Christopher de Bellaigues Buch ist ein Erlebnisbericht, gleichzeitig aber erklärt der Autor auch historische Hintergründe. De Bellaigue porträtiert herausragende Menschen und Orte. Er fährt in die Theologenstadt Ghom, das religiöse Epizentrum des Iran, der Ort, an dem die herrschende Ideologie ihren Anfang nahm. Er spricht mit den maßgeblichen Theologen des Landes, die jene Ideologie entwickelt haben, die den Iran heute prägt: Theokratie, Anti-Zionismus, Amerikafeindlichkeit. So wird dem Leser verständlich, was diese Männer, die bei uns gerne leicht abfällig "die Mullahs" genannt werden, eigentlich lesen, denken, worüber sie sprechen. In Ghom trifft Bellaigue beispielsweise auch Zarif. Er besucht dort die theologischen Seminare, um, wie er sagt, die Schönheit zu finden.
"Zarif fand die Schönheit im meditativen Leben – und in den Texten. Diskussionen und der Überbau wissenschaftlicher Streitgespräche waren Teil dieser Schönheit. Aber (…) wie man es in einer Institution erwarten kann, in der eine strikte Hierarchie herrscht, gibt es in einem Seminar immer viel Stolz. Zarif begann, diesen Stolz zu verabscheuen."
Dann aber trifft Zarif einen zweiten Theologen, der ihn durch sein Beispiel die wahre Hingabe lehrt. So werden im Buch zwei Typen des Mullahs einander gegenüber gestellt: der nur vordergründig fromme Karriere-Geistliche der islamischen Theokratie und der aufrichtig demutsvolle Diener Gottes. De Bellaigue mischt Reportage und Analyse. Doch die narrativen Elemente überwiegen, nur gelegentlich lässt er die eigene Einschätzung einfließen, und immer wieder schimmert das Erstaunen des Betrachters über das durch, was der Iran ihm an Kuriosem oder Absurdem bietet.
"Konspirationen sind ungeheuer unterhaltsam, und sie können ansteckend sein. Je länger ich in Iran lebe, desto mehr schließe ich mich der verbreiteten und (mit Sicherheit!) schwachsinnigen Meinung an, dass die Islamische Revolution von den Briten herbeigeführt worden sei, die es nicht verwinden konnten, dass sie ihre dominierende Stellung in der Weltpolitik an die Amerikaner verloren hatten. Manchmal finde ich es weit hergeholt, dass ich meine Frau aus Liebe und nicht aus strategischem Interesse geheiratet haben soll, dass ich an der Universität aus anderen Gründen als aus nationaler Berechnung Persisch studiert haben soll, dass es mir um mein eigenes Fortkommen und mein eigenes Glück gehen soll und nicht um die Rückgewinnung der globalen Herrschaft Großbritanniens."
De Bellaigue spricht auch mit ganz einfachen Leuten auf der Straße, befragt sie zu ihren Erlebnissen während der Revolution oder im Krieg zwischen Iran und Irak, den der Irak im Jahre 1980 begann und der erst acht Jahre später endete. Das Kapitel über die Veteranen des Iran-Irak-Krieges ist eines der herausragenden in Bellaigues Buch. Die einstigen Revolutionäre und Soldaten berichten von großem Kampfesgeist, aber auch von gewaltigen Ängsten. Sie waren miserabel ausgerüstet. Um die Unterlegenheit auszugleichen, wurden tausende junger Menschen rekrutiert und als Minensucher auf die Felder geschickt.
"Spaten wurden ausgeteilt, und die Jungen machten sich an die Arbeit. Kurz darauf gab es eine Explosion. Alle sahen auf. Einem der Jungen schoss Blut aus den Augen, und seine Arme waren nur noch Stümpfe. Der Anführer drohte, jeden zu erschießen, der von seiner Arbeit aufstand. Die Jungen arbeiteten weiter und sprengten sich weiter in die Luft. Einer von ihnen warf seinen Spaten weg und rannte taumelnd und ziellos umher. Ein zweiter folgte seinem Beispiel. Beide verloren ein Bein."
De Bellaigue hat mit vielen dieser damals jungen Männer gesprochen. Er sucht nach Erklärungen für ihre bedingungslose Gehorsamkeit, ihren Fanatismus: Mit einem kleinen Metall- später dann einem Plastik-Schlüsselchen "für das Paradies" um den Hals wurden sie ausgerüstet. Als Märtyrer würden sie in den Himmel eingehen, wenn sie sterben, sagte man ihnen. Auch Alavi-Tabar gehört dieser verlorenen Generation an, die für die Revolution gekämpft hat, weil sie Freiheit wollte, und dann einen Krieg durchstehen musste, weil sie Freiheit wollte. Und wofür all das?
Heute blickt Alavi-Tabar auf eine mehrjährige Gefängnisstrafe zurück. Er hatte eine Zeitung gegründet und darin den Zustand der Islamischen Republik kritisch hinterfragt. Diese Republik war irgendwann nicht mehr das, wofür er gekämpft hatte - ein Land, in dem jede von der Staatsdoktrin abweichende Meinung an den Pranger gestellt wird, eine kritische Bemerkung eine Gefängnisstrafe oder gar den Tod zur Folge hat. Pessimistisch ist er dennoch nicht, berichtet de Bellaigue, dem Alavi-Tabar auf seine Zweifel an einer positiven Entwicklung des Iran entgegnet:
"Ihr im Westen habt vergessen, dass die Freiheit einen Preis hat. Wir kennen den Wert der Freiheit, und wir sind bereit, den Preis zu bezahlen."
Viele zahlen und zahlten einen hohen Preis. Das Politikerehepaar Forouhar beispielsweise, das Bellaigue ebenfalls porträtiert. Regimekritische Intellektuelle und Politiker wurden 1998 Opfer einer Mordserie, der so genannten Kettenmorde. Diese Morde, für die – wie sich später herausstellte - der Geheimdienst verantwortlich war, sollten das System destabilisieren. Zu den ersten Opfern zählten Darioush Forouhar und seine Frau Parwaneh Eskaandari, zwei politische Aktivisten der "Partei des Iranischen Volkes". Der Mord glich einer Hinrichtung. Mit mehr als 20 Messerstichen in der Brust wurde Parvaneh Eskandari in ihrer Wohnung aufgefunden. Seither müht sich die Tochter der beiden, die in Deutschland lebende Künstlerin Parastou Forouhar um eine Aufklärung der Fälle. Auch sie und ihren Kampf beschreibt De Bellaigue:
"Ihr Lachen ist das erste, was den Menschen auffällt, wenn sie ihr begegnen. Wenn man daran denkt, was geschehen ist, mag das deplaziert erscheinen. Aber Humor war ungeheuer wichtig für die Forouhars – es war ihre Art, die Stimmung zu heben und sich über die Tyrannen lustig zu machen. Diktaturen vertragen es sehr schlecht, lächerlich gemacht zu werden. Wenn sie von Iran spricht, verwendet Parastou ein Wort, das Gefühl bedeutet, Hess, und so, wie sie es ausspricht, klingt es sowohl gehaucht als auch zischend, ausgedehnt über ein Ausatmen von Zigarettenrauch. Iran ist ein Hess, ein Ideal, eine Tragödie."
Das und warum das so ist, beschreibt de Bellaigue mit großer Sachkenntnis. Dieses Buch ist wahrscheinlich das einfühlsamste und spannendste, was in den letzten Jahren über Iran geschrieben worden ist. Es fehlt kein wichtiges Thema, das die iranische Geschichte in den letzten 26 Jahren bestimmt hat. Der Autor hat mit allen erdenklichen Protagonisten gesprochen. Und vor allem: Er erklärt die Eigenheiten und Spezifika der – wenn der Begriff erlaubt ist – "iranischen Volksseele". Beeindruckende Sachkenntnis und zugleich ein spannendes Leseerlebnis – das ist das große Verdienst dieses Buches.
Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer.
Verlag C.H. Beck, München 2006
341 Seiten, 24,90 Euro.
"Zarif fand die Schönheit im meditativen Leben – und in den Texten. Diskussionen und der Überbau wissenschaftlicher Streitgespräche waren Teil dieser Schönheit. Aber (…) wie man es in einer Institution erwarten kann, in der eine strikte Hierarchie herrscht, gibt es in einem Seminar immer viel Stolz. Zarif begann, diesen Stolz zu verabscheuen."
Dann aber trifft Zarif einen zweiten Theologen, der ihn durch sein Beispiel die wahre Hingabe lehrt. So werden im Buch zwei Typen des Mullahs einander gegenüber gestellt: der nur vordergründig fromme Karriere-Geistliche der islamischen Theokratie und der aufrichtig demutsvolle Diener Gottes. De Bellaigue mischt Reportage und Analyse. Doch die narrativen Elemente überwiegen, nur gelegentlich lässt er die eigene Einschätzung einfließen, und immer wieder schimmert das Erstaunen des Betrachters über das durch, was der Iran ihm an Kuriosem oder Absurdem bietet.
"Konspirationen sind ungeheuer unterhaltsam, und sie können ansteckend sein. Je länger ich in Iran lebe, desto mehr schließe ich mich der verbreiteten und (mit Sicherheit!) schwachsinnigen Meinung an, dass die Islamische Revolution von den Briten herbeigeführt worden sei, die es nicht verwinden konnten, dass sie ihre dominierende Stellung in der Weltpolitik an die Amerikaner verloren hatten. Manchmal finde ich es weit hergeholt, dass ich meine Frau aus Liebe und nicht aus strategischem Interesse geheiratet haben soll, dass ich an der Universität aus anderen Gründen als aus nationaler Berechnung Persisch studiert haben soll, dass es mir um mein eigenes Fortkommen und mein eigenes Glück gehen soll und nicht um die Rückgewinnung der globalen Herrschaft Großbritanniens."
De Bellaigue spricht auch mit ganz einfachen Leuten auf der Straße, befragt sie zu ihren Erlebnissen während der Revolution oder im Krieg zwischen Iran und Irak, den der Irak im Jahre 1980 begann und der erst acht Jahre später endete. Das Kapitel über die Veteranen des Iran-Irak-Krieges ist eines der herausragenden in Bellaigues Buch. Die einstigen Revolutionäre und Soldaten berichten von großem Kampfesgeist, aber auch von gewaltigen Ängsten. Sie waren miserabel ausgerüstet. Um die Unterlegenheit auszugleichen, wurden tausende junger Menschen rekrutiert und als Minensucher auf die Felder geschickt.
"Spaten wurden ausgeteilt, und die Jungen machten sich an die Arbeit. Kurz darauf gab es eine Explosion. Alle sahen auf. Einem der Jungen schoss Blut aus den Augen, und seine Arme waren nur noch Stümpfe. Der Anführer drohte, jeden zu erschießen, der von seiner Arbeit aufstand. Die Jungen arbeiteten weiter und sprengten sich weiter in die Luft. Einer von ihnen warf seinen Spaten weg und rannte taumelnd und ziellos umher. Ein zweiter folgte seinem Beispiel. Beide verloren ein Bein."
De Bellaigue hat mit vielen dieser damals jungen Männer gesprochen. Er sucht nach Erklärungen für ihre bedingungslose Gehorsamkeit, ihren Fanatismus: Mit einem kleinen Metall- später dann einem Plastik-Schlüsselchen "für das Paradies" um den Hals wurden sie ausgerüstet. Als Märtyrer würden sie in den Himmel eingehen, wenn sie sterben, sagte man ihnen. Auch Alavi-Tabar gehört dieser verlorenen Generation an, die für die Revolution gekämpft hat, weil sie Freiheit wollte, und dann einen Krieg durchstehen musste, weil sie Freiheit wollte. Und wofür all das?
Heute blickt Alavi-Tabar auf eine mehrjährige Gefängnisstrafe zurück. Er hatte eine Zeitung gegründet und darin den Zustand der Islamischen Republik kritisch hinterfragt. Diese Republik war irgendwann nicht mehr das, wofür er gekämpft hatte - ein Land, in dem jede von der Staatsdoktrin abweichende Meinung an den Pranger gestellt wird, eine kritische Bemerkung eine Gefängnisstrafe oder gar den Tod zur Folge hat. Pessimistisch ist er dennoch nicht, berichtet de Bellaigue, dem Alavi-Tabar auf seine Zweifel an einer positiven Entwicklung des Iran entgegnet:
"Ihr im Westen habt vergessen, dass die Freiheit einen Preis hat. Wir kennen den Wert der Freiheit, und wir sind bereit, den Preis zu bezahlen."
Viele zahlen und zahlten einen hohen Preis. Das Politikerehepaar Forouhar beispielsweise, das Bellaigue ebenfalls porträtiert. Regimekritische Intellektuelle und Politiker wurden 1998 Opfer einer Mordserie, der so genannten Kettenmorde. Diese Morde, für die – wie sich später herausstellte - der Geheimdienst verantwortlich war, sollten das System destabilisieren. Zu den ersten Opfern zählten Darioush Forouhar und seine Frau Parwaneh Eskaandari, zwei politische Aktivisten der "Partei des Iranischen Volkes". Der Mord glich einer Hinrichtung. Mit mehr als 20 Messerstichen in der Brust wurde Parvaneh Eskandari in ihrer Wohnung aufgefunden. Seither müht sich die Tochter der beiden, die in Deutschland lebende Künstlerin Parastou Forouhar um eine Aufklärung der Fälle. Auch sie und ihren Kampf beschreibt De Bellaigue:
"Ihr Lachen ist das erste, was den Menschen auffällt, wenn sie ihr begegnen. Wenn man daran denkt, was geschehen ist, mag das deplaziert erscheinen. Aber Humor war ungeheuer wichtig für die Forouhars – es war ihre Art, die Stimmung zu heben und sich über die Tyrannen lustig zu machen. Diktaturen vertragen es sehr schlecht, lächerlich gemacht zu werden. Wenn sie von Iran spricht, verwendet Parastou ein Wort, das Gefühl bedeutet, Hess, und so, wie sie es ausspricht, klingt es sowohl gehaucht als auch zischend, ausgedehnt über ein Ausatmen von Zigarettenrauch. Iran ist ein Hess, ein Ideal, eine Tragödie."
Das und warum das so ist, beschreibt de Bellaigue mit großer Sachkenntnis. Dieses Buch ist wahrscheinlich das einfühlsamste und spannendste, was in den letzten Jahren über Iran geschrieben worden ist. Es fehlt kein wichtiges Thema, das die iranische Geschichte in den letzten 26 Jahren bestimmt hat. Der Autor hat mit allen erdenklichen Protagonisten gesprochen. Und vor allem: Er erklärt die Eigenheiten und Spezifika der – wenn der Begriff erlaubt ist – "iranischen Volksseele". Beeindruckende Sachkenntnis und zugleich ein spannendes Leseerlebnis – das ist das große Verdienst dieses Buches.
Christopher de Bellaigue: Im Rosengarten der Märtyrer.
Verlag C.H. Beck, München 2006
341 Seiten, 24,90 Euro.