manch einer vielleicht heute schon weiß. Das wird sich sicher noch zeigen.

    Spengler: Ein schlechter Tag für Arbeitnehmer und Rentner. Steinmeier steht für die Agenda 2010, Müntefering für die Rente mit 67. Stimmen Sie dieser Analyse zu?

    Stegner: Nein, überhaupt nicht. Die Sozialreformen von rot/grün waren notwendig und richtig und auch nur die SPD hätte das bewerkstelligen können. Aber richtig ist eben auch, dass wir auch ein paar soziale Unwuchten auf dem Parteitag in Hamburg korrigiert haben und dass wir natürlich sehen müssen, dass Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht. Wenn Sie etwa die Rente mit 67 nehmen: natürlich muss länger gearbeitet werden, aber wir müssen auch dafür sorgen, dass Menschen, die körperlich hart gearbeitet haben und nicht mehr können, nicht ins Nichts fallen und dass sie einen ordentlichen Lebensstandard behalten und dass auch 55jährige Männer und Frauen noch eine faire Chance auf dem Arbeitsmarkt haben. Sonst ist das eine Rentenkürzung. Das eine muss man tun und gleichzeitig dafür sorgen, dass die Menschen merken, die SPD steht für Gerechtigkeit, denn nur dann werden wir gewählt. Das ist unser Markenkern immer gewesen und deswegen Innovation und Reformen ja, aber eben immer auch verbunden mit Gerechtigkeit.

    Spengler: Fürchten Sie denn jetzt, dass die kleine Linkswende unter Beck wieder rückgängig gemacht werden könnte?

    Stegner: Wir sind eine demokratische Partei und bei uns entscheiden 90 Prozent, was geschieht, und nicht die 10 Prozent, die unterliegen. Und die Beschlüsse gelten für alle. Sie gelten für den neuen Kanzlerkandidaten, sie gelten für den neuen Parteivorsitzenden und für die Parteiführung, der ich auch angehöre. Und auch der Beschluss, dass die Landesverbände entscheiden, was richtig ist bezogen auf Regierungsbildungen in ihren Ländern, ist einstimmig gefällt worden im Präsidium mit der Stimme von Frank-Walter Steinmeier und auch im Vorstand. Also insofern sind wir keine Kommandopartei, sondern wir beschließen gemeinsam den inhaltlichen Kurs. Wenn wir den geschlossen nach außen vertreten, dann können die sich warm anziehen, die in nicht so gutem Zustand sind. Ich weise nur auf die CSU hin und auch Frau Merkel hat ja noch nicht besonders viel Führung gezeigt.

    Spengler: Herr Stegner, klare Kannte verspricht Müntefering. Was heißt klare Kannte in Hessen?

    Stegner: Klare Kannte in Hessen heißt, dass die hessischen Parteifreunde sehen, wie sie mit dem Votum ihrer eigenen Landespartei zu einer stabilen Regierungsbildung kommen. Was ich manchmal vermisse ist, wenn man auf Hessen guckt, dass immer nur die Glaubwürdigkeitsfrage an Frau Ypsilanti gerichtet wird. Aber Herr Koch, der nicht nur einen miesen Anti-Ausländer-Wahlkampf geführt hat, sondern die Grünen beschimpft und bekämpft hat und jetzt plötzlich zum Fan mutiert, der verschwindet aus der Betrachtung. Wir sollten aber daraus lernen, dass wir vor Wahlen nicht immer erklären, mit wem wir alles nicht zusammenarbeiten wollen, sondern für unsere Inhalte werben und in einer Demokratie entscheidet dann die Bevölkerung, was geschieht. Und die SPD definiert sich nicht über andere Parteien, sondern wir versuchen, möglichst viel Sozialdemokratie durchzusetzen, egal in welcher Koalition oder Zusammenarbeit egal mit wem. Man muss mit allen demokratischen Parteien reden, außer mit Nazis natürlich.

    Spengler: Ralf Stegner, der SPD-Vorsitzende in Schleswig-Holstein. Danke für das Gespräch, Herr Stegner.

    Stegner: Gerne.