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"Bleicher Nachlass-Schatten" war Multitalent

Man kennt Erika Mann im Doppelpack mit Bruder Klaus, als Nachlasshüterin von Thomas Mann und als Kabarettistin in ihrer "Pfeffermühle". Sie war aber auch Schauspielerin und Kinderbuchautorin, Rennfahrerin und Reisejournalistin, Vortragsreisende und Kriegsreporterin. Dreimal zwangen sie die politischen Verhältnisse, wieder von vorn anzufangen.

Von Ulrike Rückert | 09.11.2005
    Bei Erika Manns Geburt am 9. November 1905 war Mutter Katia verärgert und Vater Thomas enttäuscht. Ein Mädchen! Sie war dann doch ihres Vaters liebstes Kind. Mit Bruder Klaus wollte sie die Welt erobern.

    "Ja, wir sind beide, nicht wahr, Klaus war siebzehn und ich war achtzehn, als wir nach Berlin kamen. Klaus wurde dann, ich glaube, dritter Theaterkritiker am 12-Uhr-Mittags-Blatt, und ich war die junge Schauspielerin bei Reinhardt."

    Mit einem Theaterstück von Klaus hatten sie einen Skandalerfolg. Sie reisten um die Welt und experimentierten mit Drogen. Erika schrieb Reiseberichte, Feuilletons und Kinderbücher. Sie liebte schnelle Autos und war Siegerin einer Europa-Rallye, sie heiratete Gustaf Gründgens und ließ sich wieder scheiden. Politik interessierte sie nicht.

    "Ich war ein junges Ding, und ich dachte, nun ja, Klaus ist ein Knabe, oder ein Mann, und das sind ja wohl Männersachen, die müssen das wohl tun, nicht wahr, mich persönlich geht das eigentlich gar nichts an."

    Das änderte sich. Am 1. Januar 1933 eröffnete Erika Mann in München das antifaschistische Kabarett "Pfeffermühle".

    "Nun war die Pfeffermühle so, und zwar war sie so angelegt von Anfang an, denn schon im Januar 33 in München konnte man ja nicht mehr direkt - also, wir waren indirekt. Wir haben alles gemacht mit Märchen, Parabeln, Gleichnissen aller Art. Wir haben nie einen Namen genannt, wir haben auch kein Land genannt. Wir waren indirekt, völlig eindeutig für unser Publikum, aber immer so, dass wir nachweisen konnten, wir haben politisch direkt nichts gesagt, und das war unsere Rettung [...]."

    Im März ging das Ensemble ins Exil. In Zürich konnte die "Pfeffermühle" wieder eröffnet werden.

    "Es haben sich gleich Tourneen daran geschlossen, erst durch die ganze Schweiz, dann durch ganz Holland, durch die ganze Tschechoslowakei, des weiteren durch Belgien, Luxemburg – kurzum, wir haben insgesamt in sieben Ländern gespielt, tausendundvierunddreißig Vorstellungen bis zum Jahre 37. Dann wurde es in Europa unmöglich, die Nazibedrohung war schon so, dass keines dieser Länder sich so etwas mehr leisten konnte."

    Der Versuch, in Amerika Fuß zu fassen, scheiterte. Das Ensemble löste sich auf, Erika Mann blieb in den USA.

    "Also, das Medium dort, womit man etwas machen konnte, waren für mich dann die sogenannten "lectures", also Vorträge."

    Als Rednerin bereiste sie den ganzen Kontinent. Sie sprach über Hitler-Deutschland und die Lage der Emigranten. In den Kriegsjahren ging sie als Journalistin nach Europa.

    "Ich habe den Krieg als Korrespondent ziemlich von Anfang an oder doch vom Jahr ’40 an mitgemacht. Ich war damals in London während der ganzen schweren Luftangriffe auf die englische Hauptstadt als Berichterstatter und auch als Rundfunksprecher. Ich war am BBC tätig und habe auf Einladung des englischen Propagandaministeriums nach Deutschland gerundfunkt, gebroadcasted, wie wir sagen."

    Als Kriegsreporterin berichtete sie aus Nordafrika und dem Nahen Osten. Sie war bei der Invasion in der Normandie dabei und kam mit der US-Armee nach Deutschland. Auch die Nürnberger Prozesse verfolgte sie als Korrespondentin.

    Den Deutschen gegenüber war sie zu keiner Nachsicht bereit, dafür attackierte man sie als Stalinistin. In Amerika war sie verdächtig, weil sie gegen die Politik des Kalten Kriegs Stellung nahm.

    "Die Amerikaner haben das ja dann ganz anders gemacht, McCarthy hat das anders gemacht als die Nazis. Man wurde gar nicht eingesperrt oder offiziell verboten, das gab’s ja gar nicht, man wurde abgewürgt."

    Erika Mann bekam keine Aufträge mehr.

    "Das hat mich sehr schockiert, in dem von mir unter Roosevelt so geliebten Amerika, sehr schockiert, dass ich diese Erfahrung nun zum dritten Mal machen musste."

    Sie wurde Thomas Manns Managerin und Lektorin. Mit den Eltern zog sie in die Schweiz. Nach Thomas Manns Tod verwaltete sie seinen Nachlass, wie auch den von Klaus Mann, der 1949 Selbstmord begangen hatte. Sie nannte sich selbst einen "bleichen Nachlassschatten". Schwere Krankheiten plagten sie, aber sie kaufte sich noch einen Sportwagen mit roten Polstern. 1969 starb sie an einem Gehirntumor.