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Blick zurück

Das Jahr 2003 beginnt mit seltener Eintracht: Zur Grünen Woche in Berlin startet Landwirtschaftsministerin Renate Künast eine Initiative für mehr Qualität bei deutschen Lebensmitteln. Und die Bauern danken es ihr, vor allem weil das auch höhere Preise für ihre Produkte bedeutet. Genuss, so Renate Künast, habe auch mit gutem Gewissen zu tun.

Andreas Baum |
    Wenn wir sagen, Landwirte sollen keine antibiotischen Leistungsförderer mehr benutzen, bei der Produktion von Fleisch, dann kostet das auch mal einen Cent mehr. Da wo jetzt Preisdumping nach unten stattfindet, haben Sie garantiert nicht auf Umwelt, das hat mit Antibiotika ja auch zu tun, Rücksicht auf artgerechte Tierhaltung.


    Aus Sorge um die Qualität der Lebensmittel kündigt die Ministerin im Januar an, das Preisdumping zu bekämpfen. Auch wenn die Bauern über weitere Auflagen stöhnen, so müssen sie doch anerkennen, dass hier zumindest die Absicht besteht, Verbraucherschutz und die Interessen der Landwirte unter einen Hut zu bekommen. Eine Haltung, die man auch in Brüssel schätzt.

    Die Agrarpolitik, meine Damen und Herren, muss von der gesamten Gesellschaft und nicht nur einigen Lobbys akzeptiert und mit getragen werden.

    Franz Fischler, EU-Kommissar für Landwirtschaft. Im Juni darf er nach einem Verhandlungsmarathon die geglückte europäische Agrarreform verkünden. Die Subventionen werden nicht sinken, aber sie werden moduliert, gleichzeitig soll nachhaltige Bewirtschaftung gefördert werden. Die deutsche Landwirtschaftsministerin, so heißt es, hat ihren Einfluss geltend gemacht. Die zeigt sich froh darüber, dass nun die Anreize für Deutschlands Bauern, immer mehr und mehr zu produzieren, auch an der Nachfrage vorbei, beendet sind.

    Es wird Basiszahlungen geben und die Landwirte können jetzt überlegen: Was geht am Markt? Was kann man hier tatsächlich verkaufen, es wird viel mehr Geld geben in Zukunft für die Förderung von Qualitätsprodukten, für Umweltschutz, für artgerechte Tierhaltung.

    Die Landwirte selbst haben in diesem Frühsommer aber erst einmal andere Sorgen.

    Seit Monaten bleibt der Regen aus. Getreide und Gemüse vertrocknet auf den Feldern. Nur die Weinbauern sind zufrieden . Besonders in den östlichen Bundesländern jedoch befürchten Betriebe Totalverluste. Ein Bauer aus Sachsen erklärt, warum die Lage in diesem Jahr so besonders schwierig ist:

    Es gab ausm Winter her die lange Frostperiode, wo die Getreidebestände beschädigt wurden, durch Auswinterung, und dann die bis heute anhaltende lange Trockenheit mit kleinen Unterbrechungen, das geht schon seit Anfang Mai, Ende April, Anfang Mai, fast kein Regen.

    Auch im Juli scheint keine Besserung in Sicht. Der Jahrhundertsommer verursacht Ernteausfälle in Milliardenhöhe. Die Politik verspricht ein Existenzsicherungsprogramm für Bauern, die besondere Einbußen hinnehmen mussten. Wer weniger dramatische Verluste gemacht hat, wird nicht automatisch entschädigt. Adalbert Kienle vom Deutschen Bauernverband.

    Nach Schätzung des Deutschen Bauernverbandes wird die Getreideernte bundesweit um 10 bis 15 Prozent noch unter der Vorjahresernte liegen, und die Vorjahresernte war bereits durch Hochwasser und Starkregen stark beeinträchtigt.

    Nachdem dann endlich der Regen kommt, beschäftigt sich die deutsche Agrarpolitik wieder mit der Zukunft. Denn es droht die Aufhebung des Gentech-Moratoriums: Die Europäische Union will ab April 2004 eine Kennzeichnungsverordnung erlassen, die de facto die Einfuhr von gentechnisch verändertem Mais aus den USA erlaubt. Und damit, so die Befürchtungen der Bio-Bauern, Tür und Tor für andere Pflanzen mit verändertem Erbgut öffnen. Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender der Bundes ökologische Lebensmittelwirtschaft, glaubt, dass damit die Zeit eines gentechnikfreien Europas zu Ende ist.

    Weil bedauerlicherweise das Nebeneinander von Anbau mit Gentechnik und Anbau ohne Gentechnik nicht so einfach funktioniert, wie dass verschiedene Leute verschieden farbige Pullover tragen, sondern beginnend mit der Auskreuzung durch Pollenflug auf dem Acker, aber weiter auch durch Vermischung Erntegeräten, Lagereinrichtungen, Transporteinrichtungen, Verarbeitungseinrichtung, diese beiden Dinge einander berühren und deswegen eine Eingrenzung der Gentechnik auf die Flächen und auf die Produkte, für die sie stattfinden soll, nicht möglich ist.

    Nun keimt allerorten der Widerstand. Im November rufen Bauern in Mecklenburg-Vorpommern einseitig gentech-freie Zonen aus. Sofort kommt Einspruch aus Brüssel. Kommissar Fischler kann sich zwar vorstellen, dass er künftig Schutzräume für bestimmte Produkte duldet

    Aber was nicht möglich ist, ist dass einfach Mitgliedstaaten hergehen und ihr Staatsgebiet oder eine größere Region, also sagen wir Bayern oder irgend eine andere Region in Europa zur gentechnikfreien Zone erklärt.

    Kurz vor Ende des Jahres kommt noch einmal ein kleiner Skandal auf Deutschlands konventionell produzierende Landwirtschaft zu. Das Land Niedersachsen ruft mehrere Millionen Eier zurück, weil der Verdacht besteht, dass an Hühner Lasalocid verfüttert wurde. Michael Lohse vom Bauernverband:

    Diese Substanz ist ein Antibiotikum, das bei Legehennen verboten ist in Deutschland, das jedoch in der Hähnchenmast eingesetzt werden kann, wenn man dieses Mittel bei der Hähnchenmast sieben Tage vorher, bevor die Tiere geschlachtet werden, absetzt.

    Der Skandal kommt wie bestellt, denn gleichzeitig muss der Bundesrat darüber entscheiden, ob Hühner und Schweine ab 2007 artgerechter gehalten werden müssen. Heraus kommt ein Kompromiss, den beide Seiten – Tierschützer und Eierproduzenten – als Teilerfolg werten. Das Jahr endet mit einer Meldung, die wenig Mut macht: Die deutschen Landwirte haben im abgelaufenen Jahr weniger verdient. Familienbetriebe erwirtschafteten ein Viertel weniger als im Vorjahr – durchschnittlich 23.000 Euro.