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Blair, Schröder, Clinton: Modernes Regieren ist das Ziel

Engels: Bundeskanzler Gerhard Schröder reist heute nach Stockholm. Dort trifft er sich mit dem britischen Premier Tony Blair und dem ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton. Doch die Politgrößen beleuchten keine internationalen Konflikte, sondern ihr eigenes Regierungshandeln. Sogenanntes modernes Regieren ist das Ziel, progressive governments auf Englisch. Die Stockholmer Konferenz ist bereits die dritte ihrer Art, doch was verbirgt sich dahinter? Das wollen wir klären mit Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität München, der sich mit diesen Konferenzen und modernem Regieren beschäftigt hat. Herr Korte, was sollen denn solche Konferenzen, wo kommt denn diese überhaupt her?

    Korte: Der Hintergrund ist etwas gemeinsames, was man vor zwei drei Jahren noch mit dritter Weg benannt hat. Ein Weg, den die Sozialdemokratie in Europa beschreiten wollte, zwischen einem bevormundenden Sozialstaat und der freien Marktwirtschaft. Das war eigentlich die ideologische Ummäntelung. Im Kern ging es aber darum, das Primat der Politik zu stärken. In Zeiten der Globalisierung zu sagen, dass eine Rolle der Politik gesucht wird jenseits des Marktes. Das ist der Hintergrund, das man eben Regieren so definiert, dass man weitere, neue Handlungskorridore für sich erschließt. Der zweite Punkt war zu sagen, es gibt ein neues Wählermilieu, wie können wir diese neuen Mitten, wie das in Deutschland genannt wurde zu der Zeit, erreichen. Wie können wir also unser Wählerpotential ausweiten. Und der dritte Punkt, das sind Versatzstücke aus der Gesellschaftstheorie, vielfach Pragmatismus, um den europäischen Wohlfahrtsstaat zu reformieren. Aber jeder ist einen ganz anderen Weg auf dieser Strecke der dritten Wege, das muss man also eigentlich im Plural formulieren, gegangen.

    Engels: Sie sprechen von der Schaffung von Handlungskorridoren. Kann man nicht auch sagen, dass ist im Moment die Suche nach der besten Wahlkampfstrategie, und was bietet sich da an?

    Korte: Ja, das ist im Grunde eine ideologische Ummäntelung. Im Kern geht es darum, an der Macht zu bleiben, um durchaus dann sozialdemokratisch und reformorientiert Politik zu machen. Aber diese Macht für diese Politik stellt sich doch vielfach als ein Versuch dar, präsidentiell zu regieren in parlamentarischen Systemen, das ist das Interessante. Der Kanzler, der Premier stilisiert sich sehr stark durch so genannte Telepolitik, das ist ein entscheidendes Element. Das heißt, hier wird das Management von Öffentlichkeiten gesucht und in den Mittelpunkt gestellt. Hier wird versucht, über Stimmungen eben auch Stimmen einzufangen, und medienadressierte Personalisierung, also extreme Zuspitzung, führt auch dazu, dass man im Grunde traditionelle parlamentarische Parteiendemokratie aushebelt. Dass man sich im Grunde auch als Anführer einer Partei darstellt, die aber durchaus noch durch Gremien, durch Mitglieder, durch Delegiertensystem charakterisiert ist, was man aber durch eine eigene Stilisierung über das Fernsehen weitgehend außer Kraft setzt.

    Engels: Es geht darum, die eigene Macht auszubauen. Eine Zeitlang hat das ja zumindest vom medialen bei Bundeskanzler Schröder gut geklappt, doch in letzter Zeit häufen sich wieder die Pannen. Kann er sich da möglicherweise von Tony Blair etwas abschauen?

    Korte: Es ist fast so eine Art Chefsachenmythos, den Tony Blair kreiert hat. Der politische Anführer vereint dann eben durch seinen Stil, weniger durch programmatische Integrationsformeln. Das hat Blair fast schon idealtypisch vorgemacht, und er hat vor allem das wichtigste vorgemacht, nämlich wiedergewählt zu werden. Es sah ein halbes Jahr vor der Wahl in Großbritannien gar nicht so aus, da haben die Wähler erkannt, dass es nicht nur Marktinszenierung sein darf, sondern es muss auch faktisch etwas dabei herauskommen. Und das hat Blair den Wählern versucht klar zu machen, dass diese Politik durchaus für das Portemonnaie des Bürgers einiges gebracht hat; und er hat die Hoffnung geradezu inszeniert , dass er vieles Gutes gesät hat, aber er noch eine Legislaturperiode mindestens haben möchte, um ernten zu können. Also auch diese politische Rhetorik kann Schröder mit Sicherheit bei Blair abgucken. Aber die Wahlkampfmaschinerie, die Aufstellung der Mannschaft, die Sprache, vor allen Dingen die Beobachtung der Wählermärkte, die sehr komplex geworden sind, tagespolitisches Kanzlertum, all das hat Schröder bei Blair abgeguckt. Und das ist jetzt auch der Fall: grenzenloser Pragmatismus, Ausrichtung an Stimmungen, das charakterisiert beide gleichermaßen.

    Engels: Nun bietet Schröder ja gerade heute wieder ein Beispiel, der Kanzler hat auch den Streit um Bernhard Jagoda und die Statistiken der Arbeitsämter zur Chefsache erklärt. Blicken wir aber auch ein mal auf die Konsensrunden, für die Schröder bekannt geworden ist. Ist denn da nicht auch das Problem, dass dabei zu wenig herausgekommen ist, dass ihm das genau jetzt in der Frage der Arbeitslosigkeit entgegensteht?

    Korte: Ja, es ist ein anderes Mittel zu sagen, ich trete als Umarmungskünstler auf, ich versuche, den Konsens der Mächtigen zu organisieren. Das trifft zunächst auf große Zustimmung, im Stil des alten Korporatismus Gruppeninteressen an den Tisch zu bringen, um sich dann selbst an die Spitze der Interessen zu stellen. Doch Konsens war für diesen Kanzler zur Zeit eher der Konsens derjenigen, die auch an dem Tisch sitzen, aber viele sitzen gar nicht mit am Tisch. Und das merken die Bürger durchaus, dass hier Gruppeninteressen sich durchsetzen, dass hier Koalitionen geschmiedet werden von Großinteressen, die aber an den Bedürfnissen der Bürger vorbei gehen, sie nicht richtig erreichen. Und da sind durchaus Grenzen eines solchen Konsensmodells zu sehen, dass der Entscheider, der eigentlich im Mittelpunkt steht, eben nicht entscheidet, sondern versucht, sich pragmatisch durchzulavieren, ohne dass es den Bürger am Ende konkret erreicht.