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Blick in die Feuilletons

Ulrich Clauss befasst sich in der Welt mit den Folterbildern aus irakischen Gefängnissen. Er schreibt: "Seit den Anfängen des zweiten Golfkrieges geht ein Gespenst um. Es wird in Hamburger Salons ebenso wie in Berliner Autonomenhöhlen gesichtet. es geistert über Kirchentage und Akademieflure. Es heißt "Medienkrieg" und sorgt für Ablenkung, wenn es im Fernsehen allzu fantastisch zugeht. "Medienkrieg" meint die Behauptung von der prinzipiellen Unsichtbarkeit des Krieges im digitalen Zeitalter. Weil, so geht die Rede, das technisch geschossene Bild – ebenso wie die geschossene Kugel – eine Waffe sei, ist es kein Medium der Aufklärung mehr, sondern ein weiteres Waffensystem".

Von Jochen Thies |
    Claus kommt aufgrund der veröffentlichen Fotos dann zu diesem Schluss: "Wenn aber diese Photos authentisch sind, bekommt der Mythos von der absoluten Bilderhoheit des Kriegsherrn im elektronischen Zeitalter an anderer Stelle eine Delle. Denn es wird offenbar, dass der noch so überlegene Kriegsherr die Medienhoheit einzig im Moment des Geschehens selbst hat und danach sofort wieder verliert. Die Punktherrschaft über die technische Echtzeit zerrinnt im Stundenglas".
    Ulrich Raulff geht in der Süddeutschen Zeitung ebenfalls auf dieses Thema ein und merkt an: "Die Szenen, die wir angewidert betrachten, zeigen nicht die Realität der Folter. Wir blicken auf tableaux vivants. Die Folterer und die beklagenswerten Opfer stellen Szenen aus der Bildergeschichte der menschlichen Infamie nach. Ob sie jemals Goya gesehen haben oder Pasolini, oder ob sie nur die Fotos aus Magazinen der SM-Szene kennen, tut nichts zur Sache. Die Bilder erkennen einander wie Hunde am Geruch".

    Danach schlägt Raulff eine interessante Verbindung: "Und was war mit den Soldaten des Ersten Weltkriegs, die stolz vor irgendwelchen Trümmerbergen in Belgien oder Frankreich posierten? Was mit den deutschen Truppen im Ostfeldzug, die trotz strenger Verbote Tausende von Fotos aus der Hölle der Sonderoperationen mit sich herumtrugen? Ohne ihre namenlose Lust am Bild wäre die Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht nie möglich gewesen". Raulff weiter: "Der Krieg ist immer die größte Bildermaschine gewesen, die die Menschheit begleitet hat; er produziert nicht nur zerrissene Körper und verbrannte Städte. Er produziert auch grausame Schauspiele...Die Bilder, die der Krieg und seine Agenten heute produzieren, sind nicht schlimmer und nicht widerlicher als die Bilder früherer Kriege. Es sind nur die Bilder unserer Zeit".

    Dennoch ist der Imageschaden für Amerika schon heute beträchtlich, vielleicht irreparabel. Adrian Kreye berichtet in der Süddeutschen Zeitung, dass in Hamburg zahlreiche Lokale den Ausschank von Coca Cola und den Verkauf von Marlboro-Zigaretten eingestellt haben und American-Express-Kreditkarten zur Bezahlung nicht länger akzeptieren. Bei einer Konferenz in New York waren sich die Experten einig, dass die die Marke Amerika schweren Schaden genommen hat, mit unabsehbaren Folgen für die Wirtschaft.

    Kreye weiter: "Dabei ist klar, dass die wirtschaftlichen Folgen des Antiamerikanismus nur einen Ausschnitt aus der Problempalette darstellen. ‚Wir sollten uns’, mahnte der Chef der Werbeagentur DDB Worldwide, Keith Reinhardt, ‚an unsere Vergangenheit erinnern – an den Zweiten Weltkrieg, als der Hass auf die Regierungen von Deutschland, Japan und Italien bald in einen Hass auf die Völker dieser Länder umschlug’. Die Wirtschaft müsse allerdings das Ihre zu der Lösung beitragen – aus purem Eigeninteresse. So sieht es auch John Quelche, der an der Harvard Business School lehrt: ‚Das Problem ist zu wichtig, um es der Regierung und den Behörden zu überlassen. Es sind die multinationalen Firmen, die in eine Umkehr dieses Trends investieren müssen, schon um auf lange Sicht ihr Wachstum zu sichern’".

    In Frankreich gibt es eine große Debatte über die Folgen des Terrorismus. Francois Heisbourg bezeichnet die neue Entwicklung als Hyperterrorismus, Paul Virilio spricht von einem "Wissensunfall". Denn der Hyperterrorismus bedroht, wie Martina Meister in der Frankfurter Rundschau schreibt, "nicht nur den Alltag; er hat längst einen Anschlag auf unser Denken verübt, vergleichbar in den Ausmaßen mit den Erschütterungen von Auschwitz und Hiroshima.
    Paul Virilios neuester Buchtitel heißt "Ville panique". Die panische Stadt. Martina Meister erklärt: "Als Urbanist demonstriert Virilio, wie die Orte der auf Megalopolenmass verdichteten Fortschrittlichkeit Opfer eben dieses Fortschritts werden. ‚Die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts war die Stadt’, schreibt Virilio und listet die ‚panischen Städte’ auf, die wie New York, Bagdad, Jerusalem das Desaster des Fortschritts verkörpern. Die hochmodernen und hoch technisierten Städte erweisen sich als Achillessehne unserer Zivilisation: Hier ist die westliche Zivilisation zugleich am stärksten und am fragilsten. Hier kann man sie ins Herz treffen".

    Virilio sieht durch massenmediale Gleichschaltung eine "Emotionsdemokratie anbrechen, in der man Aufmerksamkeit nicht mehr länger durch Ereignisse oder gar, noch altmodischer, durch Kunstwerke auf sich lenkt, sondern durch Unfälle". Noch weiter geht nach dem Bericht von Martina Meister Jean Baudrillard. Ihm zufolge haben die Terroristen aus ihrem Tod "eine absolute Waffe gemacht gegen ein System, dessen Grundprinzip die Verdrängung und der Ausschluss des Todes sind". Baudrillard: "Die geheime Botschaft der Terroristen ist, das System herauszufordern durch etwas, das uns wie ein Selbstmord erscheint, durch die absolute Waffe der symbolischen Gabe des Todes nämlich und dessen unmöglichen Tausch".

    Der Guide Michelin, der große kulinarische Führer, kam erstmals im Jahre 1900 heraus. Damals gab es in Frankreich 3 500 Autos. Der Reifenhersteller Michelin verschenkte das Buch, in dem Tankstellen, Werkstätten und Entfernungen aufgeführt wurden, an Kunden. Bald darauf begann man, Hotels und Restaurants zu klassifizieren.

    Martina Meister schreibt in der Frankfurter Rundschau: "Das Geheimnis des ‚Guide’ besteht in dem Mangel an Kriterien. Niemand weiß, warum ein Koch einen oder zwei oder drei Sterne verdient...Gottesurteile müssen nicht kommuniziert werden".

    Einer der Guide-Inspektoren hat nun in dem Buch: ‚L’ Inspecteur se met à table’. Der Inspektor setzt sich zu Tisch, ausgepackt, und die Wahrheit ist Frau Meister zufolge diese: Weil der Michelin "die Köche zu internationalen Stars gemacht hat, von denen einige ein halbes Imperium dirigieren und Werbeverträge wie David Beckham einstreichen, sind die Sterneköcher mittlerweile mächtiger als Michelin selbst. Er kann ihnen nichts mehr anhaben. Er kann ihnen nicht einmal ungestraft den dritten Stern wieder wegnehmen".