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Blick durchs Schlüsselloch

Es wird privat in der Ludwiggalerie Oberhausen. Ihre Schau "At home – der Blick durch das Schlüsselloch – gesehen durch die Kunst” ist eine umfassende Feldforschung über das Wohnen im Ruhrgebiet: mit Fotos, Videos, Skulpturen und Lieblingsstücken, die Bürger zur Verfügung gestellt haben.

Von Peter Backof |
    "So, es gibt aber immer noch die Irritation und deshalb hab ich da hinten die bekannten und immer wieder vorkommenden Nachtskonsölchen sehen, na ja, das Persönliche, was mit dem Wohnen zu tun hat, das ist unser Ansatz."

    Wir hören hier der Presseführung von "At home" zu. Christine Vogt, Direktorin der Oberhausener Ludwiggalerie, führt uns über drei Etagen. Da beschleicht einen Panik, eine solche Führung könnte in der eigenen Wohnung stattfinden. Post Privacy, das Ende der Privatsphäre: Wir Betrachter kommen den Menschen in all diesen Fotos, Videos und Skulpturen sehr nahe. Wir sehen und hören mehrere Hundert Homestorys.

    "Ja, ich hab auch die ganze Zeit Angst gehabt vor der Frage: Dürfen wir denn bei Ihnen auch mal durch's Schlüsselloch gucken?"

    Bekennt Nina Dunkmann, Kuratorin. "At home" ist die erste Ausstellung, die sie verantwortet.

    "Wir spielen mit den Klischees, die findet man hier."

    Die Nachtskonsölchen, die Knicksgen in den Kissen, die überladenen Kunstgoldrahmen.

    "Aber die brechen wir ja auch! Selbst die Hempels sind ja wieder irgendwie stylo, ne? Das ist ja schon wieder ne eigene Kultur."

    Gerne als Zitat aufgegriffen von jungen Ruhris wie Nina Dunkmann selbst - und von Künstlern wie Barbara Deblitz. Sie hat eine schaurig schöne Lampe aus Glas geformt: Da thront ein Kakadu in den Farbtönen Rosé, Bleu und Hornhautumbra auf einem Weinglas.
    Demgegenüber eine Rentnerin in einem Video:

    "Hat er sich beruhigt, ne' – Ich hätte gerne in einer schönen Gegend gewohnt, aber es gibt andere Dinge, die für uns jetzt jedenfalls zählen."

    Die Dame wohnt mit einem echten Kakadu, ganz unironisch, gutbürgerlich. Und es ist nicht die Absicht von "At home", sich über Geschmäcker zu belustigen, sondern eine Psychologie des Wohnens herauszuarbeiten. Manche Fotoserien reichen zurück bis in die 1950er, 40er, 30er-Jahre. Das Ruhrgebiet wohnte eng aufeinander, besuchte sich in der Nachbarschaft. In der Wohnung der Rentnerin gibt es heute noch diese vielen Stühle in der Wohnküche, all diese Sofas und Sessel, die früher eifrig genutzt wurden. Daher das Überladene und auch das Pragmatische, das Ruhrgebietswohnungen ausmacht. Manche bis heute. Eine These der Ausstellung.

    "I went to the bakery: 'Isch möchte Brot', and then I made like a chicken."

    Mit Händen und Füßen bestellt ein junger Mann in einem anderen Video ein Vollkornbrot. Er ist kein klassischer Gastarbeiter mehr, sondern für ein halbes Jahr gekommen, um an einem Medienprojekt mitzuarbeiten. Das ist die neue Internationalität des Potts: man kommt nicht mehr, um sich dauerhaft einzurichten. Oder doch. Alles gibt es. Ein schönes Bild für das große Patchwork aus Lebensentwürfen zeigt Judith Saupper: Mit ihr blicken wir durchs Schlüsselloch in ein Miniatur-Mietshaus. Dort wohnen, herrlich komisch, ein Büchernarr, ein Bombenbauer und ein Verschwörungstheoretiker übereinander. Das Ruhrgebiet heute: mehr Vielfalt als Klischee.

    Christine Vogt: "So, jetzt hoffen wir, dass sie alle entspannt und wohnlich nach Hause finden, ihre Sessel, ihre Sofas mit anderen Augen sehen und auch das Ruhrgebiet noch mal etwas anders betrachten."