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Blick auf das Epigenom
Die Maschinerie des Erbguts

Vor über zehn Jahren beendeten Wissenschaftler das größte Bio-Projekt aller Zeiten: Das Human-Genom-Projekt. Damals wurde die Erbinformation des Menschen vollständig entschlüsselt. Das Genom wurde zu einem wichtigen Werkzeug für Wissenschaft und Medizin, aber die erhofften Durchbrüche blieben aus. Heute nun bekommt das Genom Nachwuchs. Forscher aus aller Welt präsentieren eine Landkarte für das Epigenom.

Von Michael Lange | 18.02.2015
    Der menschliche Körper besteht aus zahlreichen Zelltypen, aus Hautzellen, Nervenzellen, Muskelzellen, Fettzellen und anderen. Alle diese Zelltypen besitzen das gleiche Erbgut. Ihr Genom ist identisch. Dennoch unterscheiden sie sich erheblich. Denn unterschiedliche Gene im Erbgut sind aktiv. Chemische Markierungen auf dem Erbmolekül DNA steuern die Aktivität der Gene. Ihre Gesamtheit nennen Wissenschaftler "das Epigenom." Gemeinsam mit vielen Kolleginnen und Kollegen legt der Bioinformatiker Manolis Kellis vom Massachusetts Institute of Technology, MIT, nun eine Landkarte vor. Sie soll Wissenschaftlern und Medizinern helfen, sich im Epigenom zurechtzufinden.
    "Das menschliche Epigenom ist eine Sammlung chemischer Anhängsel, so genannter Methylgruppen. Sie sind direkt an das Erbmolekül DNA gebunden, oft an bestimmte Steuerungselemente. Außerdem geht es um die Verpackung des Erbmoleküls DNA. Beide Faktoren steuern die Aktivität der DNA, und wir haben sie in über hundert verschiedenen Körpergeweben und Zelltypen untersucht."
    150 Millionen Erbgutfragmente wurden entziffert
    Die Informationsmenge dieser ersten großen Karte des Epigenoms ist gewaltig. 150 Millionen Erbgutfragmente wurden entziffert. So entstand eine Datenmenge, 3.000 Mal so groß wie das vollständige Genom eines Menschen. Auch erste Auswertungen liegen bereits vor. So wurde die Entwicklung von Stammzellen zu Nervenzellen epigenetisch untersucht.
    Erste Ergebnisse zeigen außerdem, dass sich Krankheiten wie Alzheimer durch das Epigenom besser verstehen lassen.
    Und dennoch ist die neue Landkarte des Epigenoms für Manolis Kellis nur ein Anfang. Mit dieser Landkarte beginne die Dekade der Epigenomik, sagt er.
    "Jetzt müssen wir herausfinden, wie sich das Epigenom einzelner Personen unterscheidet. Das macht die Auswertung dieser Informationen noch komplizierter. Umwelt und Lebensstil fließen dann mit ein – wie wir uns ernähren, wo wir leben, wie viel wir uns bewegen. All das beeinflusst das Epigenom und wird uns mindestens die nächsten zehn Jahre beschäftigen."
    Die Erkundung hat begonnen
    Insbesondere die Krebsmedizin verbindet viele Hoffnungen mit der neuen Forschungsrichtung. So zeigen erste Untersuchungen bereits, dass sich mithilfe des Epigenoms der Ursprung einer Krebserkrankung aufspüren lässt. Und wenn man weiß, wie und wo der Krebs begonnen hat, kann das zu einer besseren und zielgenaueren Behandlung beitragen.
    Eine etablierte Vorstellung der Fachleute wurde durch die neuen Daten bereits wiederlegt, erklärt John Stamatoyannopoulos von der University of Washington in Seattle.
    "Bisher ging man davon aus, dass die Bereiche des Erbguts, die nur locker verpackt sind, besonders empfindlich sind für Krebs. Man glaubte: Sie sind weniger geschützt vor Chemikalien oder Strahlung, und deshalb entstehen mehr Mutationen, die zu Krebs führen können. Aber es ist genau umgekehrt. Die dicht gepackten Bereiche der DNA sind stärker gefährdet. Denn die Reparatur-Maschinerie kommt nicht an sie heran. Die Reparaturtrupps der Zelle reparieren die Schäden viel besser, wenn das Erbmolekül DNA nur locker verpackt ist."
    Die Landkarte des Epigenoms liegt nun vor, aber die Erkundung des neuen Landes hat erst begonnen.