Archiv


Blaue Blitze aus dem Kosmos

Astronomie. - In Namibia wurde heute das Gamma-Experiment HESS eingeweiht - ein Verbund von vier Teleskopen, die das Weltall im Bereich der energiereichen Gamma-Strahlung untersuchen. An HESS sind mehr als 70 Wissenschaftler aus acht Ländern beteiligt. Federführend ist das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, das gemeinsam mit dem Bundesforschungsministerium drei Viertel der knapp 8 Millionen Euro Projektkosten aufgebracht hat.

    Von Dirk Lorenzen

    Wir schauen in einem Energiebereich, der liegt bei noch höheren Energien als die meisten Satellitenexperimente. Will man das vergleichen mit der Energie optischer Strahlung, so ist man ungefähr eine Billion mal höher. Also das einzelne Lichtteilchen, hat eine Billion mal mehr Energie als ein optisches Photon...

    ...erklärt Michael Panter vom Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg, der an HESS arbeitet, am "Hoch-Energie-Stereoskopie-System". Gammastrahlung ist das energiereichste Licht, das uns aus den Tiefen des Kosmos erreicht - und für die Astronomen schwer zu fassen, denn sie wird von der Erdatmosphäre verschluckt. Trotzdem steht das neue Teleskop in Namibia auf dem Erdboden - das klingt absurd. Doch Michael Panter und sein Team bedienen sich eines Tricks, um Gammastrahlung zu beobachten, obwohl die Lichtteilchen die Erdatmosphäre nicht durchdringen:

    Aber sie reagieren mit den Atomen der Luftmoleküle. Und bei dieser Reaktion entstehen meistens Elektron-Positron-Paare, also Elementarteilchenpaare, die dann wieder durch weitere Reaktionen niederenergetische Gammas auslösen, und es bildet sich eine Kaskade in der Atmosphäre, auf die sich dann die Energie des Primärteilchens verteilt. Die geladenen Teilchen dieser Kaskade senden Tscherenkow-Strahlung aus. Das ist ein spezielles Licht, das kann man vergleichen mit einem Überschallknall im Akustischen.

    Schlägt ein Gammateilchen in der Atmosphäre ein, löst es wie in einer Art Schnellballsystem einen Schauer von etwa tausend anderen Teilchen aus. Diese Teilchen bewegen sich extrem schnell und geben dabei - das ist der Clou! - sichtbares Licht ab. Ein einschlagendes Gammateilchen führt also zu schwachen blauen Blitzen in etwa zehn Kilometern Höhe.

    Im Teleskop sieht man dann ganz einfach gesprochen eine leuchtende Neonröhre in der Atmosphäre. Der Trick bei unseren Experiment, der die Auflösung der Richtung noch verbessern soll, ist, dass wir Stereoskopie anwenden. Das heißt, wir haben vier Teleskope im letztendlichen Ausbau und werden dann so eine einzelne Leuchterscheinung in der Atmosphäre von vier unabhängigen Detektoren aus verschiedenen Blickwinkeln registrieren und damit denkt man eben, dass man eine sehr gute Richtungsauflösung haben und damit auch eine bessere Energieauflösung.

    Die HESS-Teleskope sind wetterfest gebaut und stehen einfach im Freien. Sie haben jeweils zwölf Meter Durchmesser und bestehen aus 380 runden Einzelspiegeln. Sie stehen auf einer abgelegenen Farm in Namibia - fernab jeder Luftverschmutzung und jedes Kunstlichts. Die Forscher brauchen perfekte Dunkelheit - schon Mondlicht überstrahlt das blaue Blitzen aus dem All. Jetzt ist das erste Teleskop betriebsbereit, bis 2004 folgen die restlichen drei. Dann werden die Astronomen erfahren, woher die Gamma-Strahlung kommt und wie viel Energie sie wirklich hat. Denn bis heute gibt es mehr Fragen als Antworten...

    Man weiß, es gibt diese Gammaquanten, es gibt theoretische Modelle über die ganz extremen Situationen am Himmel, wie zum Beispiel explodierende Sterne, Supernova, wo man sich vorstellt, dass Strahlung in diesem höchstenergetischen Bereich entstehen kann. Was wir natürlich auch genauer untersuchen werden sind Aktive Galaktische Kerne. Das sind ganze Galaxien, die entsprechende Strahlung aussenden.

    Gammastrahlung - soviel ist klar - entsteht nicht bei "normalen" Objekten wie der Sonne, sondern nur bei ganz außergewöhnlichen physikalischen Bedingungen, wie in der Nachbarschaft Schwarzer Löcher oder eben bei Sternexplosionen. Neuartige Teleskope haben bisher immer auch ganz neue Objekte gezeigt - und so hoffen die Forscher, völlig unbekannte Gamma-Objekte zu entdecken. In Namibia öffnet sich mit den HESS-Teleskopen ein neues Fenster hinaus ins All, durch das die Astronomen einen Blick direkt auf die energiereichsten Prozesse im Kosmos haben.