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Blick in die Tiefe

Geophysik. - Noch immer ist der Grund der Ozeane die am wenigsten erforschte Region der Erde. Ungewöhnlich exakte Karten eines Tiefseegrabens vor Mittelamerika sind nun den Wissenschaftlern des Kieler Forschungszentrums Geomar gelungen. Dieser Teil des Pazifiks ist eine regelrechte Küche für Erdbeben. Auf einer jüngst beendeten Forschungsreise haben die Kieler Meereskundler dem Graben "in den Topf" geschaut.

    Aus den gewonnenen Daten haben die Wissenschaftler in Kiel eine grafische Computersimulation entwickelt, in der messerscharfen Berggrate und tiefe Schluchten des Tiefseegrabens sichtbar werden. Wilhelm Weinrebe kann so im Forschungszentrum Geomar in Kiel eine virtuelle Tauchfahrt ins Unbekannte unternehmen: "Wir können mit diesem Gerät - einer Software und Hardware mit dem schönen Namen Fledermaus, weil die Maus "fliegen" kann - die Karten vom Meeresgrund auf den Computerbildschirm holen und uns darin bewegen, als würden wir mit einem Tauchboot darüber fliegen." Vier Wochen lang haben die Kieler Geophysiker an Bord des Forschungsschiffs "Sonne" vor der Küste Mittelamerikas den Meeresgrund vermessen und Karten gezeichnet. Dabei benutzten sie ein neuartiges Echolot: Wie ein riesiger Fächer wurden Schallwellen zu beiden Seiten des Schiffs ausgesandt und von den Bergen und Tälern am Meeresgrund zurückgeworfen. Dabei wurden alle Objekte erfasst, die größer sind als 150 Meter.

    Diese Region vor Mittelamerika ist besonders interessant, weil dort der Meeresboden immer in Bewegung ist. Im Tiefseegraben vor Mexiko und Panama schiebt sich eine unterseeische Platte der Erdkruste unter die Platte Mittelamerikas. Zentimeter um Zentimeter taucht der Meeresboden unter die Landmasse Amerikas. Im Laufe der Jahrtausende werden so ganze Unterwasser-Berge buchstäblich verschluckt. Wilhelm Weinrebe: "Die Tiefseekuppe, also der Berg, schiebt sich unter den Kontinentalhang und hebt ihn an. Es bildet sich eine Beule, ein Berg. Wenn die rückwärtige Kante dieses Bergs zu steil wird, dann fängt sie an abzurutschen."

    Ein solcher Erdrutsch auf einer Breite von fünf bis zehn Kilometern verursacht an der Meeresoberfläche Riesenwellen, die Tsunamis. Aber das Abtauchen der Unterwasserberge hat noch weitere Auswirkungen, erklärt der Geophysiker Ingo Grevemeier: "Irgendwann bauen sich große Spannungen auf, als wenn sie an einem Blatt Papier ziehen. Irgendwann reißt es schlagartig, und genau das passiert hier auch: Da wird der Tiefseevulkan einfach abgetragen oder bricht: Dann rutscht dann die Platte schlagartig um einige Meter, und das ist das, was wir als Erdbeben sehen."

    [Quelle: Jens Wellhöner]