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Blender und Hochstapler

In seinem Debütroman "Nachtfalken" lässt es der Autor Andreas Kurz richtig krachen: Die Figuren, die er in rasantem Tempo durch eine Großstadtnacht jagt, sind so recht aus dem krummen Holz der Satire geschnitzt, dass man sich bei der Lektüre der ebenso fesselnden wie komischen Geschichte köstlich amüsiert.

Von Jochen Rack | 25.07.2008
    Der Held, oder wie man besser sagen sollte: der Antiheld des Romans heißt Harry, auch genannt der Dünne, und ist der Typus eines echten Losers: Finanziell ist er klamm, schlägt sich mit Gelegenheitsjobs durch und muss sich von den bauchnabelfreien Frauen, denen er in einer Szenekneipe nachglotzt, wie Luft behandeln lassen. Um sich aus seiner Misere zu befreien, setzt er auf den Filmproduzenten Walter, der das genaue Gegenteil des unscheinbaren Harry ist: Ein Blender und Hochstapler, der seinen Größenwahn mit esoterischen Weisheiten veredelt und sich in seiner Villa die zuckersüß-doofe Raffaela zum Zeitvertreib hält. Walter hat einen großen Fisch am Haken, einen Investor namens König, dem er eine idiotische Game-Show schmackhaft machen will, für die er die Idee - wie sich am Ende herausstellen wird - skrupellos einem seiner Autoren geklaut hat. Als Lockvogel für König wirbt Harry eine schöne Blondine an, aber im Lauf der Nacht, in der Walter das große Geschäft zu machen sucht, läuft so ziemlich alles schief und die Handlung treibt auf einen grotesken Höhepunkt zu. - Normalerweise soll man Klappentexten nicht vertrauen, aber der Begriff "Pulp-Komödie", den Andreas Kurz für seine "Nachtfalken" reklamiert, ist die treffende Genre-Bezeichnung: Die schrägen Figuren, deren Wege sich in der überdrehten Geschichte kreuzen, erinnern durchaus an Quentin Tarantinos "Pulp Fiction" oder an "The Big Lebowski" der Brüder Coen:

    " Es ist eigentlich eine Komödie in dem Sinne, dass eine gute Komödie immer auch einen tragischen Hintergrund braucht. Die Figuren in einer Komödie bewegen sich in einer tragischen Welt, sie scheitern, sie kommen nicht zu dem, was sie sich wünschen, sie möchten etwas erreichen, was ihnen nicht gelingt, aber so wie sie danach streben, ist es natürlich ein Stück überzeichnet und lustig. Also eine Komödie zeichnet ja auch aus, dass sie nicht bloß Quatsch macht, sondern dass sie eigentlich das, was sie erzählt, dass das einen ernsten Hintergrund hat, sonst funktioniert das nicht, und die Vergeblichkeit der Figuren in dieser Komödie sind natürlich die Ironie bei dem Ganzen. Das ist das Drama und gleichzeitig die Ironie. "

    Andreas Kurz entwickelt seine gewitzte Geschichte als Parallelmontage von drei Handlungssträngen, die jeweils aus der personalen Perspektive Harrys, Walters und seiner Frau Raffaela erzählt sind. Während Walter am großen Geschäftsrad zu drehen versucht, Harry zufällig die Lehrerin Moni aufgabelt, die sich wider jede Erwartung in ihn verliebt, unternimmt Walters Frau Raffaela einen fragwürdigen Versuch, aus der Langeweile ihres Ehelebens auszubrechen - und was würde sich dazu besser eignen als ein erotisches Abenteuer, zu dem ihr ihre nymphomane Freundin Lona verhilft?

    " Raffaela, die ist eben die Freundin vom Walter und natürlich mit diesem Walter nicht sehr glücklich, weil sie Walter ja wenig umsorgt, wenig mit ihr macht, sondern sie mehr oder weniger als sein Heimchen am Herd betrachtet. Und die andere ist die Lona, die ihr ganz eigenes Spiel hat. Lona ist eine klassische Schlampe, tough, sie weiß, was sie will, und sie hat natürlich auch mit dem Walter schon eine Affäre gehabt, sie möchte, dass die Raffaela eine Affäre hat mit einem Türsteher, mit einem gut aussehenden Schwarzen, und das gelingt ihnen wobei natürlich Lona noch einen Hintergedanken hat, also sie macht das auch nicht, um Raffaela einen Gefallen zu tun, sondern Lona tut auch nur sich selbst immer wieder einen Gefallen. "

    Während das Dummchen Raffaela ein nicht ganz nach Plan verlaufendes sexuelles Abenteuer mit dem schwarzen Türsteher eines Nachtclubs erlebt, wird Harry verprügelt und der Investor König um seinen Geldkoffer wie um sein Leben gebracht. In der verrückten Nacht, in der Andreas Kurz´ unterhaltsame Geschichte spielt, scheint alles möglich und meistens passiert das Gegenteil des Erwarteten. -

    " Ich möchte unterhalten, ich finde das auch schlimm, wenn bei uns sich viele Autoren bemühen, für das Feuilleton zu schreiben oder für Buchpreise und sich dann alle Mühe geben, Geschichten zu erzählen, die schwierig sind, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, die historische Parallelen ziehen, deutsche Vergangenheit muss sehr schwer sein, tragisch sein, muss mit dem zweiten Weltkrieg zu tun haben, und dabei vergessen sie, dass wenn ich mich mit einem Buch zurückziehe, dass ich mitgenommen, unterhalten werden will und das tue ich gerne und bemühe mich drum, dass man's dann als solches lesen kann. "

    Zum Titel seines Romans "Nachfalken" hat sich Andreas Kurz durch das Gemälde "Night Hawks" von Edward Hopper inspirieren lassen, das die melancholische Stimmung nächtlicher Einsamkeit einfängt:

    " Beim Hopper gibt es diese berühmte Bild "Night Hawks", wo sie in einer Kneipe sitzen und wo eigentlich die Menschen, die dort drinsitzen, weniger miteinander kommunizieren, es ist ein Bild großer Einsamkeit. und dieses Bild symbolisiert ein Stückchen von diesen Nachtschwärmern, und "Nachtfalken" ist eine hanebüchene Übersetzung davon, der der Titel einer Komödie sein soll. Die Figuren reden ja mal über das Bild mal kurz.. "

    Die Zigarette schmeckte ihr genauso wenig wie der Whiskey. Ein filterloses, entsetzlich krümelndes Kraut. Sie nippte am Glas, zog ganz leicht an der Zigarette und stieß den Rauch ganz schnell wieder aus.
    "Night Hawks", sagte Serge.
    "Was?"
    Er sah sie nicht an, er sprach mit der Gläser- und Flaschenbatterie an der Wand gegenüber. "Kennst du das Bild nicht?", fragte er.
    "Was für ein Bild?"
    "Nachtfalken. Von diesem amerikanischen Maler. Edward Hopper. Es zeigt ein paar einsame Gestalten in einer Bar... ist weltberühmt."
    "Ich glaube nicht."
    "Starkes Bild... und vor allem starker Name. Night Hawks. Allein von den Postern, die heute noch jeden Tag verkauft werden, könnte einer gut leben, denk ich. Der Typ hat's drauf gehabt. Soll ein ziemliches Arschloch gewesen sein, aber er hat's drauf gehabt." Serge blies ein paar Rauchringe in die Luft. Zitternd wie taumelnd stiegen sie nach oben.
    "Nachtfalter", sagte Raffaela gedankenverloren.
    "Nachtfalter", grinste Serge, "das ist es. Wir sind nur beschissene Nachtfalter."


    Während sich Walter über seine beruflichen Misserfolge mit Hilfe eines buddhistisch gepamperten Egos hinwegtröstet und Raffaela ihre unerfüllte Sehnsucht durch einen flotten Dreier zu befriedigen sucht, hat Harry, der Dünne, in schwierigen Situationen immer eine coole Lebensweisheit seines Lieblingsschriftstellers Kaminsky parat, eines Underground-Poeten a la Bukowski, der - wie sich am Ende der Geschichte herausstellt - , seiner eigenen Phantasie entsprungen ist. Eigentlich ist Harry ein verhinderter Dichter:

    " Kaminsky ist das Alter ego des Dünnen, das ist eine Wunschfigur, wie er gerne wäre. Er wäre gern viel verankerter in der Welt, wäre gern viel souveräner, und er wäre gern Teil einer großen Welt, er möchte eigentlich nicht der Provinzler sein, als der er sich fühlt, er wäre gern lieber in einer großen Stadt wie New York und würde dort alle möglichen Weisheiten von sich geben. Das Ganze so etwas angehaucht wie Bukowski: Ich trinke viel, ich rauche viel, und pfeife auf die Konsequenzen und daraus schöpfe ich ungeheure Lebensweisheit und die verkünde ich dann, das ist etwas Besonderes. So ist dieser Kaminsky natürlich ganz stark, den hat sich der Dünne zum Vorbild genommen, als der er gerne wäre. Aber eine Undergroundfigur, wie man sich eine Undergroundfigur vorstellt, wenn man selbst nicht zum Underground gehört, wie man sich ein Märchen ausmalt, und deshalb sind ja auch die Kaminsky-Zitate und -gedichte in gewisser Weise witzig, aber in anderer Weise auch ein wenig abgeschmackt und ein wenig idiotisch, es fehlt, dass er das wirklich ist. Er hat diese Nächte nicht in New York verbracht, aber er macht seinen Vater draus, der ihm über die Schulter schaut und ihn behütet. "

    Andreas Kurz erzählt seine meisterhaft konstruierte Pulp-Komödie im passend flapsigen Tonfall und zeichnet das satirische Bild einer Medienbranche, in der es vor allem um heiße Luft, um Heuchelei, Intrigen, Korruption und professionellen Schwindel geht.

    " Ich habe mir schon einiges aus der Wirklichkeit mitgenommen, interessanterweise Kleinigkeiten, die im Buch übertrieben wirken, sind aus der Wirklichkeit übernommen, manche Sachen sind in der Wirklichkeit schon so wie eine Komödie oder Satire angelegt, man steht in vielem, ist mittendrin und denkt, eigentlich kann das nicht ganz wahr sein, was ich erlebe. In dem Buch bewegen sich einige echte, aus der Wirklichkeit gegriffene Personen, die das widerspiegeln, was man häufig antreffen kann, nämlich, dass wenn man etwas nur vorgibt zu sein, kommt man durchaus auch an sein Ziel, eine Erfahrung, die ich öfter gemacht habe, dass Leute, die mutig waren im Reden, Sachen erreicht haben, wo ich gedacht habe: Na toll, da hättest du dir viel Arbeit sparen können, wenn du das nicht so relativiert hättest, wenn du das so gemacht hättest, gesagt hättest, das hast du toll gemacht. Denn es gibt auch viele andere, die das auch glauben wollen. "

    Andreas Kurz hat die Blender und Hochstapler in seinem Roman "Nachtfalken" treffend aufs Korn genommen. Dass sein komischer Held Harry nach einem furiosen Showdown in einem romantischen Happy End sein unvermutetes Liebesglück findet, gehört zur ironischen Anlage dieses ebenso vergnüglichen wie spannenden Romans. - Eine flotte Gesellschaftssatire, wie man sie in der deutschen Gegenwartsliteratur nicht oft zu lesen bekommt.