Zuerst sind wir in die Apfelernte gefahren, das war der Beginn des Studiums, zwei Wochen glaube ich, weil also die Apfelzeit war und die LPGs unter permanentem Arbeitskräftemangel litten, was das Einbringen der Ernte betrifft und dazu wurden dann die Studierenden herangezogen.
Und dann kamen wir zurück und dann gab’s die rote Woche, ich glaub offiziell hieß die nicht so aber im Studentenjargon, das war eine Woche Lehrveranstaltungen mit politischen Vorträgen, und dann ging das Studium los.
Es gab ja in der DDR diese Organisation , daß die Studierenden in Seminargruppen zusammengefasst waren, also ähnlich wie Schulklassen zusammengefasst waren mit der ambivalenten Funktion einerseits einen kollektiven Lehr- und Lernprozess zu organisieren, wie das hiess, und andererseits natürlich auch Kontrolle, soziale Kontrolle auszuüben über diese Seminargruppen.
Wenn sich Peer Pasternack heute an sein Studium in der DDR erinnert, dann hat das mit einem heutigen Studium in Ostdeutschland praktisch nichts mehr zu tun. Wer damals einen Studienplatz ergatterte, der kam in straffe Strukturen mit einem festgelegten Tagesablauf. Wo man studierte und wann man fertig war – alles war bereits festgelegt. Studenten wie Christian Kurzweg hatten Ende der 80er Jahre monatlich 200 Mark zur Verfügung – auch DDR-Studenten waren meistens knapp bei Kasse. Die Miete im Wohnheim lag allerdings bei ganzen zehn Mark im Monat - dafür teilte man sich die Bude mit zwei bis drei Kommilitonen.
Das erinnerte schon ein bißchen an Kaserne und es herrschte auch ein relativ strenges Reglement, was so bestimmte Tageszeiten anbelangte und die Organisation des Studentenlebens im Wohnheim mit Wache und so weiter, ja das war eher erschreckend für mich.
So durch und durch brav und angepaßt, wie Wessies sich das zum Teil vorstellen, war das Leben in den Unis aber nicht.
dann gab es noch das sogenannte Schwarzwohnen, dh leerstehende Häuser wurden einfach bezogen, das war zwar illegal, wurde aber in den 80er Jahren zumindest geduldet, einfach aus der ganz pragmatischen Einsicht heraus, daß ein Haus das im Augenblick zwar leersteht weil es eigentlich unbewohnbar ist, wenn denn doch jemand drin wohnt, doch nicht so schnell verfällt wie wenn es leersteht.
Es gab also so etwas wie besetzte Häuser und auch in den Seminaren wurde nicht jede kritische Frage automatisch runtergeschluckt, erzählt der Sozialwissenschaftler Ulrich Heublein:
Es wäre eine Legende zu behaupten, dass es irgendwelche Folgen gehabt hätte, wenn man nun aufgestanden ist in seinem Seminar Politische Ökonomie des Sozialismus, für alle Studierenden war das Pflicht, daran teilzunehmen, und nun Fragen gestellt hat, na wie ist das denn nun mit dem Versorgungsproblem, wir hören, es wird alles besser, wir lesen ständig, Arbeitsproduktivität steigt, aber wenn ich mir n paar Hosen kaufen will oder n Bettlaken, dann hab ich Probleme, dies wurde, glaube ich gerade in solchen Seminaren massiver hinterfragt als diese vielleicht heute so manchmal dargestellt wird.
Allerdings konnten allzu kritische Aktionen auch schon mal Ärger bereiten.
1979 hat die DDR versucht, ne zeitlang für bestimmte Güter Luxuspreise einzuführen, also Fahrräder die früher 250 Mark kosteten, plötzlich für 1000 Mark zu verkaufen wir Studierenden, wir haben uns aufgeregt und haben nen dicken Brief an Minister und Parteiführung geschrieben als Seminargruppe 11. Die Reaktion war fürchterlich, man kam aus Berlin und hat uns fürchterlich zusammengedonnert, was wir uns denn erlauben würden, mit so’m Unverständnis wir sollten hochgebildet sein, hätten die sozialistische Schule durchlaufen und jetzt solche Fragen und wir müssen doch Vertrauen haben und es ist das letzte.
Nicht zuletzt hat man das Studieren selber als einen politischen Auftrag begriffen, in den 50er, 60er und 70er Jahren war noch diese Formulierung, du bist von der Arbeiterklasse gesandt, bitte verhalte dich entsprechend.
Für Studierende und Wissenschaftler oft frustrierend waren die Verhältnisse in den Bibliotheken. Das meiste an westlicher Wissenschaftsliteratur und an Zeitschriften fehlte, viele Bücher hatten einen Sperrvermerk.
Für mich eine der übelsten Erfahrungen war, dass man doch in der DDR in einer geistig sehr beschränkten Situation gehalten worden ist, dass ich zwar die Weltliteratur in der ganzen Breite erleben konnte, aber nicht die Weltwissenschaft. In meiner Disziplin, der Soziologie war das sehr beschränkt, das ich also gar nicht daran denke, wenn ich ein bestimmtes soziologisches Problem wälze, zu denken, ja da gibts ja auch noch in Amerika etwas, da gabs Barrieren, ich habs einfach nicht gewußt.
Abgesehen vom politischen Auftrag – das Studentenleben in Kneipen erforderte einen gewissen Organisationsaufwand.
In der DDR waren ja meistens alle Gaststätten entweder reserviert oder voll oder die Kellner waren unlustig und es war ja ausgesprochen schwer in einer Innenstadt wie Leipzig am Abend überhaupt in eine Gaststätte oder Kneipe hineinzukommen ohne da nicht eine Stunde davorstehen zu müssen vor dem Schild: Sie werden plaziert! ... und war für den Abend gefrustet.
Es gab dann natürlich sehr viele politische Veranstaltungen, die von der Hochschule organisiert waren und daneben gab es so Dinge wie zum Beispiel Studentenclubs in den Wohnheimen oder auch in Institutsgebäuden.
In den meisten Clubs gab es neben Bierabenden dann auch ein erhebliches Kulturprogramm, mehr oder weniger anspruchsvoll, Diskotheken hatten wohl alle im Angebot, aber darüber hinaus sehr viel mit Lesungen, Theater, Musik und so weiter. ... die im Studium selbst nicht vorkamen.
Für die meisten, die noch in der DDR studiert haben, ist diese Zeit in ihrer Erinnerung eine schöne Zeit, in der man zum ersten mal von zuhause wegkam, sich ausprobieren konnte und ungekannte Freiheiten genoß - auch wenn sie heute vielleicht manches besser finden.
Ich war sieben Jahre LKW-Fahrer und bin dann erst zur Hochschule. Nachdem ich also vorher sieben Jahre sozusagen die ökonomische Basis studiert hatte, mich dann in den Überbau hinein zu begeben und da noch die letzten zwei Jahre die Agonie des DDR Systems dann im Überbau noch studieren zu können, diese zwei Jahre die waren sehr aufregend.
Heute ist Peer Pasternack Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Berlin.
Mit der Öffnung der Mauer begannen auch an den Hochschulen im Osten die ersten Veränderungen, erinnert sich der Mathematiker Uwe Schrader aus Chemnitz:
Das Studium selbst lief davon relativ unbeeinträchtigt. Nur die Begleiterscheinungen, die es halt in der DDR immer gab, die gesellschaftliche Arbeit wurde davon geprägt. Man merkte in der Seminargruppe, dass das ganze Gebäude, das von der Führung konstruiert wurde, das die alles gelobt hatten, was bei uns stattfand, das fing alles an zu bröckeln und zusammenzubrechen. Man sagte halt: ich möchte nicht FDJ-Sekretär werden. Den Scheissjob lass ich mir nicht andrehen. Das hätten wir uns ein Jahr vorher nicht getraut.
Unter Studierenden und Wissenschaftlern herrschte Aufbruchstimmung, meint Dirk Lewin vom Institut für Hochschulforschung in Wittenberg. Dort beschäftigt man sich seit Jahren mit den Veränderungen in der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft.
Es wurden runde Tische gebildet, Hochschulanghörige aber auch Studenten haben versucht, gemeinsam Konzepte zu entwickeln mit gesellschaftlichen Organisationen, um eben die Hochschulen von innen heraus zu entwickeln, das heißt die Akteure an den Hochschulen wollten von sich aus eine Hochschulerneuerung.
Damals gingen die meisten DDR-Bürger noch davon aus, dass ihr Staat in einer anderen Form weiterbestehen würde. Doch zu einer Erneuerung aus eigener Kraft und nach den eigenen Vorstellungen ist es nie gekommen. Mit dem Einigungsvertrag übernahmen Bund und Länder die gigantische Aufgabe, das gesamte Hochschulsystem und den kompletten Bildungssektor der ehemaligen DDR umzubauen. Am 6. Juli 1990 wurde der Wissenschaftsrat in Köln von den Regierenden in Ost- und Westdeutschland gebeten, die komplette Wissenschaftslandschaft der DDR zu begutachten und Empfehlungen für ihre Neustrukturierung auszuarbeiten. Das war die größte Aufgabe in der Geschichte des Wissenschaftsrates. Hunderte von Gutachtern strömten in den unbekannten Osten.
Tagelang fuhren sie in Bussen von einem Institut zum nächsten, besuchten museumsreife Labors in maroden Gebäuden und Bibliotheken, in denen der westliche Teil der Wissenschaftsliteratur fehlte. Sie trafen linientreue Institutsdirektoren. Aber sie trafen auch kluge Köpfe unter den Wissenschaftlern, die unabhängig dachten, obwohl sie lange von der internationalen Forschergemeinschaft isoliert gewesen waren.
Die Akademie der Wissenschaflten der DDR mit damals 24 000 Mitarbeitern mußte evaluiert werden, ebenso über 70 Hochschulen. All das geschah in fieberhafter Eile, denn schon Ende 91 lief die Übergangsfinanzierung für die Ostforschung aus.
Es sind sämtliche Strukturen umgekrempelt worden, es sind 60% des Personals aus den Hochschulen herausgefallen und es ist ein Großteil der Inhalte verändert worden.
So lautet Peer Pasternacks knappe Zusammenfassung dieses Kraftaktes. Für die Akademie der Wissenschaften hatte die Kommission eine Radikalkur verordnet. Viele Institute verschwanden, tausenden von Mitarbeitern wurde gekündigt. An den Hochschulen war der Umbau nicht ganz so radikal. Dirk Lewin:
In der DDR gab es damals 1989 53 Hochschulen und 19 Hochschulen, die mit speziellen Aufgaben betraut waren, sei es Offiziershochschulen, seien es Hochschulen, die dem MfS unterstanden haben oder der Gewerkschaft u.ä. und nach der Umstrukturierung gab es noch 50 und 21 Hochschulen für Spezialaufgaben für Verwaltung und ähnliches /9.30 Wenn man sich das richtig ankuckt sind von den 53 Hochschulen 23 übernommen worden, die klassischen Universitäten und technische Hochschulen und 30 Hochschulen wurden aufgelöst.
Neu hinzu kamen zweiundzwanzig Fachhochschulen, eine Form, die man in der DDR gar nicht kannte. Während sich bei politisch belasteten Fächern, zum Beispiel Geschichte oder Philosophie fast alles veränderte, blieb in Bereichen wie Ingenieurwissenschaften oder Medizin auch vieles erhalten.
Die Umgestaltung der Wissenschaftslandschaft in Ostdeutschland wird aus heutiger Sicht meist als Erfolg gewertet, nicht nur von Dirk Lewin.
Wenn man im Nachhinein diese Entwicklung noch mal so Revue passieren lässt muß man sagen, dass der Bund hier natürlich eine gigantische Leistung vollbracht hat, durch die recht unbürokratische Aufnahme der neuen Hochschulen in den neuen Ländern in den Hochschulförderplan und auch durch die Hochschulförderprogramme 1 und 2 die es von 1991 bis 1996 gab sind rund 650 Millionen zusätzlich in die neuen Länder geflossen, die in die Infrastruktur gesteckt wurden und gerade die HSP Programme wurden ja zu 75% vom Bund finanziert, also da muss man schon sagen, da ist viel getan worden.
Es ist ein gut funtionierendes Hochschulsystem etabliert worden, ostdeutsche Unis und FHs schnitten in den Rankings der letzten Jahre hervorragend ab. Allerdings gibt es Schönheitsfehler. Daran hatte vor allem der enorme Zeitdruck schuld, meint Wolf Wagner, Rektor der FH Erfurt.
Das ist eine der grossen Idiotien der Weltgeschichte aber die Weltgeschichte ist ja voll davon, das eben gesagt wurde, es muss ganz schnell gehen und da ist ein Modell, das selbst hoch reformbedürftig war, ist einfach dann mal bruchlos umgesetzt worden mit all den Fehlern und Verstrickungen die da drin sind.
Doch nicht nur die Unzulänglichkeiten des Wissenschaftssystems West wurden auf den Osten übertragen. Es blieb auch nichts vom Wissenschaftssystem Ost übrig – auch nichts Gutes. Etwa das gut organisierte Fernstudienangebot. Oder die Tatsache, dass Professoren in der DDR meist auch Profis im Unterrichten waren.
Die DDR Hochschulen hatten eine systematische Ausbildung in Hochschuldidaktik also wie man lehrt, das kennt die Bundesrepublik nicht, es werden immer Amateure dann zu Hochschullehrern, die zwar geforscht haben aber die Lehre amateurhaft von Amateuren beigebracht bekommen haben, das ist ein Skandal, der ist uralt, der wurde frisch-fröhlich wieder so etabliert, während die DDR hatte da sehr gute Strukturen, die man hätte übernehmen können aber nein, alles was DDR war ist ja schlecht.
Viel Anlass zu Kritik gab der Umgang mit den ostdeutschen Wissenschaftlern. Nur ein sehr kleiner Teil von ihnen hat die Wende beruflich erfolgreich überlebt. Tausende verloren in dem Transformationsprozeß ihre Stelle. Etwa weil es ihre Fächer, zum Beispiel Marxismus-Leninismus im neuen System nicht mehr gab oder weil man ihnen die nötige fachliche Qualifikation absprach. Weitere wurden arbeitslos, als Beziehungen zu Stasi, DDR-Staat und SED überprüft wurden. Und auch diejenigen, die alle Überprüfungen erfolgreich überstanden, mußten sehen wo sie blieben. Denn ihre früheren Arbeitsstellen wurden nach westlichen Regeln neu ausgeschrieben, die ehemaligen Inhaber mußten sich neu darauf bewerben. Nach Ansicht vieler ostdeutscher Wissenschaftler allerdings nicht mit den gleichen Chancen. Denn im Westen gelten Veröffentlichungen, vorzugsweise in angesehenen westlichen Journalen, als Indiz für Kompetenz und möglichst auch der eine oder andere Forschungsaufenthalt im Ausland. Zu beidem hatten ostdeutsche Wissenschafter praktisch keine Gelegenheit.
Wenn man nun nach einer gewissen Zeit das alles Revue passieren läßt, muß man sagen, dass diese Evaluierung auch mit sehr viel persönlichem Leid verbunden war, vielen jungen Ostdeutschen wurde die Karrierechance genommen, gerade die hochkarätigen Stellen wurden in der Regel ausgeschrieben und durch Personal besetzt, dass in den alten Ländern rekrutiert wurde, eigentlich meiner Meinung nach bedauerlich, weil damit viele Entwicklungsmöglichkeiten, die es gegeben hätte, vertan wurden.
Die Tatsache, dass viele Stellen mit Wessies besetzt wurden, denen man im Osten oft eine bestenfalls mittelmäßige Qualifikation unterstellte, blieb in der Wissenschaftslandschaft eine offene Wunde. Bis heute ist in den neuen Ländern nur ein Drittel der C4-Professuren, der am besten bezahlten, mit Ostdeutschen besetzt. Davon abgesehen werden die Wissenschaftler aus den neuen Ländern nach wie vor schlechter bezahlt. Die Forscher, die die Wende beruflich überlebten, sind zufrieden damit, nun in dem westlichen System zu arbeiten. Doch für die, die auf der Strecke blieben, ist das anders, hat Wolf Wagner festgestellt.
Vor einiger Zeit war ich damit befasst, wir sollten eine Evaluation der Evaluation machen, aber es stellte sich raus, es sind soviele Verletzungen passeirt, dass die Leute sich nicht noch einmal damit konfrontieren wollten.
Irgendwann im Jahr 1990 bekam Rainer Zech, damals Bildungsforscher an der Uni Hannover einen Brief von einem Kollegen aus Leipzig,
der das erste mal in seinem Leben kurz nach der Wende auf einem westdeutschen Kongress gewesen war und ein Buch von mir gekauft hatte und dann in diesem Buch feststellte, dass er und seine Forschungsgruppe in Leipzig fast analog seit vielen Jahren zu den Themen und zu den Methoden und zu den Theorien gearbeitet hatte, die wir im Westen auch als Grundlage unserer Forschung hatten.
Stefan Busse, so hieß der Leipziger Kollege, schickte auch ein Buch von sich selbst mit.
Und in der Tat bis in die Zitation hinein haben wir ähnliche Ziele verfolgt über viele viele Jahre ohne jemals voneinander erfahren zu haben und wahrscheinlich hätten wir auch niemals voneinander erfahren, wenn nicht ein Jahr vorher die Mauer zusammengebrochen wäre.
Nach diesem spontanen Kontakt entwickelte sich eine erstaunliche Dynamik. Schon ein paar Wochen später kam Stefan Busse mit einem Kollegen nach Hannover und bald darauf fuhr eine westdeutsche Forschergruppe nach Leipzig.
und das war unglaublich aufregend, weil Deutsche treffen Deutsche und wir sind alle Nachkriegskinder und hatten uns über die Tatsache, dass es sich um ein gemeinsames Land handeln könnte niemals Gedanken gemacht (...)und nun entdeckte man doch, dass es ganz so einfach nicht ist.
Dafür waren die jeweils fremden Deutschen jetzt umso spannender, nicht nur über Forschungsthemen auch über viel Privates redete man die Nächte durch.
mit hochroten Ohren und aufgeheizten Köpfen und dann sagte irgendjemand, ich weiss nicht mehr wer, mensch Leute wir sind alles Sozialwissenschaftler, lasst uns das dann doch einfach zu unserem gemeinsamen Forschungsprojekt machen. Und dann war’s da, so gings.
Die Wissenschaftler Ost und West machten kurzerhand ihre eigenen Biografien zum Forschungsgegenstand. Sie wollten herausfinden, ob und wie sich die einzelnen Menschen politisiert hatten, was es ihnen nützte und wie sie sich schadeten.
Und dann haben beide Seiten sich immer in Ost-West zusammengesetzten Paaren wechselseitig interviewt und diese Interviewtexte, biografische Interviews, jeder hat erzählt wie sein Leben vonstatten gegangen ist, wie er mit Politik konfrontiert wurde oder versucht hat ihr auszuweichen usw., diese Texte werden wortwörtlich abgeschrieben und die sind dann das eigentliche empirische Material, was einem komplizierten Auswertungsprozeß unterzogen wird.
Für Ossies und Wessies war es harte Arbeit, sich zu vertrauen und tatsächlich zu verständigen, erinnert sich Christiane Ehses, die auch an dem Projekt teilnahm.
Ich erinnere mich noch, dass am Anfang eine sehr empfindliche Stimmung herrschte, so ne kleine Forschungsgruppe ist ja auch ein Mikrokosmos ein Brennglas des Ganzen und die Republik war eben jetzt auch dünnhäutig insbesondere was eben den Osten anbetraf und dass bestimmte flapsige oder rotzige Bemerkungen sehr sehr schnell auch aufgeladen wurden, das war am Anfang häufig ne Situtation wo immer wieder ne große Gruppendynamik eingetreten ist.
Die Ostforscher hatten stärker das Gefühl, ihre Biografien rechtfertigen zu müssen, während die Westforscher eher einen ironischen Blick auf ihr Leben zurückwarfen. Es gab Mißverständnisse, aber auch einfach einen unterschiedlichen Umgang mit bestimmten Begriffen.
Zum Begriff Staat hatte die westliche Forschergruppe ein erheblich distanzierteres Verhältnis gehabt und sich auch lustig gemacht, auch wenn sich die Ostforschungsgruppe eher kritisch bis oppositionell positionierte in Teilbereichen, war das doch so ein feierlicher Topos der Staat, es war so der ernste Vater, der vielleicht etwas zerzaust war, aber doch über den durfte man sich nicht lustig machen.
In der Gruppe gab die eigene Biografie nicht immer das Bild, dass man sich eigentlich von sich selbst gemacht hatte. Wer sieht sich nicht gern als politisch aufgeklärt und konsequent, vielleicht sogar als kleiner Held? Unter der strengen Brille der Forschung bekamen die Idealbilder manchen Kratzer. Obwohl die Verständigung und Auseinandersetzung über das eigene Leben keineswegs immer nur das reine Zuckerschlecken war, sie hatte einen grossen Vorteil: alle waren Forschungsobjekt, Ossies und Wessies. Denn bei vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, die nach der Wende starteten, wurde nur in eine Richtung geschaut: aus den alten in die neuen Länder. Bei manchen Ostdeutschen entstand der Eindruck, eine Art Zoo zu sein, in dem sich die westdeutschen Wissenschaftler mit "fremden Objekten" befassten.
Viele Forschungsgruppen sind daran kaputtgegangen, dass nur die Wessies über die Ostsituation geforscht haben und das hat uns neben der Tatsache, dass wir über uns selber geforscht haben von anderen Projekten unterschieden, es war sofort die Forschung über den Westen und über den Osten nicht die einen über die anderen. Das hat zu einer Form von Gleichberechtigung geführt (…) es wär gar nicht gegangen, dass wir nur die eine Fragerichtung ausführen in so nem Projekt.
Fünf Jahre lang haben sich die Leipziger und die Hannoveraner mit ihren Biografien beschäftigt – und dabei so einiges über einander erfahren.
Das ist übrigens heute noch so bei privaten Festen, dass die alten Erkenntnisse noch gelegentlich wieder aus der Tasche gezogen werden um den anderen wieder zu ertappen dabei, da hat das Ganze auch eine humoristische Seite.
Bis heute wird das empirische Material ausgewertet, es entstand ein Weiterbildungsseminar und zahlreiche Publikationen.
Und es ist natürlich noch was daraus entstanden, es sind Freundschaften daraus entstanden, die heute noch leben, wir sehen uns einfach regelmäßig.
Ich studiere Jura in Jena, ich hab den Studienplatz über die ZVS zugewiesen bekommen. Und ich muss jetzt sagen, dass ich super froh bin, weil in Ostdeutschland zu studieren ist schon was anderes als in Westdeutschland. Die Professoren kennen noch die Namen ihrer Studenten und die Hörsäle sind auch nicht so voll. Ich war kurze Zeit in Bonn an der Uni, was mir überhaupt nicht gefallen hat, weil man da noch nicht mal nen Sitzplatz kriegt.
Gleich nach der Wende galt als mutiger Pionier, wer sich zum Studium in den Osten wagte. Inzwischen stehen die Osthochschulen in den Rankings ganz oben und haben in der Gunst der Studierenden kräftig aufgeholt – wie eben bei Thekla Winter. Die deutsch-deutschen Beziehungen sind dabei unter den Studierenden meistens gar kein Thema mehr.
Allgemein muß ich sagen, dass das nicht so wichtig ist, ob jemand aus Ostdeutschland oder aus Westdeutschland ist.
Für Simon Fikenscher, im Osten aufgewachsen, hat die Qualität der Hochschulen allerdings durchaus auch etwas mit der ostdeutschen Geschichte zu tun:
Besonders in Fächern, wo alte Ost-Profs geblieben sind, die haben halt noch diese Mentalität, die haben das Bestreben, Studenten richtig zu betreuen, da gibt es zum Teil noch Studiengruppen von 20/30 Leuten, wo der Prof jeden Namen kennt.
Tatsächlich ist das Betreuungsverhältnis im Osten auch zahlenmässig besser als im Westen – auf einen Professor kommen deutlich weniger Studierende. Und die Ausstattung der Hochschulen ist nach der Wende meist komplett erneuert worden. In Chemnitz etwa gibt es für zehn Studierende einen PC – im Bundesdurchschnitt teilen sich knapp 40 Lernende einen Computer. Lauter Gründe dafür, dass die Studienzeiten in vielen Fächern im Osten deutlich kürzer sind als im Westen. Das hat eine Studie des Wissenschaftsrates im letzten Jahr gezeigt. Gerade in technischen Fächern sind die Stundenpläne durchorganisiert, so dass sich auch gut planen lässt. Praktikumssemester, die man sonst nur an Fachhochschulen kennt, helfen erste Kontakte zur Wirtschaft zu knüpfen.
Während man in Greifswald oder Ilmenau noch etwas mehr Eigeninitiative für die Freizeitgestaltung braucht, bieten Städte wie Dresden oder Leipzig alles was der Westen hat – und sogar noch mehr. Nämlich eine lebendige Studentenclubszene.
Die Moritzbastei ist einer der Studentenclubs hier in Leipzig und das ist halt ein Teil von der alten Verteidigungsanlage von der Leipziger Stadtmauer und ich glaube in den 60er Jahren ist das ausgegraben worden von Studenten der Uni Leipzig und seitdem isses halt n Studentenclub und wird auch von der Stadt und vom Studentenwerk gefördert. Es ist tagsüber ein Café und am Wochenende richtig Disko und für Erstsemester ist das Pflicht hier als allererstes hinzukommen.
Nina Wagner hat ihr komplettes Journalistik Studium in Leipzig verbracht und es nie bereut hierher gekommen zu sein. Denn auch die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Eine schöne Altbauwohnung für 4-5 Euro Miete pro Quadratmeter – in Leipzig kein Problem. Jobs sind aber sowohl während als auch nach dem Studium schwer zu finden. Nina zählt immer noch zu einer Minderheit – nur 10-25 Prozent der Studierenden an den ostdeutschen Hochschulen kommen aus dem Westen. Die Wanderung zwischen alten und neuen Ländern hält sich also nach wie vor in Grenzen. Doch auch beispielsweise zwischen Schleswig Holstein und Bayern sind die Wanderungsströme nicht viel größer. Für einen Teil der Bewegung sorgt die ZVS – nicht immer zur Freude der Verschickten.
Ich studiere Medizin jetzt Gott sei Dank endlich in Freiburg. Ich hab mich vor vier Jahren bei der ZVS beworben, um einen Studienplatz in Bonn zu bekommen, bin dann aber nach Magdeburg geschickt worden und was ich dort festgestellt habe war, das irgendwie in ganz Magdeburg nur westdeutsche Studenten waren und als ich dann wieder zurück war, ich hab dann in Bonn Freunde besucht und dort waren überall die Studierenden aus Ostdeutschland.
Trotz ihres Ärgers hat sich Katharina Berg auf die Verschickung ihren Reim gemacht:
Naja gut, wir haben uns das dann im Endeffekt so gedacht, das man auf so eine Art und Weise Ost und West zusammenführen will, indem man hergeht und die Jugend von Westdeutschland nach Ostdeutschland schickt bzw von Ostdeutschland nach Westdeutschland und wir werden sehen.
Allein vom äusseren Erscheinungsbild haben meine Kollegin und ich ganz spontan uns das letzte Mal, in diesem Jahr, zugeraunt: man sieht es ihnen nicht mehr an! Die Kleidung ist gleich, der Habitus ist gleich, die Gesten sind ähnlich, selbst die Stimmen sind nicht mehr so unterschiedlich wie am Anfang, denn das ist uns allen aufgefallen, dass die Stimmen der Studentinnen in Erfurt oft zurückgezogener waren leiser waren, allein so eine Sache der Körpersprache.
Gesine Spiess, Professorin an der Fachhoschschule in Erfurt bringt seit sieben Jahren Studierende aus Ost- und Westdeutschland zusammen. Denn auch wenn äußerlich alles angeglichen ist, meint sie, gibt es noch vieles zwischen Ost und West, worüber sich zu reden lohnt. Heute, dreihzehn Jahre nach der Wende stößt sie damit auf gemischte Reaktionen.
Dieses Zur-Sprache–bringen hat zwei Reaktionen: einmal Abwehr, es gibt eine Reihe von Studentinnen, die sagen, ich fühle mich hier nicht als Ostdeutsche, ich fühle mich nicht mehr als DDR-Bürgerin und ich möchte auch nicht als solche subsummiert werden. Die andere sagt, ich bin das ewige Vergleichen zwischen Ost und West ohnehin satt, es gibt Spiesser in Lübeck, in Waldhausen oder in Weimar, das kann man nicht auf diesen groben Klotz Ost-West bringen. Und die Anderen sagen, doch es gibt grosse Unterschiede zwischen uns, zwischen dem östlichen Teil Deutschlands und dem westlichen, es gibt sie auch immer noch, ob wir sie zur Sprache bringen oder nicht, sie sind da und wir möchten darüber reden, denn nur was Sprache hat kann auch bewusst werden.
Gesine Spiess beschäftigt sich mit Geschlechterforschung, ihre Studentinnen besuchen deshab Frauen- und Mädchenprojekte in der jeweils anderen Stadt. In diesem Jahr waren die Städte Erfurt und Wiesbaden. Doch bei den Begegnungen geht es nicht nur um Fachfragen.
Es werden durch das Projekt, das wir verfolgen, unterschiedliche Ebenen angesprochen, sowohl die persönlich-biografische, die dann in die DDR reinreicht – je länger das Projekt dauert umso verschwommener natürlich die Erinnerungen an die DDR – aber auch die politisch gesellschaftliche und das dt.- dt. Verhältnis wird immer wieder zur Sprache gebracht.
Ziemlich schnell entdecken die Studierenden die schiefen Bilder über die andere Seite in ihren eigenen Köpfen.
Ein Beispiel ist der Stellenwert des Kindergartens, der öffentlichen Betreuung. Für die West-Studiernden ist der Gedanke, dass Kinder von Anfang an in Kollektiven erzogen werden ein abschreckender. Und einer der hinterfragt werden muss in dem Sinne, dass sie sich auch ganz fürsorglich und besorgt im privaten Gespräch an die jeweilige Gesprächspartnerin wenden und sagen, sag mal war das nicht schrecklich, so früh musstest du von deiner Mutter weg? Und dann kommen die Berichte, dass es eigentlich sehr schön war, dass es gute Erinnerungen gab, dass es ein fester Bestandteil im Leben war, dass man sich überhaupt nicht beschädigt fühlt, sondern durchaus auch bereichert. Dann kommt aber heraus, dass nicht alle im Kindergarten waren, dass es durchaus auch Kinder gab, die zuhause geblieben sind, dass es durchaus auch Mütter gab, die Teilzeitarbeit gemacht haben. Das sind Informationen, die neue sind.
Umgekehrt gilt das genauso.
Dann von östlicher Seite muss das Bild modifiziert und korrigiert werden, dass die Westfrau nur karrieresüchtig, nur männerfreindlich, nur elegant, nur selbstbewusst und wie die Klischees alle sind, dass es Unsicherheiten gibt, dass es Zaghaftigkeiten gibt, und dass die Berufs- und Lebensverläufe der Frauen und der jungen Frauen im Westen ganz ganz vielfältig sind und sich sehr schlecht unter diesen grossen Marke West oder Ost subsummieren lassen.
Viele Studierende aus dem Westen kommen mit dem Austausch zum ersten Mal in die neuen Bundesländer.
Und das nach so vielen Jahren. Das kennzeichnet aber die Situation, wie meine Studenten immer wieder sagen, wir sind mehr am Westen interessiert, der Westen ist nicht so am Osten interessiert, das ist eine Bemerkung die immer wieder auftaucht, und die auch ne Asymmetrie widerspiegelt.
Wie bewerten die Studierenden die DDR? Für die Wessies ist das einfach: ein Modell das nicht funktioniert hat, die Vergangenheit von anderen Leuten. Für die ostdeutschen Studenten läßt sich das nicht so leicht abhaken, schließlich ist die DDR ein Teil von ihnen selbst, auch wenn sie inzwischen vielleicht nur noch eine kurze Zeit ihres Lebens dort verbracht haben.
Wogegen sie sich durchgehend wehren ist die ständige Entwertung einer Vergangenheit die andere nicht erlebt haben. Das ist ein schwieriges Kapitel, denn der Westen beforscht zum großen Teil den Osten, das ist schon mal ein gebrochener Blick, auch wenn ich da lehre, habe ich einen sehr gebrochenen Blick. Ich hab ja dauernd den Vergleich im Kopf. (...) Sie möchten ihre eigene Stellung zur DDR finden und diese eigene Stellungnahme, die muß an ihnen eröffnen durch ne grosse Offenheit oder nicht durch vorgefasste Meinungen. Aber das ist ja nun mal Prinzip der Wissenschaft, sich offen zu halten.
Ich bin Jana Lis, ich studier hier Jure und versuch dabei gerade ein Staatsexamen zu machen. An der Bildugnspolitik stört mich bezüglich meines Studiums in erster Linie, dass das Studium nicht zum Exman passt, also dass im Examen viel mehr verlangt wird als im Studium geboten wird, dass hier weiterhin Professorenstellen gekürzt werden, dass Sachsen einen wesentlich größeren Verwaltungsapparat hat auf die gleiche Studentenzahl als andere Bundesländer und das sie lieber diesen einsparen sollten, als uns weitere Professoren wegzukürzen, besonders da wir nur noch zwei Strafrechtsprofessoren haben und wenn sie uns davon auch nocheinen wegnehmen, haben wir bald gar keine mehr.
Ich heiß Sebastian, ich studier Architektur im Augenblick und an der Bildungspolitik in Sachsen (...) sind eben die Sparmassnahmen, die hier überall durchgeführt werden und die in meinen Augen auf jeden Fall in ne Sackgasse führen und ich versteh das insgesamt nicht, weil es kann ja nicht die Perspektive von `nem Land sein, da genau zu sparen, was die Zukunft von nem Land auch darstellt.
Ich studiere Magister Erziehungswissenschaften und Philosophie und im Augenblick siehts für meine Fakultäten an der TU sehr brenzlig aus, dass eigentlich niemand so genau weiß, wie`s im nächsten Semester weitergehen soll. Diese Unruhe überträgt sich natürlich, merkt man an der ganzen Uni und das macht gerade gar nicht so richtig Spass hier zu studieren, dass man sich direkt überlegen muss, irgendwo anders hinzugehen.
Es kriselt in der blühenden Hochschullandschaft Ost. Kaum haben Studierende den Osten als gute und interessante Alternative zum Studium im Westen so richtig entdeckt, droht auch schon wieder der Kahlschlag. Vor allem Sachsens Hochschulen geht es aktuell ans Budget. Anfang des Jahres war hier der geplante Hochschulkonsens unter dem alten Ministerpräsidenten Biedenkopf gescheitert. Die Landesregierung wollte dabei gemeinsam mit den Universitäten festlegen, wieviel Geld sie bis 2010 bekommen und wieviel Personal sie abbauen müssen. Sachsens neuer Bildungsminister Mathias Rößler verhängte dann im Juni diesen Jahres einen Einstellungsstopp und sperrte dreissig Prozent der Sachmittel. Die Gründe für`s Sparen liegen auf dem Tisch: Sachsens Etat wird in den nächsten Jahren schrumpfen und ebenso die Zahl der Studierenden. Dirk Lewin vom Zentrum für Hochschulforschung Wittenberg
Seit 1989 gibts n deutlichen Geburtenknick, der noch verstärkt wird durch das Phänomen das viele qualifizierte Jugendliche oder auch junge Familien in die alten Länder abwandern, weil es einfach bessere Arbeitsmarktchancen oder Bildungschancen gibt, und es daher nach Meinung der Hochschulpolitik künftig nicht mehr genug Studierende geben könnte. Und wenn nicht mehr genügend Studierende da sind dann wird jetzt schon darüber nachgedacht inwieweit man hier finanzielle Eingriffe vornehmen kann um einen geplanten Ausbau gar nicht erst zustandekommen zu lassen oder teilweise schon zurückzufahren.
Was die Zahl der Studierenden angeht, waren in den Hochschulen der neuen Länder nach der Wende hohe Ziele gesteckt worden.
Zum Beispiel sah der Hochschulausbauplan für das Land Brandenburg vor eine Versiebenfachung der Studentenzahlen, für Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen ne Verdopplung bis zu ner Verdreifachung der Studierendenzahlen und das setzt voraus, dass man einen gewissen Ausbau der Hochschulen forciert hat und der Ausbau von Hochschulen ist immer mit Geld verbunden und das muss irgendwo der Finanzminister bewilligen und zur Zeit sind wir eh in einer Diskussion wo über Effizienz von Hochschulen und vor allen Dingen ne Output-Diskussion geführt wird, wieviele Absolventen kommen raus.
Für die sächsische Landesregierung kommen offenbar nicht genug Absolventen raus, denn sie will bis zum Jahr 2010 über 700 Stellen streichen, Studiengänge einsparen und einzelne Einrichtungen eventuell komplett streichen.
Und da bin ich persönlich der Meinung, dass dies ein fataler Fehler wäre, weil man angesichts von PISA, von OECD-Studien darüber nachdenken muß, inwieweit man in Deutschland das gesamte Bildungssystem noch mal auf den Prüfstand stellen muß, inwieweit man sowohl die Schule reformiert, aber auch inwieweit man darüber nachdenkt, ob nicht auch die Arbeitswelt künftig Berufsfelder generieren wird, die eine tertiäre Ausbildung erfordern, so daß man davon ausgehen könnte, dass ein höherer Anteil eines Jahrganges als jetzt an die Hochschulen kommen könnte. Ich meine Finnland ist ein gutes Beispiel dafür, dort gehen etwa 45% eines Altersjahrganges an die Hochschule.
In Deutschland sind es unter 30 Prozent. Mehr Studienanfänger gewinnen statt Angebote zu streichen, das könnte eine Alternative sein. Viele ostdeutsche Hochschulen haben schon intensive Werbekampagnen bei Abiturienten in Westdeutschland gestartet. Auch ausländische Studenten könnten die Absolventenzahlen hochtreiben. Doch Wolf Wagner, Rektor der Fachhochschule Erfurt weiß, dass die Anwerbung von Ausländern problematisch ist:
Die Ausländerfeindlichkeit ist sehr hoch in den neuen Bundesländern, und sie nimmt auch zu, die Wahrscheinlichkeit hier überfallen zu werden, wenn man erkennbar ausländisch ist, ist sehr viel höher, ich bewundere den Mut der Kommilitoninnen und Kommilitonen, die hierherkommen, denn die wissen ja, dass es gefährlich ist und wir tun alles, um die zu schützen, aber das Risiko ist da, dass einer von diesen ausgetickten Fremdenfeinden da irgendwas tut.
Nicht an allen ostdeutschen Hochschulen ist das Problem gleich gross, aber der Ruf Ostdeutschlands unter ausländischen Studenten und Wissenschaftlern ist nicht der beste. Wolf Wagner hofft, trotzdem weiterhin internationale Gäste nach Erfurt holen zu können.
Wir werden jetzt ne ganze Reihe Studierende aus Tschad bekommen und werden uns dann natürlich mit denen die aus Afrika hier schon sind zusammensetzen und fragen was für Überlebensstrategien habt ihr, wie macht ihr das? Es ist so der einzige Weg ist, dass immer mehr hierherkommen, die Leute sich immer mehr daran gewöhnen, dass sie da sind und dass es immer alltäglicher wird.
Inzwischen versuchen die sächsischen Hochschulen, ihre Finanzlöcher kreativ zu stopfen: Putzfrauen kommen seltener, kaputte Apparate warten länger auf Reparatur und neue Bücher für die Bibliotheken sind seit der Sachmittelsperre einfach nicht mehr drin. Alles keine Aktionen, die dem Hochschulstandort Ostdeutschland gut tuen, meint Achim Mehlhorn, Rektor der TU Dresden:
Das kann man vielleicht einmal überleben, aber wenn man das jetzt gewissermassen zur Methode macht, und jedes Jahr einen so beträchtlichen Teil des Sachbudgets sperrt, dann wird man also im Grunde eine permanent sinkende Qualität der Ausbildungsstätten ernten und entweder es kollabiert dann oder man muss viel mehr Geld ausgeben, um das Ganze dann wieder hochzufahren.
Bis zum 30. September hatten die sächsischen Rektoren nun Zeit, eigene Konzepte dafür vorzulegen, wie und wo sie sparen wollen. Mit ihren Vorschlägen soll nun ein neuer Konsens erarbeitet werden.
Und dann kamen wir zurück und dann gab’s die rote Woche, ich glaub offiziell hieß die nicht so aber im Studentenjargon, das war eine Woche Lehrveranstaltungen mit politischen Vorträgen, und dann ging das Studium los.
Es gab ja in der DDR diese Organisation , daß die Studierenden in Seminargruppen zusammengefasst waren, also ähnlich wie Schulklassen zusammengefasst waren mit der ambivalenten Funktion einerseits einen kollektiven Lehr- und Lernprozess zu organisieren, wie das hiess, und andererseits natürlich auch Kontrolle, soziale Kontrolle auszuüben über diese Seminargruppen.
Wenn sich Peer Pasternack heute an sein Studium in der DDR erinnert, dann hat das mit einem heutigen Studium in Ostdeutschland praktisch nichts mehr zu tun. Wer damals einen Studienplatz ergatterte, der kam in straffe Strukturen mit einem festgelegten Tagesablauf. Wo man studierte und wann man fertig war – alles war bereits festgelegt. Studenten wie Christian Kurzweg hatten Ende der 80er Jahre monatlich 200 Mark zur Verfügung – auch DDR-Studenten waren meistens knapp bei Kasse. Die Miete im Wohnheim lag allerdings bei ganzen zehn Mark im Monat - dafür teilte man sich die Bude mit zwei bis drei Kommilitonen.
Das erinnerte schon ein bißchen an Kaserne und es herrschte auch ein relativ strenges Reglement, was so bestimmte Tageszeiten anbelangte und die Organisation des Studentenlebens im Wohnheim mit Wache und so weiter, ja das war eher erschreckend für mich.
So durch und durch brav und angepaßt, wie Wessies sich das zum Teil vorstellen, war das Leben in den Unis aber nicht.
dann gab es noch das sogenannte Schwarzwohnen, dh leerstehende Häuser wurden einfach bezogen, das war zwar illegal, wurde aber in den 80er Jahren zumindest geduldet, einfach aus der ganz pragmatischen Einsicht heraus, daß ein Haus das im Augenblick zwar leersteht weil es eigentlich unbewohnbar ist, wenn denn doch jemand drin wohnt, doch nicht so schnell verfällt wie wenn es leersteht.
Es gab also so etwas wie besetzte Häuser und auch in den Seminaren wurde nicht jede kritische Frage automatisch runtergeschluckt, erzählt der Sozialwissenschaftler Ulrich Heublein:
Es wäre eine Legende zu behaupten, dass es irgendwelche Folgen gehabt hätte, wenn man nun aufgestanden ist in seinem Seminar Politische Ökonomie des Sozialismus, für alle Studierenden war das Pflicht, daran teilzunehmen, und nun Fragen gestellt hat, na wie ist das denn nun mit dem Versorgungsproblem, wir hören, es wird alles besser, wir lesen ständig, Arbeitsproduktivität steigt, aber wenn ich mir n paar Hosen kaufen will oder n Bettlaken, dann hab ich Probleme, dies wurde, glaube ich gerade in solchen Seminaren massiver hinterfragt als diese vielleicht heute so manchmal dargestellt wird.
Allerdings konnten allzu kritische Aktionen auch schon mal Ärger bereiten.
1979 hat die DDR versucht, ne zeitlang für bestimmte Güter Luxuspreise einzuführen, also Fahrräder die früher 250 Mark kosteten, plötzlich für 1000 Mark zu verkaufen wir Studierenden, wir haben uns aufgeregt und haben nen dicken Brief an Minister und Parteiführung geschrieben als Seminargruppe 11. Die Reaktion war fürchterlich, man kam aus Berlin und hat uns fürchterlich zusammengedonnert, was wir uns denn erlauben würden, mit so’m Unverständnis wir sollten hochgebildet sein, hätten die sozialistische Schule durchlaufen und jetzt solche Fragen und wir müssen doch Vertrauen haben und es ist das letzte.
Nicht zuletzt hat man das Studieren selber als einen politischen Auftrag begriffen, in den 50er, 60er und 70er Jahren war noch diese Formulierung, du bist von der Arbeiterklasse gesandt, bitte verhalte dich entsprechend.
Für Studierende und Wissenschaftler oft frustrierend waren die Verhältnisse in den Bibliotheken. Das meiste an westlicher Wissenschaftsliteratur und an Zeitschriften fehlte, viele Bücher hatten einen Sperrvermerk.
Für mich eine der übelsten Erfahrungen war, dass man doch in der DDR in einer geistig sehr beschränkten Situation gehalten worden ist, dass ich zwar die Weltliteratur in der ganzen Breite erleben konnte, aber nicht die Weltwissenschaft. In meiner Disziplin, der Soziologie war das sehr beschränkt, das ich also gar nicht daran denke, wenn ich ein bestimmtes soziologisches Problem wälze, zu denken, ja da gibts ja auch noch in Amerika etwas, da gabs Barrieren, ich habs einfach nicht gewußt.
Abgesehen vom politischen Auftrag – das Studentenleben in Kneipen erforderte einen gewissen Organisationsaufwand.
In der DDR waren ja meistens alle Gaststätten entweder reserviert oder voll oder die Kellner waren unlustig und es war ja ausgesprochen schwer in einer Innenstadt wie Leipzig am Abend überhaupt in eine Gaststätte oder Kneipe hineinzukommen ohne da nicht eine Stunde davorstehen zu müssen vor dem Schild: Sie werden plaziert! ... und war für den Abend gefrustet.
Es gab dann natürlich sehr viele politische Veranstaltungen, die von der Hochschule organisiert waren und daneben gab es so Dinge wie zum Beispiel Studentenclubs in den Wohnheimen oder auch in Institutsgebäuden.
In den meisten Clubs gab es neben Bierabenden dann auch ein erhebliches Kulturprogramm, mehr oder weniger anspruchsvoll, Diskotheken hatten wohl alle im Angebot, aber darüber hinaus sehr viel mit Lesungen, Theater, Musik und so weiter. ... die im Studium selbst nicht vorkamen.
Für die meisten, die noch in der DDR studiert haben, ist diese Zeit in ihrer Erinnerung eine schöne Zeit, in der man zum ersten mal von zuhause wegkam, sich ausprobieren konnte und ungekannte Freiheiten genoß - auch wenn sie heute vielleicht manches besser finden.
Ich war sieben Jahre LKW-Fahrer und bin dann erst zur Hochschule. Nachdem ich also vorher sieben Jahre sozusagen die ökonomische Basis studiert hatte, mich dann in den Überbau hinein zu begeben und da noch die letzten zwei Jahre die Agonie des DDR Systems dann im Überbau noch studieren zu können, diese zwei Jahre die waren sehr aufregend.
Heute ist Peer Pasternack Staatssekretär im Wissenschaftsministerium von Berlin.
Mit der Öffnung der Mauer begannen auch an den Hochschulen im Osten die ersten Veränderungen, erinnert sich der Mathematiker Uwe Schrader aus Chemnitz:
Das Studium selbst lief davon relativ unbeeinträchtigt. Nur die Begleiterscheinungen, die es halt in der DDR immer gab, die gesellschaftliche Arbeit wurde davon geprägt. Man merkte in der Seminargruppe, dass das ganze Gebäude, das von der Führung konstruiert wurde, das die alles gelobt hatten, was bei uns stattfand, das fing alles an zu bröckeln und zusammenzubrechen. Man sagte halt: ich möchte nicht FDJ-Sekretär werden. Den Scheissjob lass ich mir nicht andrehen. Das hätten wir uns ein Jahr vorher nicht getraut.
Unter Studierenden und Wissenschaftlern herrschte Aufbruchstimmung, meint Dirk Lewin vom Institut für Hochschulforschung in Wittenberg. Dort beschäftigt man sich seit Jahren mit den Veränderungen in der ostdeutschen Wissenschaftslandschaft.
Es wurden runde Tische gebildet, Hochschulanghörige aber auch Studenten haben versucht, gemeinsam Konzepte zu entwickeln mit gesellschaftlichen Organisationen, um eben die Hochschulen von innen heraus zu entwickeln, das heißt die Akteure an den Hochschulen wollten von sich aus eine Hochschulerneuerung.
Damals gingen die meisten DDR-Bürger noch davon aus, dass ihr Staat in einer anderen Form weiterbestehen würde. Doch zu einer Erneuerung aus eigener Kraft und nach den eigenen Vorstellungen ist es nie gekommen. Mit dem Einigungsvertrag übernahmen Bund und Länder die gigantische Aufgabe, das gesamte Hochschulsystem und den kompletten Bildungssektor der ehemaligen DDR umzubauen. Am 6. Juli 1990 wurde der Wissenschaftsrat in Köln von den Regierenden in Ost- und Westdeutschland gebeten, die komplette Wissenschaftslandschaft der DDR zu begutachten und Empfehlungen für ihre Neustrukturierung auszuarbeiten. Das war die größte Aufgabe in der Geschichte des Wissenschaftsrates. Hunderte von Gutachtern strömten in den unbekannten Osten.
Tagelang fuhren sie in Bussen von einem Institut zum nächsten, besuchten museumsreife Labors in maroden Gebäuden und Bibliotheken, in denen der westliche Teil der Wissenschaftsliteratur fehlte. Sie trafen linientreue Institutsdirektoren. Aber sie trafen auch kluge Köpfe unter den Wissenschaftlern, die unabhängig dachten, obwohl sie lange von der internationalen Forschergemeinschaft isoliert gewesen waren.
Die Akademie der Wissenschaflten der DDR mit damals 24 000 Mitarbeitern mußte evaluiert werden, ebenso über 70 Hochschulen. All das geschah in fieberhafter Eile, denn schon Ende 91 lief die Übergangsfinanzierung für die Ostforschung aus.
Es sind sämtliche Strukturen umgekrempelt worden, es sind 60% des Personals aus den Hochschulen herausgefallen und es ist ein Großteil der Inhalte verändert worden.
So lautet Peer Pasternacks knappe Zusammenfassung dieses Kraftaktes. Für die Akademie der Wissenschaften hatte die Kommission eine Radikalkur verordnet. Viele Institute verschwanden, tausenden von Mitarbeitern wurde gekündigt. An den Hochschulen war der Umbau nicht ganz so radikal. Dirk Lewin:
In der DDR gab es damals 1989 53 Hochschulen und 19 Hochschulen, die mit speziellen Aufgaben betraut waren, sei es Offiziershochschulen, seien es Hochschulen, die dem MfS unterstanden haben oder der Gewerkschaft u.ä. und nach der Umstrukturierung gab es noch 50 und 21 Hochschulen für Spezialaufgaben für Verwaltung und ähnliches /9.30 Wenn man sich das richtig ankuckt sind von den 53 Hochschulen 23 übernommen worden, die klassischen Universitäten und technische Hochschulen und 30 Hochschulen wurden aufgelöst.
Neu hinzu kamen zweiundzwanzig Fachhochschulen, eine Form, die man in der DDR gar nicht kannte. Während sich bei politisch belasteten Fächern, zum Beispiel Geschichte oder Philosophie fast alles veränderte, blieb in Bereichen wie Ingenieurwissenschaften oder Medizin auch vieles erhalten.
Die Umgestaltung der Wissenschaftslandschaft in Ostdeutschland wird aus heutiger Sicht meist als Erfolg gewertet, nicht nur von Dirk Lewin.
Wenn man im Nachhinein diese Entwicklung noch mal so Revue passieren lässt muß man sagen, dass der Bund hier natürlich eine gigantische Leistung vollbracht hat, durch die recht unbürokratische Aufnahme der neuen Hochschulen in den neuen Ländern in den Hochschulförderplan und auch durch die Hochschulförderprogramme 1 und 2 die es von 1991 bis 1996 gab sind rund 650 Millionen zusätzlich in die neuen Länder geflossen, die in die Infrastruktur gesteckt wurden und gerade die HSP Programme wurden ja zu 75% vom Bund finanziert, also da muss man schon sagen, da ist viel getan worden.
Es ist ein gut funtionierendes Hochschulsystem etabliert worden, ostdeutsche Unis und FHs schnitten in den Rankings der letzten Jahre hervorragend ab. Allerdings gibt es Schönheitsfehler. Daran hatte vor allem der enorme Zeitdruck schuld, meint Wolf Wagner, Rektor der FH Erfurt.
Das ist eine der grossen Idiotien der Weltgeschichte aber die Weltgeschichte ist ja voll davon, das eben gesagt wurde, es muss ganz schnell gehen und da ist ein Modell, das selbst hoch reformbedürftig war, ist einfach dann mal bruchlos umgesetzt worden mit all den Fehlern und Verstrickungen die da drin sind.
Doch nicht nur die Unzulänglichkeiten des Wissenschaftssystems West wurden auf den Osten übertragen. Es blieb auch nichts vom Wissenschaftssystem Ost übrig – auch nichts Gutes. Etwa das gut organisierte Fernstudienangebot. Oder die Tatsache, dass Professoren in der DDR meist auch Profis im Unterrichten waren.
Die DDR Hochschulen hatten eine systematische Ausbildung in Hochschuldidaktik also wie man lehrt, das kennt die Bundesrepublik nicht, es werden immer Amateure dann zu Hochschullehrern, die zwar geforscht haben aber die Lehre amateurhaft von Amateuren beigebracht bekommen haben, das ist ein Skandal, der ist uralt, der wurde frisch-fröhlich wieder so etabliert, während die DDR hatte da sehr gute Strukturen, die man hätte übernehmen können aber nein, alles was DDR war ist ja schlecht.
Viel Anlass zu Kritik gab der Umgang mit den ostdeutschen Wissenschaftlern. Nur ein sehr kleiner Teil von ihnen hat die Wende beruflich erfolgreich überlebt. Tausende verloren in dem Transformationsprozeß ihre Stelle. Etwa weil es ihre Fächer, zum Beispiel Marxismus-Leninismus im neuen System nicht mehr gab oder weil man ihnen die nötige fachliche Qualifikation absprach. Weitere wurden arbeitslos, als Beziehungen zu Stasi, DDR-Staat und SED überprüft wurden. Und auch diejenigen, die alle Überprüfungen erfolgreich überstanden, mußten sehen wo sie blieben. Denn ihre früheren Arbeitsstellen wurden nach westlichen Regeln neu ausgeschrieben, die ehemaligen Inhaber mußten sich neu darauf bewerben. Nach Ansicht vieler ostdeutscher Wissenschaftler allerdings nicht mit den gleichen Chancen. Denn im Westen gelten Veröffentlichungen, vorzugsweise in angesehenen westlichen Journalen, als Indiz für Kompetenz und möglichst auch der eine oder andere Forschungsaufenthalt im Ausland. Zu beidem hatten ostdeutsche Wissenschafter praktisch keine Gelegenheit.
Wenn man nun nach einer gewissen Zeit das alles Revue passieren läßt, muß man sagen, dass diese Evaluierung auch mit sehr viel persönlichem Leid verbunden war, vielen jungen Ostdeutschen wurde die Karrierechance genommen, gerade die hochkarätigen Stellen wurden in der Regel ausgeschrieben und durch Personal besetzt, dass in den alten Ländern rekrutiert wurde, eigentlich meiner Meinung nach bedauerlich, weil damit viele Entwicklungsmöglichkeiten, die es gegeben hätte, vertan wurden.
Die Tatsache, dass viele Stellen mit Wessies besetzt wurden, denen man im Osten oft eine bestenfalls mittelmäßige Qualifikation unterstellte, blieb in der Wissenschaftslandschaft eine offene Wunde. Bis heute ist in den neuen Ländern nur ein Drittel der C4-Professuren, der am besten bezahlten, mit Ostdeutschen besetzt. Davon abgesehen werden die Wissenschaftler aus den neuen Ländern nach wie vor schlechter bezahlt. Die Forscher, die die Wende beruflich überlebten, sind zufrieden damit, nun in dem westlichen System zu arbeiten. Doch für die, die auf der Strecke blieben, ist das anders, hat Wolf Wagner festgestellt.
Vor einiger Zeit war ich damit befasst, wir sollten eine Evaluation der Evaluation machen, aber es stellte sich raus, es sind soviele Verletzungen passeirt, dass die Leute sich nicht noch einmal damit konfrontieren wollten.
Irgendwann im Jahr 1990 bekam Rainer Zech, damals Bildungsforscher an der Uni Hannover einen Brief von einem Kollegen aus Leipzig,
der das erste mal in seinem Leben kurz nach der Wende auf einem westdeutschen Kongress gewesen war und ein Buch von mir gekauft hatte und dann in diesem Buch feststellte, dass er und seine Forschungsgruppe in Leipzig fast analog seit vielen Jahren zu den Themen und zu den Methoden und zu den Theorien gearbeitet hatte, die wir im Westen auch als Grundlage unserer Forschung hatten.
Stefan Busse, so hieß der Leipziger Kollege, schickte auch ein Buch von sich selbst mit.
Und in der Tat bis in die Zitation hinein haben wir ähnliche Ziele verfolgt über viele viele Jahre ohne jemals voneinander erfahren zu haben und wahrscheinlich hätten wir auch niemals voneinander erfahren, wenn nicht ein Jahr vorher die Mauer zusammengebrochen wäre.
Nach diesem spontanen Kontakt entwickelte sich eine erstaunliche Dynamik. Schon ein paar Wochen später kam Stefan Busse mit einem Kollegen nach Hannover und bald darauf fuhr eine westdeutsche Forschergruppe nach Leipzig.
und das war unglaublich aufregend, weil Deutsche treffen Deutsche und wir sind alle Nachkriegskinder und hatten uns über die Tatsache, dass es sich um ein gemeinsames Land handeln könnte niemals Gedanken gemacht (...)und nun entdeckte man doch, dass es ganz so einfach nicht ist.
Dafür waren die jeweils fremden Deutschen jetzt umso spannender, nicht nur über Forschungsthemen auch über viel Privates redete man die Nächte durch.
mit hochroten Ohren und aufgeheizten Köpfen und dann sagte irgendjemand, ich weiss nicht mehr wer, mensch Leute wir sind alles Sozialwissenschaftler, lasst uns das dann doch einfach zu unserem gemeinsamen Forschungsprojekt machen. Und dann war’s da, so gings.
Die Wissenschaftler Ost und West machten kurzerhand ihre eigenen Biografien zum Forschungsgegenstand. Sie wollten herausfinden, ob und wie sich die einzelnen Menschen politisiert hatten, was es ihnen nützte und wie sie sich schadeten.
Und dann haben beide Seiten sich immer in Ost-West zusammengesetzten Paaren wechselseitig interviewt und diese Interviewtexte, biografische Interviews, jeder hat erzählt wie sein Leben vonstatten gegangen ist, wie er mit Politik konfrontiert wurde oder versucht hat ihr auszuweichen usw., diese Texte werden wortwörtlich abgeschrieben und die sind dann das eigentliche empirische Material, was einem komplizierten Auswertungsprozeß unterzogen wird.
Für Ossies und Wessies war es harte Arbeit, sich zu vertrauen und tatsächlich zu verständigen, erinnert sich Christiane Ehses, die auch an dem Projekt teilnahm.
Ich erinnere mich noch, dass am Anfang eine sehr empfindliche Stimmung herrschte, so ne kleine Forschungsgruppe ist ja auch ein Mikrokosmos ein Brennglas des Ganzen und die Republik war eben jetzt auch dünnhäutig insbesondere was eben den Osten anbetraf und dass bestimmte flapsige oder rotzige Bemerkungen sehr sehr schnell auch aufgeladen wurden, das war am Anfang häufig ne Situtation wo immer wieder ne große Gruppendynamik eingetreten ist.
Die Ostforscher hatten stärker das Gefühl, ihre Biografien rechtfertigen zu müssen, während die Westforscher eher einen ironischen Blick auf ihr Leben zurückwarfen. Es gab Mißverständnisse, aber auch einfach einen unterschiedlichen Umgang mit bestimmten Begriffen.
Zum Begriff Staat hatte die westliche Forschergruppe ein erheblich distanzierteres Verhältnis gehabt und sich auch lustig gemacht, auch wenn sich die Ostforschungsgruppe eher kritisch bis oppositionell positionierte in Teilbereichen, war das doch so ein feierlicher Topos der Staat, es war so der ernste Vater, der vielleicht etwas zerzaust war, aber doch über den durfte man sich nicht lustig machen.
In der Gruppe gab die eigene Biografie nicht immer das Bild, dass man sich eigentlich von sich selbst gemacht hatte. Wer sieht sich nicht gern als politisch aufgeklärt und konsequent, vielleicht sogar als kleiner Held? Unter der strengen Brille der Forschung bekamen die Idealbilder manchen Kratzer. Obwohl die Verständigung und Auseinandersetzung über das eigene Leben keineswegs immer nur das reine Zuckerschlecken war, sie hatte einen grossen Vorteil: alle waren Forschungsobjekt, Ossies und Wessies. Denn bei vielen wissenschaftlichen Untersuchungen, die nach der Wende starteten, wurde nur in eine Richtung geschaut: aus den alten in die neuen Länder. Bei manchen Ostdeutschen entstand der Eindruck, eine Art Zoo zu sein, in dem sich die westdeutschen Wissenschaftler mit "fremden Objekten" befassten.
Viele Forschungsgruppen sind daran kaputtgegangen, dass nur die Wessies über die Ostsituation geforscht haben und das hat uns neben der Tatsache, dass wir über uns selber geforscht haben von anderen Projekten unterschieden, es war sofort die Forschung über den Westen und über den Osten nicht die einen über die anderen. Das hat zu einer Form von Gleichberechtigung geführt (…) es wär gar nicht gegangen, dass wir nur die eine Fragerichtung ausführen in so nem Projekt.
Fünf Jahre lang haben sich die Leipziger und die Hannoveraner mit ihren Biografien beschäftigt – und dabei so einiges über einander erfahren.
Das ist übrigens heute noch so bei privaten Festen, dass die alten Erkenntnisse noch gelegentlich wieder aus der Tasche gezogen werden um den anderen wieder zu ertappen dabei, da hat das Ganze auch eine humoristische Seite.
Bis heute wird das empirische Material ausgewertet, es entstand ein Weiterbildungsseminar und zahlreiche Publikationen.
Und es ist natürlich noch was daraus entstanden, es sind Freundschaften daraus entstanden, die heute noch leben, wir sehen uns einfach regelmäßig.
Ich studiere Jura in Jena, ich hab den Studienplatz über die ZVS zugewiesen bekommen. Und ich muss jetzt sagen, dass ich super froh bin, weil in Ostdeutschland zu studieren ist schon was anderes als in Westdeutschland. Die Professoren kennen noch die Namen ihrer Studenten und die Hörsäle sind auch nicht so voll. Ich war kurze Zeit in Bonn an der Uni, was mir überhaupt nicht gefallen hat, weil man da noch nicht mal nen Sitzplatz kriegt.
Gleich nach der Wende galt als mutiger Pionier, wer sich zum Studium in den Osten wagte. Inzwischen stehen die Osthochschulen in den Rankings ganz oben und haben in der Gunst der Studierenden kräftig aufgeholt – wie eben bei Thekla Winter. Die deutsch-deutschen Beziehungen sind dabei unter den Studierenden meistens gar kein Thema mehr.
Allgemein muß ich sagen, dass das nicht so wichtig ist, ob jemand aus Ostdeutschland oder aus Westdeutschland ist.
Für Simon Fikenscher, im Osten aufgewachsen, hat die Qualität der Hochschulen allerdings durchaus auch etwas mit der ostdeutschen Geschichte zu tun:
Besonders in Fächern, wo alte Ost-Profs geblieben sind, die haben halt noch diese Mentalität, die haben das Bestreben, Studenten richtig zu betreuen, da gibt es zum Teil noch Studiengruppen von 20/30 Leuten, wo der Prof jeden Namen kennt.
Tatsächlich ist das Betreuungsverhältnis im Osten auch zahlenmässig besser als im Westen – auf einen Professor kommen deutlich weniger Studierende. Und die Ausstattung der Hochschulen ist nach der Wende meist komplett erneuert worden. In Chemnitz etwa gibt es für zehn Studierende einen PC – im Bundesdurchschnitt teilen sich knapp 40 Lernende einen Computer. Lauter Gründe dafür, dass die Studienzeiten in vielen Fächern im Osten deutlich kürzer sind als im Westen. Das hat eine Studie des Wissenschaftsrates im letzten Jahr gezeigt. Gerade in technischen Fächern sind die Stundenpläne durchorganisiert, so dass sich auch gut planen lässt. Praktikumssemester, die man sonst nur an Fachhochschulen kennt, helfen erste Kontakte zur Wirtschaft zu knüpfen.
Während man in Greifswald oder Ilmenau noch etwas mehr Eigeninitiative für die Freizeitgestaltung braucht, bieten Städte wie Dresden oder Leipzig alles was der Westen hat – und sogar noch mehr. Nämlich eine lebendige Studentenclubszene.
Die Moritzbastei ist einer der Studentenclubs hier in Leipzig und das ist halt ein Teil von der alten Verteidigungsanlage von der Leipziger Stadtmauer und ich glaube in den 60er Jahren ist das ausgegraben worden von Studenten der Uni Leipzig und seitdem isses halt n Studentenclub und wird auch von der Stadt und vom Studentenwerk gefördert. Es ist tagsüber ein Café und am Wochenende richtig Disko und für Erstsemester ist das Pflicht hier als allererstes hinzukommen.
Nina Wagner hat ihr komplettes Journalistik Studium in Leipzig verbracht und es nie bereut hierher gekommen zu sein. Denn auch die Lebenshaltungskosten sind niedrig. Eine schöne Altbauwohnung für 4-5 Euro Miete pro Quadratmeter – in Leipzig kein Problem. Jobs sind aber sowohl während als auch nach dem Studium schwer zu finden. Nina zählt immer noch zu einer Minderheit – nur 10-25 Prozent der Studierenden an den ostdeutschen Hochschulen kommen aus dem Westen. Die Wanderung zwischen alten und neuen Ländern hält sich also nach wie vor in Grenzen. Doch auch beispielsweise zwischen Schleswig Holstein und Bayern sind die Wanderungsströme nicht viel größer. Für einen Teil der Bewegung sorgt die ZVS – nicht immer zur Freude der Verschickten.
Ich studiere Medizin jetzt Gott sei Dank endlich in Freiburg. Ich hab mich vor vier Jahren bei der ZVS beworben, um einen Studienplatz in Bonn zu bekommen, bin dann aber nach Magdeburg geschickt worden und was ich dort festgestellt habe war, das irgendwie in ganz Magdeburg nur westdeutsche Studenten waren und als ich dann wieder zurück war, ich hab dann in Bonn Freunde besucht und dort waren überall die Studierenden aus Ostdeutschland.
Trotz ihres Ärgers hat sich Katharina Berg auf die Verschickung ihren Reim gemacht:
Naja gut, wir haben uns das dann im Endeffekt so gedacht, das man auf so eine Art und Weise Ost und West zusammenführen will, indem man hergeht und die Jugend von Westdeutschland nach Ostdeutschland schickt bzw von Ostdeutschland nach Westdeutschland und wir werden sehen.
Allein vom äusseren Erscheinungsbild haben meine Kollegin und ich ganz spontan uns das letzte Mal, in diesem Jahr, zugeraunt: man sieht es ihnen nicht mehr an! Die Kleidung ist gleich, der Habitus ist gleich, die Gesten sind ähnlich, selbst die Stimmen sind nicht mehr so unterschiedlich wie am Anfang, denn das ist uns allen aufgefallen, dass die Stimmen der Studentinnen in Erfurt oft zurückgezogener waren leiser waren, allein so eine Sache der Körpersprache.
Gesine Spiess, Professorin an der Fachhoschschule in Erfurt bringt seit sieben Jahren Studierende aus Ost- und Westdeutschland zusammen. Denn auch wenn äußerlich alles angeglichen ist, meint sie, gibt es noch vieles zwischen Ost und West, worüber sich zu reden lohnt. Heute, dreihzehn Jahre nach der Wende stößt sie damit auf gemischte Reaktionen.
Dieses Zur-Sprache–bringen hat zwei Reaktionen: einmal Abwehr, es gibt eine Reihe von Studentinnen, die sagen, ich fühle mich hier nicht als Ostdeutsche, ich fühle mich nicht mehr als DDR-Bürgerin und ich möchte auch nicht als solche subsummiert werden. Die andere sagt, ich bin das ewige Vergleichen zwischen Ost und West ohnehin satt, es gibt Spiesser in Lübeck, in Waldhausen oder in Weimar, das kann man nicht auf diesen groben Klotz Ost-West bringen. Und die Anderen sagen, doch es gibt grosse Unterschiede zwischen uns, zwischen dem östlichen Teil Deutschlands und dem westlichen, es gibt sie auch immer noch, ob wir sie zur Sprache bringen oder nicht, sie sind da und wir möchten darüber reden, denn nur was Sprache hat kann auch bewusst werden.
Gesine Spiess beschäftigt sich mit Geschlechterforschung, ihre Studentinnen besuchen deshab Frauen- und Mädchenprojekte in der jeweils anderen Stadt. In diesem Jahr waren die Städte Erfurt und Wiesbaden. Doch bei den Begegnungen geht es nicht nur um Fachfragen.
Es werden durch das Projekt, das wir verfolgen, unterschiedliche Ebenen angesprochen, sowohl die persönlich-biografische, die dann in die DDR reinreicht – je länger das Projekt dauert umso verschwommener natürlich die Erinnerungen an die DDR – aber auch die politisch gesellschaftliche und das dt.- dt. Verhältnis wird immer wieder zur Sprache gebracht.
Ziemlich schnell entdecken die Studierenden die schiefen Bilder über die andere Seite in ihren eigenen Köpfen.
Ein Beispiel ist der Stellenwert des Kindergartens, der öffentlichen Betreuung. Für die West-Studiernden ist der Gedanke, dass Kinder von Anfang an in Kollektiven erzogen werden ein abschreckender. Und einer der hinterfragt werden muss in dem Sinne, dass sie sich auch ganz fürsorglich und besorgt im privaten Gespräch an die jeweilige Gesprächspartnerin wenden und sagen, sag mal war das nicht schrecklich, so früh musstest du von deiner Mutter weg? Und dann kommen die Berichte, dass es eigentlich sehr schön war, dass es gute Erinnerungen gab, dass es ein fester Bestandteil im Leben war, dass man sich überhaupt nicht beschädigt fühlt, sondern durchaus auch bereichert. Dann kommt aber heraus, dass nicht alle im Kindergarten waren, dass es durchaus auch Kinder gab, die zuhause geblieben sind, dass es durchaus auch Mütter gab, die Teilzeitarbeit gemacht haben. Das sind Informationen, die neue sind.
Umgekehrt gilt das genauso.
Dann von östlicher Seite muss das Bild modifiziert und korrigiert werden, dass die Westfrau nur karrieresüchtig, nur männerfreindlich, nur elegant, nur selbstbewusst und wie die Klischees alle sind, dass es Unsicherheiten gibt, dass es Zaghaftigkeiten gibt, und dass die Berufs- und Lebensverläufe der Frauen und der jungen Frauen im Westen ganz ganz vielfältig sind und sich sehr schlecht unter diesen grossen Marke West oder Ost subsummieren lassen.
Viele Studierende aus dem Westen kommen mit dem Austausch zum ersten Mal in die neuen Bundesländer.
Und das nach so vielen Jahren. Das kennzeichnet aber die Situation, wie meine Studenten immer wieder sagen, wir sind mehr am Westen interessiert, der Westen ist nicht so am Osten interessiert, das ist eine Bemerkung die immer wieder auftaucht, und die auch ne Asymmetrie widerspiegelt.
Wie bewerten die Studierenden die DDR? Für die Wessies ist das einfach: ein Modell das nicht funktioniert hat, die Vergangenheit von anderen Leuten. Für die ostdeutschen Studenten läßt sich das nicht so leicht abhaken, schließlich ist die DDR ein Teil von ihnen selbst, auch wenn sie inzwischen vielleicht nur noch eine kurze Zeit ihres Lebens dort verbracht haben.
Wogegen sie sich durchgehend wehren ist die ständige Entwertung einer Vergangenheit die andere nicht erlebt haben. Das ist ein schwieriges Kapitel, denn der Westen beforscht zum großen Teil den Osten, das ist schon mal ein gebrochener Blick, auch wenn ich da lehre, habe ich einen sehr gebrochenen Blick. Ich hab ja dauernd den Vergleich im Kopf. (...) Sie möchten ihre eigene Stellung zur DDR finden und diese eigene Stellungnahme, die muß an ihnen eröffnen durch ne grosse Offenheit oder nicht durch vorgefasste Meinungen. Aber das ist ja nun mal Prinzip der Wissenschaft, sich offen zu halten.
Ich bin Jana Lis, ich studier hier Jure und versuch dabei gerade ein Staatsexamen zu machen. An der Bildugnspolitik stört mich bezüglich meines Studiums in erster Linie, dass das Studium nicht zum Exman passt, also dass im Examen viel mehr verlangt wird als im Studium geboten wird, dass hier weiterhin Professorenstellen gekürzt werden, dass Sachsen einen wesentlich größeren Verwaltungsapparat hat auf die gleiche Studentenzahl als andere Bundesländer und das sie lieber diesen einsparen sollten, als uns weitere Professoren wegzukürzen, besonders da wir nur noch zwei Strafrechtsprofessoren haben und wenn sie uns davon auch nocheinen wegnehmen, haben wir bald gar keine mehr.
Ich heiß Sebastian, ich studier Architektur im Augenblick und an der Bildungspolitik in Sachsen (...) sind eben die Sparmassnahmen, die hier überall durchgeführt werden und die in meinen Augen auf jeden Fall in ne Sackgasse führen und ich versteh das insgesamt nicht, weil es kann ja nicht die Perspektive von `nem Land sein, da genau zu sparen, was die Zukunft von nem Land auch darstellt.
Ich studiere Magister Erziehungswissenschaften und Philosophie und im Augenblick siehts für meine Fakultäten an der TU sehr brenzlig aus, dass eigentlich niemand so genau weiß, wie`s im nächsten Semester weitergehen soll. Diese Unruhe überträgt sich natürlich, merkt man an der ganzen Uni und das macht gerade gar nicht so richtig Spass hier zu studieren, dass man sich direkt überlegen muss, irgendwo anders hinzugehen.
Es kriselt in der blühenden Hochschullandschaft Ost. Kaum haben Studierende den Osten als gute und interessante Alternative zum Studium im Westen so richtig entdeckt, droht auch schon wieder der Kahlschlag. Vor allem Sachsens Hochschulen geht es aktuell ans Budget. Anfang des Jahres war hier der geplante Hochschulkonsens unter dem alten Ministerpräsidenten Biedenkopf gescheitert. Die Landesregierung wollte dabei gemeinsam mit den Universitäten festlegen, wieviel Geld sie bis 2010 bekommen und wieviel Personal sie abbauen müssen. Sachsens neuer Bildungsminister Mathias Rößler verhängte dann im Juni diesen Jahres einen Einstellungsstopp und sperrte dreissig Prozent der Sachmittel. Die Gründe für`s Sparen liegen auf dem Tisch: Sachsens Etat wird in den nächsten Jahren schrumpfen und ebenso die Zahl der Studierenden. Dirk Lewin vom Zentrum für Hochschulforschung Wittenberg
Seit 1989 gibts n deutlichen Geburtenknick, der noch verstärkt wird durch das Phänomen das viele qualifizierte Jugendliche oder auch junge Familien in die alten Länder abwandern, weil es einfach bessere Arbeitsmarktchancen oder Bildungschancen gibt, und es daher nach Meinung der Hochschulpolitik künftig nicht mehr genug Studierende geben könnte. Und wenn nicht mehr genügend Studierende da sind dann wird jetzt schon darüber nachgedacht inwieweit man hier finanzielle Eingriffe vornehmen kann um einen geplanten Ausbau gar nicht erst zustandekommen zu lassen oder teilweise schon zurückzufahren.
Was die Zahl der Studierenden angeht, waren in den Hochschulen der neuen Länder nach der Wende hohe Ziele gesteckt worden.
Zum Beispiel sah der Hochschulausbauplan für das Land Brandenburg vor eine Versiebenfachung der Studentenzahlen, für Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen ne Verdopplung bis zu ner Verdreifachung der Studierendenzahlen und das setzt voraus, dass man einen gewissen Ausbau der Hochschulen forciert hat und der Ausbau von Hochschulen ist immer mit Geld verbunden und das muss irgendwo der Finanzminister bewilligen und zur Zeit sind wir eh in einer Diskussion wo über Effizienz von Hochschulen und vor allen Dingen ne Output-Diskussion geführt wird, wieviele Absolventen kommen raus.
Für die sächsische Landesregierung kommen offenbar nicht genug Absolventen raus, denn sie will bis zum Jahr 2010 über 700 Stellen streichen, Studiengänge einsparen und einzelne Einrichtungen eventuell komplett streichen.
Und da bin ich persönlich der Meinung, dass dies ein fataler Fehler wäre, weil man angesichts von PISA, von OECD-Studien darüber nachdenken muß, inwieweit man in Deutschland das gesamte Bildungssystem noch mal auf den Prüfstand stellen muß, inwieweit man sowohl die Schule reformiert, aber auch inwieweit man darüber nachdenkt, ob nicht auch die Arbeitswelt künftig Berufsfelder generieren wird, die eine tertiäre Ausbildung erfordern, so daß man davon ausgehen könnte, dass ein höherer Anteil eines Jahrganges als jetzt an die Hochschulen kommen könnte. Ich meine Finnland ist ein gutes Beispiel dafür, dort gehen etwa 45% eines Altersjahrganges an die Hochschule.
In Deutschland sind es unter 30 Prozent. Mehr Studienanfänger gewinnen statt Angebote zu streichen, das könnte eine Alternative sein. Viele ostdeutsche Hochschulen haben schon intensive Werbekampagnen bei Abiturienten in Westdeutschland gestartet. Auch ausländische Studenten könnten die Absolventenzahlen hochtreiben. Doch Wolf Wagner, Rektor der Fachhochschule Erfurt weiß, dass die Anwerbung von Ausländern problematisch ist:
Die Ausländerfeindlichkeit ist sehr hoch in den neuen Bundesländern, und sie nimmt auch zu, die Wahrscheinlichkeit hier überfallen zu werden, wenn man erkennbar ausländisch ist, ist sehr viel höher, ich bewundere den Mut der Kommilitoninnen und Kommilitonen, die hierherkommen, denn die wissen ja, dass es gefährlich ist und wir tun alles, um die zu schützen, aber das Risiko ist da, dass einer von diesen ausgetickten Fremdenfeinden da irgendwas tut.
Nicht an allen ostdeutschen Hochschulen ist das Problem gleich gross, aber der Ruf Ostdeutschlands unter ausländischen Studenten und Wissenschaftlern ist nicht der beste. Wolf Wagner hofft, trotzdem weiterhin internationale Gäste nach Erfurt holen zu können.
Wir werden jetzt ne ganze Reihe Studierende aus Tschad bekommen und werden uns dann natürlich mit denen die aus Afrika hier schon sind zusammensetzen und fragen was für Überlebensstrategien habt ihr, wie macht ihr das? Es ist so der einzige Weg ist, dass immer mehr hierherkommen, die Leute sich immer mehr daran gewöhnen, dass sie da sind und dass es immer alltäglicher wird.
Inzwischen versuchen die sächsischen Hochschulen, ihre Finanzlöcher kreativ zu stopfen: Putzfrauen kommen seltener, kaputte Apparate warten länger auf Reparatur und neue Bücher für die Bibliotheken sind seit der Sachmittelsperre einfach nicht mehr drin. Alles keine Aktionen, die dem Hochschulstandort Ostdeutschland gut tuen, meint Achim Mehlhorn, Rektor der TU Dresden:
Das kann man vielleicht einmal überleben, aber wenn man das jetzt gewissermassen zur Methode macht, und jedes Jahr einen so beträchtlichen Teil des Sachbudgets sperrt, dann wird man also im Grunde eine permanent sinkende Qualität der Ausbildungsstätten ernten und entweder es kollabiert dann oder man muss viel mehr Geld ausgeben, um das Ganze dann wieder hochzufahren.
Bis zum 30. September hatten die sächsischen Rektoren nun Zeit, eigene Konzepte dafür vorzulegen, wie und wo sie sparen wollen. Mit ihren Vorschlägen soll nun ein neuer Konsens erarbeitet werden.