Archiv


Blick zurück nach vorn

Das Whitney Museum an der Madison Avenue in New York hat eine ganz klar definierte Aufgabe: Seit der Eröffnung im Jahr 1931 wird hier die jeweils zeitgenössische amerikanische Kunst gezeigt und gesammelt. Ein Jahr nach der Eröffnung fand zum ersten Mal die "Whitney Biennial" statt - eine Leistungsschau der amerikanischen Kunst. Sie hatte immer auch den Anspruch, das gesellschaftliche, politische, kulturelle Leben in den USA zu reflektieren.

Von Sacha Verna |
    Ein lauschiger Abend auf der Veranda einer Öko-Wellnessfarm im Brasilianischen Urwald? Mitnichten. Wir befinden uns im düsteren holzgetäfelten Kompanieraum M des ehemaligen New Yorker Zeughauses, der Park Avenue Armory. Das tropische Gezirp und Gezwitscher kommt aus einem Gefäß, das entfernt an einen kampfbereiten Teekrug erinnert und chinesische Schlappen trägt. Bei dem beschlappten Krug handelt es sich um Teil einer Installation von Olaf Breuning. Dieser wiederum zählt zu den bekannteren unter den einundachtzig Künstlern, die zur Teilnahme an der diesjährigen Whitney Biennale eingeladen worden sind.

    Die 74. Ausgabe dieses jeweils mit Hochspannung erwarteten Kunstereignisses ist die erste, die neben dem Stammhaus des Whitney Museums an der Madison Avenue noch ein anderes Gebäude in Beschlag nimmt. Im Gegensatz zur letzten Biennale jedoch, an der viel von Öffnung und "post-nationalen Strukturen” die Rede war, hat man sich dieses Jahr wieder auf das Kunstschaffen auf heimischem Boden konzentriert. Praktisch alle vertretenen Künstler leben und arbeiten in den Vereinigten Staaten. Die überwiegende Mehrheit von ihnen mit amerikanischem Pass in New York und Los Angeles.

    Versteht man die Biennale tatsächlich als Gradmesser des aktuellen Kunstgeschehens, wie der Whitney-Direktor Adam Weinberg in seiner Eröffnungsansprache forderte, fällt dieses Jahr besonders eine Tendenz auf: jene zur Teilnahme- und Eventkunst. Henriette Huldisch, die zusammen mit Shamim Momin die Whitney Biennale 2008 kuratiert hat, formuliert es so:

    "Und zwar ist das eine Richtung, in der viele Künstler neben Objekten für die Galerie oder die Wände des Museums, ob es Installationen, Fotografien, Gemälde sind, auch eine andere Art von Praxis aufrechterhalten, die häufig eine interaktive Komponente hat, wo Leute etwas hinterlassen können, wo Leute an den Kunstwerken teilnehmen können. Damit in direkter Verbindung stehen auch eine Reihe von Veranstaltungen hier, in denen Künstler Performances, Musikkonzerte, in einem Fall ein kulinarisches Dinner und so weiter organisieren. Was daran wichtig ist, ist wirklich die Tatsache, dass Künstler sich sowohl im traditionellen Raum der Galerie bewegen, als aber auch Möglichkeiten suchen, sich anders auszudrücken, die vielleicht weniger den Strukturen des Marktes oder der Verkäuflichkeit entsprechen."

    Natürlich wird niemand zugeben, dass ein Besuch etwa in Eduardo Sarabias "Babylon Bar”, in der der Künstler Tequila in selber designten Flaschen serviert, einen ungleich größeren Kunstgenuss darstellt als das intensive Betrachten der monochromatischen Leinwände eines Joe Bradley. Oder dass man sich lieber an dem von Agathe Snow organisierten Tanzmarathon in der Park Avenue Armory die Füße wund tritt als in der engen Holzhütte, in der man auf Videos von Mika Rottenberg Frauen bei der Pflege ihres Rapunzel-langen Haars zuschauen kann.

    Doch warum eigentlich die Ziererei? Ist nicht der Boom der zeitgenössischen Kunst auch, ja vor allem auf den Reiz zurückzuführen, den der Betrieb an sich auf ein bestimmtes Publikum ausübt? Darauf, dass es als schick gilt, bei Auktionen in der vordersten Reihe zu sitzen und mit Top-Künstlern auf dem Sofa von Top-Galeristen Insidergespräche zu führen?
    Henriette Huldisch sieht das anders. Zumindest, was die Kollektivfreuden betrifft, die die Whitney Biennale 2008 bietet. Sie meint:

    "Dass grundsätzlich der Tenor dieser Ausstellung eher anti-spektakulär ist und vielleicht eine gewisse Bescheidenheit hat. Dass es nicht so sehr um die große operatische Geste geht oder um das Spektakel und zum Teil die Arbeiten ebenso sehr an Abwesenheit wie an Präsenz interessiert sind."

    Wie interessant: Abwesenheit, bei der es darum geht, um jeden Preis Präsenz zu markieren.