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Blick zurück in Demut

Während die Politik schon versucht, die Krise einzudämmen, ist die Publizistik noch mit der Ursachenanalyse befasst. Zum Beispiel Nikolaus Piper. Er hat ein Buch über Amerikas Weg in die große Rezession geschrieben. Und darüber, wie das Land wieder aus der Krise herausfinden kann.

Von Eva Bahner |
    Ähnlich wie Ökonomen sind auch Wirtschaftsjournalisten in diesen ruhigeren Tagen mit der Aufarbeitung der Wirtschaftskrise beschäftigt. Und auch sie üben sich in Selbstkritik: Warum hat man erste Warnsignale nicht erkannt, die Öffentlichkeit nicht frühzeitig über mögliche Gefahren aufgeklärt? Auch Nikolaus Piper, ehemaliger Wirtschaftschef der Süddeutschen Zeitung blickt in großer Demut zurück, wie er schreibt. Er habe zwar erste Krisensymptome wie das wachsende Handelsbilanzdefizit der USA und die niedrige Sparquote gesehen, die Risiken aber unterschätzt - auch noch in seinen ersten Tagen als Korrespondent in New York, im Februar 2007, als sich die Krise auf dem Immobilienmarkt bereits andeutete. Damals traf Piper auf einem Empfang anlässlich des chinesischen Neujahrsfestes Ken, einen Investmentbanker:

    "Ich fragte ihn, was ist denn so interessant im Moment, über was spricht man denn an der Wall Street und da sagt er 'Subprime' ist das Hauptthema. Ich hatte das Wort noch nie gehört, ich musste mich erst mal kundig machen, mir ging es wie vielen anderen Leuten auch. Dann habe ich mich um das Thema gekümmert und habe meine erste Geschichte geschrieben. Und von da an ging es dann immer weiter."
    Dieses Krisenbuch unterscheidet sich von anderen durch die unvoreingenommene Perspektive des Autors, die zwar eine deutsche bleibt, aber stark geprägt ist von den Erfahrungen und Erlebnissen des Reporters direkt am Ort des Geschehens – in New York. Piper nimmt seine Leser mit auf seine Recherchen: zur Immobilienmaklerin Vicki Readling, die als sie krank wird, ihren Versicherungsschutz verliert, zur Witwe Mary Overton, der ein Kredit aufgeschwatzt wird, den sie sich nicht leisten kann, ebenso wie zu den Schülern des heutigen Notenbank-Chefs Ben Bernanke, die an der Princeton Universität das Entstehen von Spekulationsblasen erforschen. Der Autor betrachtet die amerikanische Gesellschaft als Ganzes und leitet daraus ab, wie es in den USA zu einer massiven Finanzkrise kommen konnte, die im September 2008, an dem so wörtlich "gespenstischen Wochenende" begann, an dem die US-Regierung entschied, die Lehman Brothers pleitegehen zu lassen:

    Niemand, der auch nur entfernt mit der Wall Street zu tun hatte, wird jene 40 Stunden vergessen, in denen sich die Weltwirtschaft von Grund auf veränderte.
    Der Beschluss, an der Investmentbank ein Exempel zu statuieren und ihr finanziell nicht unter die Arme zu greifen, ist nach Einschätzung Pipers ein Jahrhundertfehler. Und dennoch sieht der Journalist die Lehman-Pleite allenfalls als Auslöser der großen Rezession. Die Ursachen des massiven Wirtschaftseinbruchs, dem sich kein Land weltweit entziehen konnte, sind laut Piper in den globalen Ungleichgewichten zu suchen, die er in dem Kapitel "Chimerica" beschreibt:

    China und Amerika verhielten sich seit Beginn des Jahrtausends wie eine einzige, die Welt dominierende Volkswirtschaft: die eine Seite produzierte, die andere konsumierte; die eine sparte, die andere verschuldete sich. Die reichste Nation der Erde wurde der mit Abstand größte Kapitalimporteur, das größte Schwellenland der größte Kapitalexporteur - ein solches Missverhältnis ist in der Weltgeschichte ohne Beispiel. Es war klar, dass diese Ungleichgewichte nicht lange durchzuhalten waren.
    Die Kapitalschwemme auf den Finanzmärkten, die die Chinesen erzeugten, gepaart mit einer Politik des billigen Geldes der US-Notenbank, die den Kreditinstituten immer mehr Freiheiten ließ, dieses Zusammenspiel löste eine - so Piper wörtlich - "Kultur des Abenteurertums" in der Geldwirtschaft aus, die neue gefährliche Produkte hervor brachte und letztlich in eine gigantische Finanzmarktspekulation mündete. Für die Wall Street eine neue Erfahrung, die einen Paradigmenwechsel zur Folge hat:

    Das vergangene Vierteljahrhundert war geprägt von der Vorstellung, dass Finanzmärkte inhärent stabil sind; Übertreibungen und Abstürze sind zwar möglich, sie werden aber relativ schnell von selbst korrigiert. Diese Überzeugung wurde durch die Finanzkrisen der 80er und 90er-Jahre nicht erschüttert. Mit der großen Rezession ist diese Sicherheit verschwunden. Stattdessen setzt sich die Erkenntnis durch, dass Finanzmärkte inhärent instabil sind und es vermutlich immer sein werden.
    Spekulationen verbunden mit Phasen der Euphorie und Panik wird es also nach Einschätzung des Autors auch in Zukunft geben. In den Chor derjenigen, die die Gier der Banker anprangern, stimmt Piper allerdings nicht mit ein. Markt- und Staatsversagen gleichermaßen hätten in die Krise geführt. Überhaupt hält sich Piper nicht lange mit der Schuldfrage auf, blickt stattdessen nach vorne auf ein, wie er es nennt, gefährliches Jahrzehnt:

    Immer wenn sich eine Rezession verbunden hat mit einer Finanzkrise war der nächste Aufschwung schwach. Das kommt einfach daher, dass der Finanzsektor, der so wichtig ist für die Gesamtwirtschaft, Zeit braucht, um zu gesunden und in dieser Zeit gibt es weniger Kredite für die Wirtschaft, weniger Anleihen werden emittiert, das Ganze Finanzgeschäft ist schwieriger und das lastet auf der Gesamtwirtschaft.
    Dabei wäre gerade jetzt ein kräftiges Wirtschaftswachstum nötig, um die gigantische Schuldenlast wieder abzubauen. Laut Piper eine Zeitbombe, die in den USA nicht erst mit den milliardenschweren Konjunkturprogrammen zu ticken begonnen hat:

    Die Illusion der Ära Bush bestand darin, man könne die Probleme einfach durch Steuersenkungen lösen. Obama wird, unter ungleich schwierigeren Voraussetzungen, mit allen Illusionen aufräumen müssen. Der Staatshaushalt wird nicht ohne höhere Steuern zu sanieren sein, aber auch nicht ohne Leistungskürzungen. Die politische Aufgabe ist gigantisch.
    Die USA werden ihre Probleme nicht alleine lösen können, die Welt kann ihre Probleme aber auch nicht ohne die USA lösen, davon ist der Autor überzeugt. Nur mit vereinten Kräften, durch beherztes Gegensteuern der Notenbanken und Regierungen, konnte die Wiederholung der Großen Depression der 30er-Jahren verhindert werden – um Haaresbreite. Im Oktober 2008, wenige Wochen nach der Lehman-Pleite, traf sich die Finanzelite in Washington auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank. Die Wall Street war in Turbulenzen, der Dow-Jones auf dem Sinkflug:

    "Als ich in den Zug gestiegen bin in New York waren wir irgendwo bei minus zwei Prozent und es endete irgendwo bei minus sechs Prozent, und vorher hatte die Regierung schon angekündigt, sie wird 700 Milliarden Dollar in den Finanzsektor pumpen, und da hab ich gedacht, wenn 700 Milliarden Dollar nicht ausreichen, um das Weltfinanzsystem zu reparieren, was dann? Das war aus meinem Gefühl heraus der dramatischste Augenblick, wo man das Gefühl hatte, der Weltuntergang ist nah. Und ich glaube, er war auch nah. Und wenn nicht die G7-Staaten gehandelt hätten und praktisch jeder größeren Bank auf der Welt eine Garantie gegeben hätten, ich glaube, dann hätten wir eine Wiederholung der Weltwirtschaftskrise gehabt."
    "Die Große Rezession" besticht durch eine fundierte volkswirtschaftliche Analyse, die auch für Laien nachvollziehbar ist, gepaart mit Einzelschicksalen, die für die amerikanische Gesellschaft als ganzes stehen. Die Erzählungen des Autors machen diese Wirtschaftslektüre nicht nur außergewöhnlich leicht bekömmlich, sondern räumen auch auf mit so manch einem deutschen Vorurteil. Sie helfen, Amerika und damit auch die Entstehung der Krise besser nachzuvollziehen, den vorherrschenden Optimismus, der zu einem Leben auf Pump führt, den Traum vom Eigenheim, die Sehnsucht nach Wohlstand. Es ist die authentische Reportersicht, die Pipers Krisenaufarbeitung glaubwürdig macht.

    Die Große Rezession – Amerika und die Zukunft der Weltwirtschaft. So heißt das Buch von Nikolaus Piper. Erschienen ist es bei Hanser, 312 Seiten kosten 19 Euro 90 (ISBN 978-3446419520).